Neue Platten von und mit ThEESatisfaction, Garbage, Dntel, Lissy Trullie, Lochs Balthaus Herskedal, Ladyhawke, Stereo Total und Kylie Minogue, gehört von Tina Manske (TM), Christina Mohr (MO) und Thomas Wörtche (TW).
Göttinnen aus Seattle
(MO) Es gibt Platten, die einfach zum richtigen Zeitpunkt kommen: ThEESatisfactions Debütalbum zum Beispiel, jedenfalls für die Rezensentin und bestimmt auch für viele andere. Denn gerade wollte besagte Rezensentin ein großes Lamento darüber anstimmen, wo denn bitteschön die Innovationen in HipHop, R’n’B und Soul bleiben – und schon kommen Stasia Irons und Catherine Harris-White aus Seattle herüber, um mit „Awe Naturale“ nicht nur zu versöhnen, sondern völlig zu begeistern. „Feminista sci-fi funk ’n‘ immortal psych grooves from the Seattle twosome, for fans of Erykah Badu and Shabazz Palaces alike“, so steht´s im Presseinfo und trifft schon mal ganz gut, was ThEESatisfaction ausmacht. Man sollte noch erwähnen, dass „Awe Naturale“ stellenweise ätherisch und entrückt wirkt, gleichzeitig aber kraftvoll
und geerdet. Das kriegen die beiden super hin, lässig und fast wie nebenbei. Dub, verschleppte Beats, repetitive Loops, zerhäckselte Jazzharmonien, latineske Bläser, Samples von Earth, Wind & Fire und Curtis Mayfield’scher Oldschool-Streetsoul und explizite Lyrics fügen sich zu einem organischen, pulsierenden Ganzen, das so vertraut wie unerhört neu klingt. Stasia und Cat kommen mit ihren Raps auf den Punkt und schwafeln nicht unnötig herum. Die Tracks haben prägnante Titel: „Bitch“, „Deeper“, „Sweat“, „God“. Bei „QueenS“ und dem absolut durchgedrehten „Needs“ will, nein, muss man aufspringen, tanzen und sich den großen, sexy Göttinnen aus Seattle hingeben.
ThEESatisfaction: Awe Naturale (Sub Pop/Cargo). Zur Homepage.
„It really was nothing“
(MO) Um ganz ehrlich zu sein: so richtig sympathisch waren Garbage der Rezensentin nie. Nirvana-Produzent und Schlagzeuger Butch Vig inszenierte die Band von Null auf Supergroup, angefangen mit der als sexy Aushängeschild engagierten Sängerin Shirley Manson bis zum Ausleihen von in Indiekreisen bewährten Songtiteln wie „Only Happy When It Rains“. Und eigentlich kamen Garbage mit ihrem Post-Grunge-Rocksound 1995 ein bisschen zu spät, doch der Erfolg gab ihnen ein paar Jahre lang recht. Ab 2001 bröckelte es bei Garbage an allen Ecken und Enden, Shirley Manson wurde krank, Tourneen und Platten liefen nicht mehr so gut. Also Pause, 2007 Best-of-Album, wieder vereinzelte Auftritte und jetzt „Not Your Kind Of People“. Eine Platte, deren Sinn und Notwendigkeit sich nicht erschließen mag – und das sage ich jetzt nicht
nur, weil ich Garbage ohnehin zweifelhaft finde. „Not Your Kind Of People“ klingt wie ein halbgarer Aufguss aller möglichen Bands der mittleren Neunziger: Smashing Pumpkins, Pearl Jam, Stiltskin oder eben Garbage, die ja sowieso schon ein Aufguss waren. Jeder einzelne Track (in der Deluxe-Albumversion sind es ganze fünfzehn Stücke!) ist für den
maximalen Effekt im Stadion gestrickt: Pompös und überproduziert, Hauptsache laut und dröhnend, neue Ideen – Fehlanzeige. Die Bandbreite pendelt zwischen Rockhymne und Rockballade. Der beste Song heißt „Felt“ und schwelgt in düsterem Achtziger-Synthiesound, Shirley singt mit kühler und gleichzeitig emotionaler Stimme: „sure you felt something / felt sure / but it really was nothing.“ Wie wahr.
