Geschrieben am 9. Oktober 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Of Montreal, Quasi, John Mellencamp/Stephen King/T Bone Burnett, Au Revoir Simone und Body/Head, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

ofmontreal_lousywithsylvioanbriarZugänglicher denn je

(TM) Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt auch noch ein neues Album von Of Montreal daher. Es ist schon erstaunlich und mehr als bewundernswert, mit welcher konstanter Qualität und Dichte Kevin Barnes seine eigenen Dämonen auf offener Bühne und mit quasi heruntergelassenen Hosen bekämpft. Bei dieser Band und ihren ständigen musikalischen Volten musste man ja immer mit allem rechnen, auch damit, dass Of Montreal, vor etwa zehn Jahren gestartet mit flirrendem Psychedelicfunk und bei den letzten Veröffentlichungen immer hermetischer und minimalistischer geworden, nun heftig mit z. B. Countrymusik flirten. „Ich mag einfach den Sound der Pedal Steel so unheimlich gerne“, sagt Barnes. Andererseits: warum nicht? Funk, Rock („She Ain’t Speaking Now“!) und Country, passt doch alles zusammen.

Und wird zusammengehalten von den nach wie vor blitzblanken Lyrics: „Your mother hung herself in the National Museum when she was 4 months pregnant with your sister who would have been 13 years old today. Does that make you feel less alone in the world?“, fragt Barnes in „Colossus“, und das sollte auch den Unbedarftesten klarmachen, mit welchem Kaliber der Dunkelheit man es hier zu tun hat. „Colossus“ übrigens ist astreiner Psychsoul, während „Triumph Of Disintegration“ beginnt wie ein typischer Of-Montreal-Song, mit hysterischen „Uh-uh-uuuuuh“-Gesängen vor einer Psychfunkwand, und auch die sophisticated Tempiwechsel kennt man bereits aus vorherigen Werken. Of Montreal machen also gar nicht so viel anders als sonst, sind aber wohl zugänglicher denn je. Eine gute Möglichkeit für Einsteiger, eine der innovativsten Bands der Welt zu entdecken.

Of Montreal: Lousy With Sylvianbriar. Polyvinyl (Cargo).

Quasi: Mole CityKeine Hits, sondern Anti-Hymnen

(MO) Quasi sind das Ex-Ehepaar Janet Weiss (Sleater-Kinney, Wild Flag) und Sam Coomes, nach dem Ausstieg von Bassistin Joanna Coomes in 2011 zum Duo geschrumpft. Quasi existieren seit zwanzig Jahren und haben nicht nur eine Ehe überlebt, sondern auch viele musikalische Moden. „Mole City“, die neue Platte von Quasi, ist so unmodisch wie man im Jahr 2013 nur sein kann: ein Doppelalbum mit 24 Songs – schon die Formalia sind so sperrig, dass sie in keine Schublade passen wollen.

Und die Musik? Die ist so monolithisch, von trendigen Einflüssen unbeleckt und konsequent DIY, dass man den Hut davor ziehen muss. Weiss an der verzerrten Gitarre, Coomes an verschiedenen Tasteninstrumenten und Gesang, mehr Instrumente brauchen Quasi nicht in ihrem ganz eigenen Kosmos aus Blues, LoFi-Grunge, Prog- und Postrock. Die Songs auf „Mole City“ sind roh und unbehauen, traditionell und avantgardistisch, manchmal nur wenige Sekunden lang oder episch ausfasernd, erinnern mal an Thin Lizzy, dann wieder an Seelenverwandte wie Built To Spill oder ganz frühe Nirvana.

Janet Weiss kann mit ihrer Gitarre schweinerockig losbratzen und feinziseliert gniedeln; Sam Coomes ist der weise Mann des Punkrockblues. Stücke wie „You Can Stay But You Got To Go“, “Bedbug Town”, “Headshrinker” oder “Beyond The Return Of The Sun Of Nowhere” könnten beinah Hits sein, aber Quasi wollen keine Hits, sondern Hymnen. Anti-Hymnen für Outlaws, die “Ice Cubes In The Sun”, wie ein anderer Track heißt. „Mole City“ hat Songbookcharakter – ein Manifest für Misfits.

Quasi: Mole City. Kill Rock Stars.

mellencamp_king_burnett_ghostbrothersofdarklandcountySouthern Gothic

(TM) Passend zur Veröffentlichung der Fortsetzung von „The Shining“, die vor kurzem als „Doctor Sleep“ veröffentlicht wurde, erschien im Sommer auch Stephen Kings Zusammenarbeit mit John Mellencamp und T Bone Burnett. „Ghost Brothers Of Darkland County“ erzählt eine in Mississippi angesiedelte Southern-Gothic-Geschichte zweier Brüder um Liebe, Lust, Eifersucht und Rache. Musik und Texte stammen von Mellencamp, das Libretto besorgte King, Burnett produzierte.

Eine feine Riege amerikanischer Showgrößen von Sheryl Crow über Rosanne Cash, Neko Case und Elvis Costello bis zu Kris Kristofferson singen die Songs, bei der Bühnenversion sind Kinostars wie Meg Ryan und Matthew McConaughey mit dabei. Was auf der Bühne sicherlich gut funktioniert (vorausgesetzt, man mag Musicals), ist auf CD zumindest zwiespältig. Die Sprachsequenzen, die zwischen den Songs die Geschichte voranbringen, stören in diesem Kontext, da man sich nicht auf die durchweg soliden Folk-, Blues- und Countryrocksongs konzentrieren kann. Zumal Kings Libretto nur teilweise verwendet wird, was er schwer macht, der Story zu folgen.

