Geschrieben am 28. November 2012 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit National Jazz Trio of Scotland, Peaking Lights, Patrick Wolf, Tracey Thorn, Moon Duo, Kluster und einer neuen „Le Pop“-Compilation, gehört von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

National Jazz Trio of Scotland: Christmas AlbumMit einem Bein im Pop

(TM) Dieses Album ist nicht das, was man sich gemeinhin unter einem Weihnachtsalbum vorstellt. Der Pianist Bill Wells und seine vier Mitstreiter (genau, die sind nämlich gar nicht zu dritt, der Name National Jazz Trio of Scotland ist also mehr als halbironisch gewählt) dekonstruieren bekannte Weihnachtstitel und bauen sie nur spärlich wieder auf, was eine sehr unheimlich Stimmung verbreitet an diesem doch traditionell als so heimelig propagierten Fest.

Bill Wells sagt, er habe dieses Album vor allem deswegen gemacht, weil es so wenig gute Weihnachtslieder gebe. Nun, das sieht nach Erscheinen dieser Platte jedenfalls anders aus. Viel unterhaltsamer und zugleich das Understatement feiernd kann man das Fest der Liebe nicht bespielen, als es hier gemacht wird. Das beginnt mit dem sehr schrägen „Oh Xmas Tree“, macht nicht Halt vor einem gar nicht watteweichen „Winter Wonderland“, und natürlich dürfen auch die „Jingle Bells“ nicht fehlen, die hier allerdings zu einer melancholischen Bitterpille werden. Vom Begriff „Jazz“ sollten sich hier übrigens niemand täuschen lassen – dieses feine „Christmas Album“ steht mit mindestens einem Bein im Pop.

National Jazz Trio of Scotland: Christmas Album. Karaoke Kalk (Indigo). Zum freien Download von „Oh Xmas Tree“ in der Pianoversion auf Soundcloud.

Peaking Lights: Lucifer In DubMinimal-House-Kracher in Zeitlupe

(JA) Vor einem halben Jahr veröffentlichten die Peaking Lights ihr drittes Album „Lucifer“. Sechs Tracks der LP erhielten eine Neuauflage, die ganz im Zeichen „My Heart Dubs 4 U“! steht. DUB DUB DUB dubidu dachte sich Ehepaar Aaron Coyes und Indra Dunis und liebäugelte nicht mehr nur mit Dub-Anleihen, sondern veröffentlicht gleich „Lucifer In Dub“. Der ursprünglich psychedelische Pop wandert in die Club-Lounge. Aber das war den Peaking Lights von jeher eigen: Analoge Soundspielereien, die einen Song von den unterschiedlichsten Seiten immer wieder neu aufgreifen. Konsequent, die Dub-Technik zu potenzieren. Dunis’ Vocals vibrieren im Echo-Loop und ein dunkler Bass-Beat schlurft durch das Album. Die pulsierenden Melodien lassen passend zur Jahreszeit die sommerliche Leichtigkeit zurück und werden mit der Hektik wuseliger Krautrocker gedopt.


Peaking Lights – My Heart Dubs 4 U von domino

Eine Spiegelung des letzten halben Jahres Tourleben, die im bandeigenen Tonstudio aufgenommen wurde. Mit einem einjährigen Kind auf Tour zu gehen, ist nicht ganz stressfrei. Während Mama Indra zurück in den Staaten sich vermutlich um Söhnchen Mikko kümmerte, übertüftelte Papa Aaron das Album. In gewisser Weise ein Novum – der Vorgänger „936“ wurde noch zusammen mit anderen Musikern geremixt. Überhaupt gebar sich Coyes als recht umtriebig. Er arbeitete im Laufe des Jahres gleich mehrere Peaking-Lights-Sets aus und stellte sie ins Netz. „Lucifer In Dub“ entpuppt sich dabei bei näherer Betrachtung als Minimal-House-Kracher in Zeitlupe.

Peaking Lights: Lucifer In Dub. Domino. Zur Website, zur Facebook-Präsenz.

