Geschrieben am 19. September 2012 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Pet Shop Boys, Hildegard Knef Remixed by Hans Nieswandt, The Fresh & Onlys, Laetitia Sadier, Grizzly Bear, Kumbia Queers; gehört von Christina Mohr (MO) und Janine Andert (JA).

Viel zu simpel

(MO) Ich hätte zwar nicht gedacht, dass ich mal sowas mal schreiben würde, aber so war es: ich habe beim Anhören von „Elysium”, dem elften Studioalbum der Pet Shop Boys, mehrfach auf die Uhr geguckt und mich mich über die ungewöhnliche Lebendigkeit im letzten Track „Requiem for Denim and Leopardskin“ gefreut – die sich dann aber als Macke im Download-File herausstellte.

Nun ist „Elysium“ kein wirklich schlechtes Album, denn das könnten Neil Tennant und Chris Lowe gar nicht machen – aber was sich auf den großartigen Vorgängerplatten „Fundamental“ und „Yes“ als sehr schlaue, abgeklärte und selbstironische „Altersweisheit“ abzeichnete, rutscht bei „Elysium“ (schon der Titel: die Insel der Toten!) in recht vorhersehbare und für PSB-Verhältnisse ungewöhnlich gewöhnliche Melancholie angesichts schwindender Jugend, Attraktivität, etc. ab.

Der Opener „Leaving“, die Single „Winner“, „Face Like That“ oder das Bacharach’sche „Give It A Go“ sind Höhepunkte, catchy und klug, atmosphärisch kontrapunktisch aber schlüssig zwischen „Behaviour“ und „Very“ angesiedelt. Andere Tracks wie „Ego Music“ wirken in ihrer unverrätselten Klarheit (textlich und musikalisch) viel zu simpel für ein Pet Shop Boys-Album – als wären Probe-Tracks versehentlich auf dem Master gelandet. Neil Tennant witzelte in einem Interview, dass „Elysium“ doch nicht das befürchtete HipHop-Album der Pet Shop Boys geworden sei – im Moment würde ich mir aber genau das wünschen.

Pet Shop Boys: Elysium (EMI). Zur Homepage der Band.

Kein Otto-Normal-Remix

(MO) Manche Kombinationen klingen schon im Vorhinein so überzeugend, dass man das betreffende Album toll findet, noch bevor man einen Ton gehört hat – doch halt, stop, nochmal von vorn: Dass Hildegard Knef und Hans Nieswandt gut zusammen passen, weiß man ja eigentlich schon seit zehn Jahren, denn damals hatte Hans einen wundervollen Remix für das Knef-Lied „Bei dir war es immer so schön“ gemacht. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich Nieswandt dem Knef’schen Oevre umfassender widmen würde; und als das Hamburger Label Bureau B ihn im vergangenen Jahr auf ein solches Unterfangen ansprach, sagte er sofort zu.

Hans Nieswandt ist ja kein Otto-Normal-Remixer, der vorhandene Stücke hier und da mit ein paar Loops und gerade angesagten technischen Effekten aufbrezelt; Nieswandt arbeitet mit dem Material auf einzigartige Weise, verwendet z.B. nur Originalaufnahmen ohne zusätzliche Synthies. Bei Hildegard Knefs anspruchsvollen Chansons bot sich seine Spezialität, den Text zum eigenständigen musikalischen Element zu machen, mehr als an – und Hildes dunkle Nichtsing-Stimme klang noch nie so eindrucksvoll wie in Nieswandts Bearbeitungen, die fast wie komplett neue Songs wirken: „Das Jahr 2000“, „Du bist das Salz in der Suppe“ oder „Lass das Vergangene vergangen sein“ sind zwar von nostalgischem Hauch umweht, wirken aber durch Hans’ niemals aufdringliche, sanft, aber unbeirrbar auf die Tanzfläche schiebende Beats unfassbar frisch und originell.

Noch ein Clou am Rande: während der Arbeit an den Knef-Remixen gab es eine Kurz-Reunion von Whirlpool Productions, Hans, Justus Köhncke und Eric D. Clark nahmen gemeinsam drei Knef-Songs auf, die nicht auf diesem Album enthalten sind, aber als Extra-12-Inch erhältlich sind. Herbsttipp!

Hildegard Knef Remixed – 12 Versions by Hans Nieswandt (bureau b). Zur Homepage von Nieswandt.