John Mellencamp/Stephen King/T Bone Burnett: Ghost Brothers Of Darkland County. Concord Music Group (Universal). Mehr hier.

Au Revoir Simone: Move In SpectrumsFrisch und unverbraucht

(MO) Vier Jahre nach ihrem bisher erfolgreichsten Album „Still Night, Still Light“ melden sich Heather D’Angelo, Erika Forster und Annie Hart aka Au Revoir Simone mit einem brandneuen Album zurück. Im schnellebigen Popgeschäft sind vier Jahre eine lange Zeit, und viele gehypte Bands von gestern sind heute schon vergessen – nicht so das Synthie-Trio aus Brooklyn, dessen Songs auf vielen Film- und Seriensoundtracks (u. a. „Grey´s Anatomy“ und „The L-Word“) gelandet sind.

Hört man das neue Album „Move In Spectrums“, merkt man allerdings, wie sehr man Heather D’Angelo, Erika Forster und Annie Hart doch vermisst hat: Upliftende Hits wie „More Than“ und „Crazy“ verführen sofort zum Mitsingen und -tanzen, in den ruhigeren Stücken wie „Love You Don´t Know Me“, „Just Like A Tree“ oder das schon als Single veröffentlichte „Somebody Who“ schwelgen Au Revoir Simone in verträumtem Shoegaze-Flair. Nach dem letzten Album „Still Night, Still Light“ hatten sich die drei Musikerinnen keineswegs auf die faule Haut gelegt, sondern anderen Dingen gewidmet: Uniabschlüsse, Soloalben, Neben-Bandprojekte und Kooperationen mit Air und Johnny Marr standen auf dem Programm.

Und glücklicherweise fanden sie Zeit, ihrer Leidenschaft zu frönen: dem Aufstöbern antiker Keyboards, um weiter am speziellen Au-Revoir-Simone-Sound zu feilen und zu experimentieren. Toll daran ist, dass es die Band auch im zehnten Jahr ihres Bestehens schafft, so frisch und unverbraucht zu klingen, als hätten sie den Film „La Boum – die Fete“ zum ersten Mal gesehen. War ja vielleicht auch so, denn auf „Move In Spectrums“ sind durchgängig Eighties-Reminiszenzen spürbar, die dank der Originalinstrumente aus dieser Ära echt und schlüssig klingen und kein bisschen retro.

Au Revoir Simone: Move In Spectrums. moshi moshi/Coop.

Body/Head: Coming ApartAllzu artsy

(MO) In einem Interview stand zu lesen, dass Kim Gordon und Bill Nace die Inspiration für ihre gemeinsame Band Body/Head beim Anschauen alter Pink-Floyd-Videos kam: sehr, sehr alter Pink-Floyd-Liveaufnahmen aus der Zeit mit Syd Barrett, als das entrückte Publikum vor Leinwänden tanzte, auf denen psychedelische Filme liefen. Auch Gordon und Noise-Gitarrist Nace zeigen Slowmotion-Projektionen bei ihren Konzerten, die vornehmlich im Kunstumfeld (z. B. im Museum Ludwig, Köln) stattfinden, und überhaupt wirkt das ganze Projekt wie aus der Zeit gefallen – was ja erstmal nicht schlimm sein muss.

Die Musik von Body/Head kommt aus zwei E-Gitarren, die eine (meistens die von Nace) sorgt für den Drone, Gordon improvisiert dazu, live unterstützt von der legendären No Wave-Schlagzeugerin Ikue Mori. Das alles passiert ohne vorgegebene Songstrukturen und ohne zeitliche Begrenzungen, eigentlich ganz cool; eine Schnittmenge von Hippietum und New York No Wave, Psychedelic und Postpunk, die von den HörerInnen schlicht und einfach größtmögliche Aufmerksamkeit bis zur kollektiven Trance abverlangt. Aber auch die größten VerehrerInnen von Kim Gordons Stimme werden beim Anhören von „Coming Apart“ zugeben, dass es keine sehr coole Entscheidung war, die ursprünglich rein instrumental gedachten Tracks doch mit Vocals anzureichern: Gordon schickt ihre Stimme durch Verzerrer und Effektgeräte, klingt manchmal wie ein Ghoul und manchmal wie Ophelia; in „Murderess“ haucht sie unablässig die Worte „by the sea, by the sea, by the sea…“ und man ahnt, dass das Stück ohne Text/Stimme wirkungsvoller wäre.

Die Vocals machen aus dem anti-mainstreamigen Hippie-Prog-Punk mit durchaus nach Sonic Youth klingenden Versatzstücken ein zu stark betontes artsy-Projekt, das – wenn man das ebenfalls jetzt erscheinende (Rock-)Album „Last Night On Earth“ von Lee Ranaldo and The Dust parallel hört – den Eindruck verstärkt, dass bei Sonic Youth diejenigen Stränge zusammengeführt wurden, die separiert voneinander nicht richtig gut funktionieren.

Body/Head: Coming Apart. Matador/Beggars.

 

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