Garbage: Not Your Kind Of People. Cooperative/Universal. Zur Homepage der Band.
(TM) Jimmy Tamborello alias Dntel schickt uns mit seinem neuen Album „Aimlessness“ gar nicht so wahl- und ziellos auf eine Zeitreise. Es geht zurück in die frühen 2000er-Jahre, als Dntel mit seinen Click’n’Cuts zum ersten Mal für Aufsehen sorgte und mit „Life Is Full Of Possibilities“ elektronischer Musik ein Herz und viel Gefühl gab. Viel verändert hat er an seinem Sound nicht, trotzdem kommt das Geklimper, Gehäcksle und Ambiente immer noch sehr gut an. Bei der Produktion des Albums hat DJ Koze geholfen, dessen urspünglicher Plan es war, eine Scheibe mit Enya-Remixen zu veröffentlichen, was allerdings an Urheberrechtsfragen scheiterte. So muss „Aimlessness“ jetzt ohne Enya auskommen, dafür hört man zum Beispiel auf „Santa Ana Winds“ die schöne Stimme von Ramona Gonzalez alias Nite Jewel. Höhepunkt ist aber das wunderbar fließende, mit der geloopten Stimme von Baths versehene „Stills“ – besser kann man einen sehnsuchtsvollen Sommertag musikalisch nicht untermalen. Fans von Apparat haben die Platte wahrscheinlich aus gutem Grund eh schon vorbestellt.
Dntel: Aimlessness. Pampa (Rough Trade). Dntel bei MySpace.
Only music
(MO) Fast trotzig schreibt Lissy Trullie auf ihrer Website: „I only make music. I am NOT a model nor a model turned singer.“ Das stimmt nicht ganz, Trullie modelte durchaus für Indie-Produktionen und wurde 2008 vom Paper Magazine zu den „30 schönsten Menschen“ gezählt. Aber die amerikanische Gitarristin und Sängerin weiß natürlich ganz genau, dass musizierenden Models meist mit Häme und Geringschätzung statt mit Respekt begegnet wird, siehe z. B. Samantha Fox, Stephanie von Monaco, Naomi Campbell, Heidi Klum; Everybody´s Darling Carla Bruni ist eine der wenigen Ausnahmen. Lissy Trullie hat mit den genannten Damen außer Schönheit nichts gemein, ihre Musik ist nämlich richtig gut. Vor drei Jahren machte sie mit der EP „Self-Taught Learner“ auf sich aufmerksam, unvergessen ihre coole Rockversion von Hot Chips „Ready For The Floor“. Blondie, TV On The Radio und The Cribs nahmen sie mit auf Tour, sie nutzte die Zeit, um ihre Gitarrenskills zu verbessern und Songs für ihr Album zu schreiben. Produziert von David Sitek (TV OTR) und mit instrumentaler Unterstützung von Jaleel Bunton (TV OTR), Holly Miranda und Robert Ackroyd (Florence & The Machine) entstanden elf gitarrenbetonte Indie-Popsongs, perfekte Mischungen aus Anna Calvi, Blondie, Marnie Stern und Charlotte Hatherley – new-wavig, poppig, mit ein wenig Sixties-Flair und ganz viel Rockappeal. Songs wie „Rules We Obey“, „Madeleine“ oder „I Know Where You Sleep“ sind eingängig und leicht, dabei nie leichtgewichtig. Lissy Trullie erfindet keine neuen Räder, aber sie sagt ja selbst: „I only make music.“
Lissy Trullie: diro. Wichita (PIAS). Zur Homepage von Lissy Trullie und zu MySpace.