Eine Feier der Musik

(JA) Sänger und Gitarrist Tim Cohen sowie Bassist Shayde Sartin arbeiten in einem Plattenladen. Ganz im Sinne von Nick Hornbys „High Fidelity“ sind The Fresh & Onlys totaly lost in music. Auf ihrem nunmehr vierten Album „Long Slow Dance“ liefert die 2008 gegründete Band eine kleine Enzyklopädie der Popgeschichte ab.

Mittlerweile komplettieren Wymond Milles (Bass) und Kyle Gibson (Schlagzeug) das Quartett, das ein Händchen für vertraut um die Ecke huschende Songs hat. Einmal gehört, setzt sich jeder Track sofort in der Hirnregion für Wohlgefallen fest. Die Leidenschaft der vier Typen aus San Francisco gehört ganz offensichtlich jedem 60ies Revival der letzten Jahrzehnte.

Von melodiösen Songstrukturen, Aahs und Oohs bis hin zu spielfreudigen Gitarrenwänden ist hier alles vertreten, was das Popherz begehrt. Natürlich darf dabei die sehnsuchtsvolle Wehmut nicht fehlen. Die findet ihren Höhepunkt im „Executioner’s Song“ und wird mit Balkanposaunen und Doommelodie unterstrichen.

„Long Slow Dance“ ist ein Album, das in jedem Song die Begeisterung für Musik feiert. Eingängig, opulent, mit dem Hang zu zerschrammelnden Gitarren, wenn es zu lieblich werden könnte. Der perfekte Soundtrack, um mal wieder die Plattensammlung zu sortieren oder in Erinnerungen zu schwelgen.

The Fresh & Onlys: Long Slow Dance. Souterrain Transmissions/Rough Trade. Zur Homepage der Band, zur Facebookseite und zu Soundcloud.

Flauschig produziert

(MO) Als vor zwei Jahren Laetitia Sadiers Soloalbum „The Trip“ erschien, waren viele Fans versöhnt, die die Trennung von Stereolab – die Bandmitglieder sprechen diplomatisch von einer „Pause“ – noch nicht ganz verdaut hatten. Auf „The Trip“ entfernte sich Sadier stilistisch von Stereolab, und weckte dennoch süßeste Erinnerungen an selige Zeiten mit ihrer einstigen Elektro-Krautgruppe, die bis heute so kultisch verehrt wird.

Mit ihrem neuen Album „Silencio“ wagt Laetitia Sadier noch mehr Variation. Die Single „Find Me The Pulse Of The Universe“ schwelgt in sanfter Bossa Nova und klingt wie ein Astrud-Gilberto-Update, „Moi sans Zach“ ist vom französischen Chanson der Sechziger Jahre inspiriert – ein Video zu diesem Song wäre auf jeden Fall in schwarz/weiß gedreht und die ProtagonistInnen trügen gestreifte T-Shirts! Überraschend tanzbar sind das gitarrenlastige „Auscultation To The Nation“ und der funkige Discotrack „Next Time You See Me“ – und doch ist es beinah egal, welche Richtung die – im Übrigen sehr üppig und flauschig produzierte – Musik einschlägt: man lauscht sowieso gebannt und hingerissen diesem dunkelwarmen, immer ein bisschen trägen und dabei so anziehenden Nicht-Gesang und ist einfach glücklich. Oder melancholisch, was ja oft mit dem Glück beim Musikhören einhergeht.

Auch wenn der Albumtitel anderes evoziert: auf „Silencio“ erhebt Laetitia Sadier ihre berühmte Stimme ungewohnt deutlich gegen Ungerechtigkeit, Krieg, Korruption. Sadier will keine explizit politische Musikerin sein, tut ihre Ansichten aber unverschleiert kund: die Lyrics von „The Rule Of The Game“, „Fragment pour le Future“ und vor allem „There Is A Price For Freedom (And It Ain´t Security)“ sind es wert, dass man nicht nur auf den wohligen Klang von Sadiers Stimme hört, sondern auch auf ihre Worte.

Laetitia Sadier: Silencio. Drag City.

Nachdenkliche Hochbegabte aus NYC

(MO) Über drei Jahre ist es nun schon wieder her, dass das in Brooklyn ansässige Quartett Grizzly Bear mit dem Album „Veckatimest“ einen überraschend großen Erfolg landete. Überraschend deshalb, weil der ätherische, beinah schwerelose Psych-Folkpop mit Beach Boys-Referenzen und entrücktem Engelsgesang so gar nicht mainstreamkompatibel schien – und es doch war, sogar bis zum Einsatz in einem VW-Werbespot. Die Nachfolgeplatte „Shields“ – ihre vierte erst in dreizehn Jahren Bandgeschichte (warum halte ich Grizzly Bear eigentlich immer für eine Nachwuchsband?) – sollte anders klingen als „Veckatimest“, aber den typischen Sound auch nicht völlig über Bord werfen.