Patrick Wolf: Sundark RiverlightWenig Lametta

(MO) Zurzeit ist es bei Popstars aller Couleur in Mode, den eigenen Songs ein neues Gewand zu verpassen. Tori Amos veröffentlichte mit „Gold Dust“ orchestrale Fassungen ausgewählter Stücke, Kylie Minogue interpretiert auf „Abbey Road“ ihre glitzy Hits mal ganz seriös, und Brian Ferry wird die Gemeinde noch vor Jahresfrist mit „The Jazz Age“ beliefern, auf dem Roxy Musics Glamrock-Klassiker wie „Do The Strand“ im Stil der „roaring twenties“ präsentiert werden. Ob die Arrangementwechsel den Songs immer gut tun, sei dahingestellt, ist ja auch eine Geschmacksfrage. Auch der britische Pomp-Songwriter Patrick Wolf covert sich auf „Sundark Riverlight“ selbst – sein Ziel war es, die Songs so zu spielen, wie „sie eigentlich klingen sollten“, er habe eine „Aversion gegen technische Bearbeitungen“ entwickelt, und folgerichtig nahm Wolf „Sundark Riverlight“ mit einem großen, rein akustischen Orchester auf.

PATRICK WOLF – OVERTURE from David Motta on Vimeo.

Der „klassische“ Effekt tut nicht allen Stücken gut, denn es ist ja gerade die synthetisch verstärkte, Überbetonung, ja, Überwältigung, die Songs wie „The Libertine“ oder „Wind In The Wires“ so einzigartig machen. Eingespielt mit Streichern und Klarinetten wirkt so manches Stück wie ein Demo der späteren Albumversion, wie es die unerbittliche Pitchfork-Rezensentin beschreibt. Wolf hat die Songs auf eine eher düstere („Sundark“) und eine heitere CD („Riverlight“) aufgeteilt und gerade beim im (sehr artifiziellen) Original so überschäumenden, durchgedrehten und jubilierenden „The Magic Position“ drängt sich der Eindruck auf, dass „handgemachte“ Musik nicht immer die Bessere ist.

Auch Patrick Wolfs Stimme wirkt im klassisch instrumentierten Umfeld deplatziert: klingt sein Gesang im Rausch der elektrifizierten Töne herrlich dandyesk und überkandidelt, hört er sich auf „Sundark Riverlight“ seltsam knödelig und gepresst an. To cut it short: früher war bei Patrick Wolf mehr Lametta, und das war auch gut so.

Patrick Wolf: Sundark Riverlight. Bloody Chamber Music (Chrysalis). Zur Homepage.

Tracey Thorn: Tinsel And Lights Nicht zimperlich

(TM) Für ihr erstes Weihnachtsalbum hat sich Tracey Thorn (bekannt als die weibliche Hälfte von Everything But The Girl) die Kompositionen anderer Künstler vorgenommen und neu interpretiert. Jedes Jahr im November, so Thorn, sei sie neidisch auf die Weihnachtsalben der anderen, und also hat sie jetzt endlich auch ihr eigenes. Dem Zuhörer soll’s nicht zu Schaden sein, denn Thorn überzeugt mit ihrer unverwechselbaren Stimme und Arrangements, die leicht ins Ohr gehen und dennoch nicht läppisch sind.

Bei der Auswahl war die Musikerin nicht zimperlich. Es musste nicht unbedingt um Weihnachten gehen, wenn Schnee oder auch einfach nur Kälte darin vorkam, war der Song in der engeren Wahl. „Tinsel And Lights“ enthält Stücke von u. a. Sufjan Stevens, Randy Newman, Joni Mitchell und Ron Sexsmith. Als special guest begrüßt Thorn Green von Scritti Politti für ein Duett. Komplettiert wird die leise und stilvolle Sammlung durch Thorns eigene Titel „Joy“ und „25th December“ – einen der schönsten Weihnachtssongs überhaupt.

Tracey Thorn: Tinsel And Lights. PIAS (Rough Trade). Zur Website.

Various: Le pop 7Viel zu entdecken

(MO) Die „le pop“-Compilations sind immer ein ganz besonderes Vergnügen für Frankophile und -phone: die Reihe präsentiert junge französische und frankokanadische Acts, die zur Neo-Chanson-Szene gezählt werden und auf ganz individuelle Weise dem typisch französischen Chanson neues Leben einhauchen. Die KünstlerInnen werden durch die „le pop“-Alben und den anschließenden Clubtouren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und beginnen so häufig ihre internationale Karriere. Wie Francoise Breut, die schon auf dem ersten „le pop“-Sampler vertreten war und heuer – zum zehnjährigen Jubiläum übrigens! – auch auf „le pop 7“ zu hören ist, und zwar mit dem bezaubernden „Michka Soka“.