Kunststückchen auf Kunststückchen
(TW) Trompete/Flügelhorn (Bert Lochs), Piano (Dirk Balthaus), Tuba (Daniel Herskedal), Saxophone und Klarinette (Michael Moore) erfreuen sich ihres Daseins und spielen miteinander. Kleine Melodien, lange getragene Linien, auf- und abschwellend, rhythmische Variabilität und eine sehr großzügige Ausnutzung der tonalen (und ein ganz klein wenig der atonalen) Möglichkeiten der beteiligten Instrumente weben eine vierstimmige musikalische Konversation, für die man kaum eine geeignete Bezeichnung finden kann. Und auch gar nicht finden muss und will. Viel swing hat das ganze Unternehmen nicht, aber schon viel Dynamik, manchmal einen kleinen latin tinge, dann wieder Einschüsse von Kirchenmusik und Barock-Trompete, mit high notes und growl, wenns´s gerade gefällt. Die Virtuosität der Musiker ist beeindruckend, ebenso ihre Kenntnis der Musikgeschichte, ob E oder U. Hören Sie sich daraufhin mal Dirk Balthaus´ Piano-Intro von „B-Tango“ an, was da so alles drinsteckt (so was mögen Rezensenten, da können sie ihr eigenes Wissen dran glänzen lassen). Und wie im selben Stück Moores Klarinette die herrschsüchtige Trompete von Lochs unterläuft und die ganze Angelegenheit leicht an-klezmert (wie weiland Giora Feidman bei Astor Piazolla). Ähnlich tricky sind alle anderen acht Stücke strukturiert, vielschichtig, absolut intelligent und clever ausgedacht, brillant umgesetzt. Und, aber das ist vermutlich der Preis für soviel Kopfarbeit, auch ein wenig anstrengend zu hören, weil Kunststückchen auf Kunststückchen folgt und sich dadurch eine Art musikalische Schlaumeierei aufdrängt. Aber das ist vermutlich sehr ungerecht.
Lochs Balthaus Herskedal (plus special guest Michael Moore): Choices. Berthold Records. Zur Homepage.
Mit Haut und Haaren E-Gitarre
(MO) Ich mag ja die neuseeländische Multiinstrumentalistin Ladyhawke, die ihren Künstlerinnennamen nach einem Film mit Michelle Pfeiffer aussuchte, eigentlich Philippa „Pip“ Brown heißt und mit Nick Littlemore (heute Empire of the Sun) das ziemlich tolle Duo Teenager gründete. 2008 konnten sich viele Hipster und Hipsterinnen auf Ladyhawkes Song „My Delirium“ und das anschließende Debütalbum einigen: Miss Browns unbefangener Umgang mit analogen Synthesizern und bewusste Rückgriffe auf ELO und Fleetwood Mac waren so catchy wie hitverdächtig. Ihr neues Album hat Ladyhawke „Anxiety“ genannt, weil sie sich ein bisschen davor fürchtet, wie es ihre Fans aufnehmen, dass sie sich mit Haut und Haaren der E-Gitarre verschrieben hat. Synthies gibt es auch noch, aber eher als schmückendes Beiwerk, damit Miss Browns Bretter nicht gar so heftig rüberkommen. Auf „Anxiety“ hört man deutlich Ladyhawkes Lieblingsbands heraus: Smashing Pumpkins! Metallica! Soundgarden! Nirvana! Joan Jett & The Blackhearts! Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Stone Temple Pilots! Amtlicher, schwerer, teils glamouröser, stets breitwandiger Rock für große Open Air-Bühnen mit schlammigen Moshpits davor. Will heißen: Songs wie „The Quick & The Dead“, „Gone Gone Gone“ und den namenlosen Hidden Track muss man laut & draußen hören. Die Albumproduktion ist allerdings recht glatt und formatradiotauglich geraten, aber klar, Universal will „Anxiety“ ja auch ordentlich verkaufen. Ich persönlich bevorzuge die „Synthie-only“-Persona von Ladyhawke, aber vielleicht treibt es mich in diesem Sommer zu einem Festival, bei dem ich mich zu „Black White & Blue“ volle Kanne in den Matsch werfe.
Ladyhawke: Anxiety: Island (Universal). Die Homepage von Ladyhawke.