Für dieses Unterfangen begaben sich Ed Droste, Christopher Bear, Chris Taylor und Daniel Rossen zum allerersten Mal gemeinsam ins Studio, um die Songs aufzunehmen. Besagtes Studio liegt in Texas, und tatsächlich wirkt „Shields“ erdiger als das auf Cape Cod eingespielte „Veckatimest“, das nach  sanften Wellen und salzigem Wind klingt. Beim Opener „Sleeping Ute“, „Yet Again“ oder „A Simple Answer“ bildet kräftiges, vertrackt-verschachteltes Drumming den Boden für die mal hymnisch-gospelhaft, mal progrockig aufgebauten Melodien und es passt fabelhaft.

Das wirkungsvoll in der Mitte des Albums platzierte „The Hunt“ gemahnt an die großen Tage von REM (nämlich die frühen bis mittleren 1980er Jahre) und daran, dass es manchmal besser wäre, eine Band würde nicht zu groß und populär. Vor dieser Gefahr sind Grizzly Bear trotz aller Brooklyn’esken Hipster-Versponnenheit auch nicht gefeit, vor allem nicht mit einem Album wie „Shields“, das noch mehr Mainstream-Aufmerksamkeit garantiert.

Bis dahin sollte man Stücke wie „What´s Wrong“ und „Sun In Your Eyes“ genießen und die Band für ihre Sensibilität und Klugheit bewundern, Free Jazz-Elemente und Crosby, Stills & Nash-geschulte Americana auf einem Album unterzubringen und doch immer so zu klingen wie vier nachdenkliche Hochbegabte aus NYC.

Grizzly Bear: Shields (Warp 2012). Zur Homepage der Band.

Gehörigen Portion Punkethos

(MO) Die Cumbia, ein ursprünglich aus Kolumbien stammender Paartanz, erfreut sich seit den frühen 1990er Jahren in ganz Lateinamerika schier unfassbarer Beliebtheit. Aber wie es immer so ist: wenn etwas von ganz vielen Leuten ganz furchtbar toll gefunden wird, wird es oft ganz furchtbar.

So auch die rhythmische Cumbia, die von der argentinischen queer-feministischen Punkband Kumbia Queers lange Zeit rigoros abgelehnt wurde: „Wir hielten die Cumbia für ein Herrschaftsinstrument, das uns in unserer Dummheit gefangen halten sollte“, sagt Kumbia Queers-Sängerin Ali Gua Gua, die aber irgendwann auf die Idee kam, das vermeintliche Herrschaftsinstrument mit einer gehörigen Portion Punkethos ironisch aufzumöbeln und mit ihren Bandkolleginnen Pila Zombie, Pat Combat, Juana Chang und Flor Lineyra Hits von Madonna, The Cure oder Nancy Sinatra im typischen Kumbia Queers-Sound zu covern.

Ihr neues Album „Pecados Tropicales“, das beim Wiener Elektrolabel comfortzone erscheint, kommt ohne Coverversionen aus: in fünfzehn irre energiegeladenen Eigenkompositionen vermischen die Queers Cumbia Villera (Slum-Cumbia: Ghetto-Spielart mit expliziten, gesellschaftskritischen Texten, vergleichbar mit HipHop und Rap) mit Punk, Rock, Reggae und viel Humor – und klingen zum Glück an keiner Stelle so anbiedernd albern wie z.B. Gogol Bordello, die ja auch traditionelle Folklore mit Punk mixen.

Ali Gua Gua und ihre Freundinnen haben nämlich bei aller Partystimmung echte, ernste Anliegen wie z.B. die Etablierung feministischer und queerer Lebensweisen, Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften, das Recht auf Abtreibung und selbstbestimmte Mutterschaft – in Lateinamerika alles keine Selbstverständlichkeiten. Wer ein bisschen spanisch kann, wird die Texte von „Patricia“, „Metamorfosis Adolescente“ und „Pare de Sufrir“ schon verstehen – alle anderen sollten vorm Kumbia-Cumbia-Abtanzen ins Wörterbuch schauen!

Kumbia Queers: Pecados Tropicales (comfortzone). Zur Homepage der Band.