Neue Platten von und mit Robert Glasper Experiment, Mooryc, Minor Alps und Blood Orange, gehört von Ronald Klein (RK) und Tina Manske (TM).
Schier wieder göttlich
(TM) Die erste Folge des „Black Radio“ erreichte Platz 1 der Billboard-Jazz-Charts wie Platz 1 der R’n’B-Charts von iTunes. Nun kommt Folge zwei, und wieder ist es dem Pianisten und Produzenten Robert Glasper und seiner Band Robert Glasper Experiment gelungen, herausragende Sänger und Rapper der Black Music für ein gemeinsames Projekt zu gewinnen. Dieses Mal sind u. a. Common, Brandy, Dwele, Norah Jones, Snoop Dog und Anthony Hamilton mit dabei.
Es ist schwer, bei diesem grandiosen, genreüberspannenden Flow zwischen Jazz, R’n’B, Hip-Hop und Pop einzelne Höhepunkte herauszugreifen. Herausragend ist ganz bestimmt „Calls“ mit der wunderbaren Jill Scott, die nun wirklich, geben wir es zu, gar nichts falsch machen kann. Aber wie hier der Gospel in einen leichten Soulsound überführt wird und mit Augenzwinkern die Lösung ganz weltlicher Dinge („even when my car broke down in the parking lot!“) gefeiert wird, das ist schon schier wieder göttlich. Und wenn Dwele seine sanfte Stimme seinen „No Worries“ widmet, klimpert – wie eigentlich ständig auf „Black Rdio 2“ – im Hintergrund das Jazzklavier und sorgt für diametrale Gegenbewegung. Diese Platte wird an keiner Stelle auch nur für Sekunden langweilig.
Robert Glasper Experiment: Black Radio 2. Blue Note (Universal). Zu einem Video.
Organisch, offen und deep
(TM) Auf seinem Debütalbum legt der Wahlberliner Maurycy Zimmermann alias Mooryc eine schöne Sammlung von ziemlich dunklen Downbeat-Tracks vor. Würde man sich den Plattenschrank des aus Poznań stammenden Musikers anschauen, so würde man dort sowohl Platten von Peter Gabriel und Paul Simon als auch von Arvo Pärt, Aphex Twin und Depeche Mode vorfinden. Das spricht schon mal für eine sympathische Unbegrenztheit. Außerdem kann Zimmermann Instrumente nicht nur spielen, sondern auch bauen. So ist er in der beneidenswerten Situation, Töne erzeugen zu können, die er tatsächlich erzeugen will, ganz ohne von anderen abhängig zu sein.
Mit „Roofs“ schenkt er uns ein Platte, die Fans von Apparat mitten ins Herz treffen dürfte – aber so organisch, offen und deep klingt auch Sascha Ring nur in seinen besten Momenten. Schlurft das Album im ersten Teil angenehm verträumt, aber niemals uninteressant, dahin, zeigt Zimmermann spätestens mit „Limbo 1“, was er kann: Abseits jeglichen 4-to-the-floor-Taktes stolpert der Track zunächst nach vorne, bis er dann doch auf der Tanzfläche landet, die dann aber bestimmt nicht mit den üblichen Verdächtigen gefüllt sein wird. Ach so: Singen kann Mooryc übrigens auch. Wunderbare Symbiose aus Gefrickel und Pop – aus dem wird noch was ganz Großes.
Mooryc: Roofs. Freude am Tanzen (Rough Trade).
Erwachsen
(RK) Matthew Caws gilt mit seiner Band Nada Surf seit über 20 Jahren als einer der wichtigsten Protagonisten der New Yorker Indie-Szene. Für ein Album lässt er sich im Schnitt über drei Jahre Zeit, feilt lange an den Kompositionen. Dieser Anspruch wird auch auf dem Debüt-Album des Side-Projects Minor Alps deutlich hörbar. Hier kooperiert er mit Juliana Hatfield (u. a. Blake Babies, Juliana Hatfield Three und Some Girls), die ähnlich lange wie Caws ein festes Bestandteil der Bostoner Alternative-Szene ist.
Ihre erste Zusammenarbeit manifestiert sich in elf Stücken, die nicht unbedingt einen Bruch zum bisherigen Schaffen darstellen, sondern eine sympathische Ergänzung der bisherigen Solo- und Bandaktivitäten. Der Opener „Buried Plans“ stellt nicht nur einen ausgesprochenen Ohrwurm dar, sondern trägt bereits die Melancholie fallender Blätter, den Klang des Herbstes in sich. „Get There“ als Album wärmt jedoch in Zeiten kürzer Tage und sinkender Temperaturen, wie ein Abend am Kamin.
Das Album überzeugt mit bisweilen pittoresken Melodiefolgen und Harmoniebögen, die an eine Melange aus Beatles-Songs und Alternative-Country klingen. Von der drolligen Verschrobenheit der Vergangenheit ist wenig übrig geblieben. „Get There“ ist ein erwachsenes Album, das in seiner kompositorischen Reife voll überzeugt, bisweilen aber auch den Schwung und die kleinen, dissonanten Spielereien vermissen lässt, für die Alternative-Rock der Ostküste seit der Erfindung von No Wave in den späten 70er-Jahren steht.
Minor Alps: Get There. Ye Olde Records/The Orchard/Alive.
Cheesy und schmachtend
(TM) Mit „Coastal Grooves“ sorgte Dev Hynes alias Blood Orange vor zwei Jahren für einen echten Überraschungserfolg, der genau ins Revival der 80er-Jahre hineinpasste. Cheesige Keyboardsequenzen und schmachtender Gesang waren die Zutaten, die Hynes mit einem klugen Songwriting zu mischen wusste.
Für seine neue Platte „Cupid Deluxe“ hat er die Erfolgsformel kaum geändert, sich aber kompetente Unterstützung ins Studio geholt: mit dabei sind u. a. David Longstreth (Dirty Projectors), Samantha Urbani (Friends) und Adam Bainbridge (Kindness). Caroline Polachek von Chairlift ist Gastsängerin auf der ersten Single „Chamakay“, die fast nahtlos an den Sound und die Stimmung von „Coastal Grooves“ anknüpft.
Zwar kann man auch als Popkünstler nicht zweimal hintereinander unerwartet aus der Truhe hüpfen und mit kompletter Überwältigtheit der Zuschauer und -hörer rechnen, aber auch mit der zweiten Platte trifft Hynes ins Schwarze. Auch, weil er im Recyclen älterer Beats und Synthielinien wieder mal ziemlich unschlagbar ist – siehe die George-Michael-Reminiszenz in „Clipped On“.
Blood Orange: Cupid Deluxe. Domino Records (Goodtogo).