Eröffnet wird der Sampler mit „Battez-vous“ von Brigitte: Sylvie Hoarau und Aurélie Saada alias Brigitte sind zwar „le pop“-Novizinnen, aber es ist schon jetzt abzusehen, dass das exaltierte Duo die Welt erobern wird. Auch „L“, Lescop, Salomé Leclerc, Liza Manili und Damien sind neu im „le pop“-Universum; Camille hingegen ist schon ein Star, aber es ist ja immer wieder schön, ihrer Vokalakrobatik zuzuhören („L’étourderie“).

Auch Mathieu Boogaerts, Thierry Stremler, Dominique A, Fredda und Barbara Carlotti sind keine Unbekannten mehr; Stremlers „Et pourqoui pas?“ erinnert an große französische Chansonniers wie Gilbert Becaud und Serge Gainsbourg, das tanzbare „Le temps nous dira“ vom jungen Frankokanadier Ludo Pin ist von Synthie-Bands wie Indochine beeinflusst. Es gibt also viel zu entdecken auf „le pop 7“: Alors! Vite, vite, à la magasin du disques!

Various: Le pop 7 – les chansons de la nouvelle scène francaise. le pop musik (Groove Attack). Zur le pop-Homepage.

Moon Duo: CirclesVon null auf 60

(JA) „The eye is the first circle; the horizon which it forms is the second; and throughout nature this primary figure is repeated without end.“ So beginnt ein Essay von Ralph Waldo Emerson aus dem Jahr 1841. Entgegen dieser Inspirationsquelle strahlt „Circles“, das zweite Album, des Moon Duos eine unerhört coole Sexyness aus, die im 21. Jahrhundert angekommen ist. Ripley Johnson und Freundin Sanae Yamada setzen wie auf dem Vorgängeralbum „Mazes“ auf repetitiven Krautrock und spacigen Sound.

Mit Schmackes gesellen sich Johnsons noisige Gitarrenwände hinzu. Der Übergang von „Mazes“ zu „Circles“ ist nahtlos. Erfreulicherweise treten die Gitarren vehementer in den Vordergrund und die Synthesizer-Orgel wurde als Hype-Relikt von vor drei Jahren eingemottet. Mit angezogenem Tempo klingt das wie ein mit stoischem Beat laufender Motor, der zwar nicht von Null auf Hundert beschleunigt, aber Tempo 60 erreicht.

Entstanden ist eine Lederjacken-Attitüde, die heller als der Vorgänger ausfällt. „Circles“ beginnt mit dem eingängigen „Sleepwalker“. Der Track mäandert zwischen Billy Idol und The Jesus & Mary Chain. Rhythmisch gesehen der perfekte Aufwachsong – schlafwandelnd Kaffee kochen.

Die Arbeit am Album begann in der winterlichen Einsamkeit der Rocky Mountains und setzte sich – wie jeher nomadisch – im Frühling in San Francisco fort, um letztlich wie „Mazes“ das Mastering in Berlin verpasst zu bekommen. Da wären wir wieder beim anfänglichen „repeated without end“ angelangt. Wenn das mit einer so geradlinigen Gelassenheit passiert, ist das eine tolle Sache.

Moon Duo: Circles. Souterrain Transmissions (Rough Trade). Zur Bandhomepage, zur Facebook-Präsenz, zum freien Download von „Sleepwalker“ auf Soundcloud.

Kluster: Schwarz (Eruption)Interessante Soundexperimente

(TM) Die vordergründige Wirkung dieses Re-Releases liegt in der richtigen Einordnung des 1971 erstmals erschienenen Albums. Lange Zeit wurde es Conrad Schnitzler zugeschrieben, da es auf seinem eigenen Label erschien. Weitere Hinweise zu den beiden überlangen Kompositionen gab es keine, auch nicht auf dem monochromen Cover. Mittlerweile ist klar – hinter „Schwarz (Eruption)“ steckten Kluster, also neben Schnitzler auch Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius. Diese Einordnung ist aber wie gesagt nur die oberflächliche.

Lässt man sich auf die beiden jeweils etwa 30 Minuten langen Stücke ein, dann macht man erstaunliche Entdeckungen. Es handelt sich um zwei Live-Improvisationen, die aber zu keinem Zeitpunkt improvisiert erscheinen. Hier sind drei Virtuosen am Werk, die sich ihrer Vision ganz hingeben, dabei aber unglaublich streng wirken. Melodien, auch repetitive Krautrockmuster sucht man auf „Schwarz“ vergeblich. Dafür bietet die Platte für unerschrockene Hörer interessante Soundexperimente.

Kluster: Schwarz (Eruption). Bureau B (Indigo). Zur Bureau B – Homepage.

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