Energie, Euphorie, Enthusiasme
(MO) Stereo Total sind ein Phänomen, das kann man einfach nicht anders sagen. Seit fast zwanzig Jahren ist das Traumpaar Francoise Cactus und Brezel Göring in eigener Mission unterwegs und schafft es auch mit dem elften Album wieder, die eigene und die Fan-Begeisterungskurve am Anschlag zu halten. Eigentlich kann man über jede Platte von Stereo Total dasselbe schreiben: Brezel und Francoise reiten wild und glamourös durch -zig verschiedene Stile von Rumpelpunk über französische Chansons, trashigen Discosound, Rockabilly und Elektro. Die Texte sind mal auf Deutsch, mal auf Französisch und auf Englisch und befassen sich mit allem, was wichtig ist: Frauen, Männer, Liebe, Sex, Hotels. So ist es auch auf „Cactus versus Brezel“ – wir wollen aber die kleinen, wichtigen Details nicht verschweigen: „Cactus versus Brezel“ erscheint beim Berliner Label Staatsakt, wo ja jetzt alle sind, die Rang und Namen haben. Aufgenommen wurde das Album in Los Angeles (L.A.!), wo Brezel und Francoise mit Black Keys-Bassist und Co-Komponist von Lenas „Taken By A Stranger“ Gus Seyffert (!!) alle fünfzehn Songs auf einen Rutsch live einspielten. Fehler wurden drin gelassen – Effekt: pure Energie, Euphorie, Enthusiasme, um es in typischer ST-Dreiwort-Lingo zu sagen. Das Cover ist ebenfalls eine Notiz wert: Klaus Theuerkauf gestaltete ein Cover von Klaus „Katze“ Cornfield einfach um – Popart-Recycling sozusagen, was perfekt zur Musik passt: schließlich recyceln sich Stereo Total aufs Allercharmanteste immer wieder selbst. Und wie immer bei Stereo Total sind mindestens drei dicke Hits dabei: „Die Frau in der Musik“, „Das Monstrum“ und „Ich will Blut sehen“.
Die Frau in der Musik: http://soundcloud.com/stereototal/stereo-total-die-frau-in-der-musik
Stereo Total: Cactus versus Brezel. Staatsakt. Zur Homepage und zur Facebook-Seite. Zur Seite vom Staatsakt.
Unkaputtbar
(MO) Keine Sorge, wir werden an dieser Stelle Kylie Minogue nicht als zu Unrecht verkannte Interpretin großer musikalischer Kunstwerke lobpreisen – in ihrer Frühphase trällerte Kylie trashigen Bubblegum-Pop aus der Feder von Stock/Aitken/Waterman („The Loco-Motion“, „Better The Devil You Know“, „Tears On My Pillow“), der die wohlwollende Rezeption späterer Werke bis heute belastet. Andererseits verdient niemand Applaus, Jubel und Feuerwerk so sehr wie die unkaputtbare, aus allem Unbill (z. B. Krebserkrankung) stets strahlend und fröhlich wiederauferstehende Australierin. Seit ihrem Auftreten in der TV-Serie „Neighbours“ und ihrer ersten Single von 1987, seit 25 (!) Jahren also singt, tanzt und lächelt Kylie Minogue und war in dieser langen Zeit weder so verbissen wie Madonna, so kapriziös wie Whitney Houston oder durchgeknallt-genialisch wie Lady Gaga – Kylie ist trotz Puschel am Po eher der Kumpeltyp, und man kann sich gut vorstellen, wie sie in ihren berühmten goldenen Hotpants den Roadies nach der Show ein eisgekühltes Bier bringt. Und wir wollen nicht ungerecht sein: in ihrer späteren, Nick Cave- und gay-community-geadelten Phase entstanden großartige Discohits wie „Can´t Get You Out Of My Head“, „Confide In Me“ und „Spinning Around“, die frühere Vergehen dann doch wieder gutmachen. Möglicherweise waren Stock/Aitken/Waterman doch große Visionäre, als sie 1988 für Kylie „I Should Be So Lucky“ schrieben, diesen im Nachhinein so programmatischen Hit, der sich neben zwanzig anderen Songs auf „The Best of Kylie Minogue“ befindet – großes Plus dieser Compilation ist die beigelegte DVD mit Kylies offiziellen Videos.
The Best of Kylie Minogue (CD + DVD). EMI Catalogue. Zur Homepage der Sängerin.