Neue Platten von und mit Islands, Scott Miller, Lee Camflied und Merzbow, Pick A Piper und Grizzly Bear, gehört von Ronald Klein (RK) und Tina Manske (TM).
Ziemlich wütend
(TM) Islands, die Nachfolgeband der Unicorns, existieren nun auch schon seit 2005, und auch ihr fünftes Abum „Ski Mask“ zeigt Mastermind Nick Thorburn auf der Höhe seines Songwritings. Was klingt wie entspannte Westcoast-Popmusik ist allerings – hört man mal auf die Texte – ein ziemlich wütendes Album.
„Are you impressed with how depressed I’ve become?“, fragt Sänger Nick Thorburn in „NIL“; Songs heißen dann auch gleich „Of Corpse“ oder „Death Drive“, während in „Becoming The Gunship“ die sanfte, aber bestimmte Warnung ausgesprochen wird: „Run away/ Cannonball/ Bomb’s Away/ You don’t want to be here when I hit them all“ gefolgt von einem herzlichen „Life is not a gas, it’s a gas chamber“ („Winged Beat Drums“). Thorburn bestätigt das gern: „Die Platte handelt tatsächlich davon, sauer zu sein“.
Wenn solch eine Wut allerdings zu solch formidablem Songwriting führt, soll es uns natürlich mehr als recht sein. Eine vielseitigere, so scheinbar unbeschwert zwischen Indierock und Art-Pop pendelnde Platte mit ebenso ansprechenden wie anspruchsvollen Kompositionen wird man kaum finden. Allen voran natürlich „Wave Forms“, das als Song eigentlich in jede Jahresbestenliste gehört.
Islands: Ski Mask. Manqué Music (Cargo).
Drones lassen grüßen
(RK) In der Psychologie gibt es die durchaus interessante Beobachtung, dass Eigen- und Außenwahrnehmung bisweilen stark divergieren. Übertragen auf den Bereich der Promo-Texte der Plattenfirmen: Wer es sich leicht macht, schreibt die vorgefertigten Gedanken einfach ab. Wer zuerst eine Platte am Stück hört, und dann ins Detail geht, kommt oft zu ganz anderen Ergebnissen, als ein fertiger Text suggeriert.
Im Falle der Kollaboration der drei Musiker Scott Miller, Lee Camflied und Merzbow drängt sich erst der Eindruck auf, man lausche einer ultralangsamen Jazzkapelle. Der Begriff Doom-Jazz wird ja meist den phänomenalen Bohren and the Club of Gore zugeschrieben, die die Entschleunigung perfektioniert haben. Die drei Herren aus den Vereinigten Staaten und Japan geben zwar zu Beginn etwas mehr Gas, aber es jazzt gewaltig. Merzbows elektronische Einsprengel verstärken den Eindruck sogar noch. Nach einigen Minuten bricht jedoch der Takt auf, Lärm dringt in das Klanggebilde, das nun nicht mehr rhythmus-orientiert, sondern flächig klingt. Drones lassen grüßen.
Der Pressetext erklärt, dass Black Metal auf Industrial und Doom trifft. Für einen mittelprächtig toleranten Metal-Fan jedoch werden die zwei Stücke, die es auf eine Spiellänge von 44 Minuten bringen, eine pure Enttäuschung darstellen. Umgekehrt stellt das Label Metal – trotz Innovatoren wie Sunn O))) – für viele Musikfans noch immer eine gewöhnungsbedürftige Konnotation dar. Wer erwartet, „No Closure“ ließe sich in eine der (modernen) Schubladen stecken, wird enttäuscht. Die zwei Stücke stellen eine moderne Komposition dar, dunkel im Habitus, ungewohnt im Klang: dabei wunderbar erratisch und trotz repetitiver Sequenzen stets überraschend.
Scott Miller/Lee Camflied/Merzbow: No Closure. Cold Spring (Cargo).
Eigentümlicher Sog
(TM) Brad Weber ist musikalisch bisher vor allem als Schlagzeuger von Caribou auffällig geworden. Auf seinem Debütalbum als Pick A Piper (zusammen mit Angus Fraser und Dan Roberts) hört man diese Verwandtschaft deutlich heraus, schon beim Opener „Lucid In Fjords“ – das Schlagzeug und die Falsettstimme erinnern angenehm an Caribou-Hits wie „Odessa“ oder „Sun“. Hit des Albums ist natürlich „All Her Colours“, das von Beginn an, wenn die tiefen Tastentöne brummen, einen eigentümlichen Sog entfaltet, egal, ob man jetzt dazu tanzen möchte oder nicht.
Und so ist das ganze Album „Pick A Piper“ eine tolle Mischung aus digitalen und analogen Tönen und Beats, das zum Meditieren ebenso einlädt wie zum Pogen. Layer wird über Layer geschichtet, bis die Hütte brennt. Dazu kommen hübsche Anspielungen an die Popgeschichte – „Once Were Leaves“ etwa zitiert sehr fein Visages „Fade To Grey“. Als Gastmusiker sind viele Freunde Webers dabei, z. B. Andy Lloyd von den Born Ruffians, Mitglieder der Ruby Suns und John Schmersal von Enon und Brainiac.
Pick A Piper: dito. City Slang (Universal).
Meisterwerk 2.0
(TM) Eine der Platten, die ich seit ihrem Erscheinen im Herbst 2012 auf meinem Smartphone mit mir herumtrage und auch nicht zu löschen wage, ist Grizzly Bears Meisterwerk „Shields“. Bei iTunes soll es sogar Bestes Album des Jahres 2012 gewesen sein. Nun erscheint – hurra! – mit „Shields Expanded“ eine Doppel-CD mit dem Original-Album und einer zweiten CD voller bisher unveröffentlichter Songs der Aufnahmesessions sowie Remixes. Die Liars beispielsweise können wieder einmal ihre ganze Klasse zeigen, beim Remix von „A Simple Answer“, einem klaustrophobischen elektronischen Kammerstück, dass sich plötzlich zum Dancetrack wandelt, um dann in einen sympathischen Autismus zurückzufallen – ganz groß.
Ebenso übrigens wie die Remix-Version von „Gun-Shy“ aus der Feder des norwegischen Produzenten Lindstrøm. Dazu kommen wie gesagt einige leise, ganz dem Songwriting von „Shields“ verwandte bisher nicht gehörte Songs, die ganz und gar nicht gegen die schon bekannten abfallen. Hier sind große Könner am Werk. Gleich nochmal „Yet Again“ aus „Shields“ einlegen und schwelgen!
Grizzly Bear: Shields Expanded. Warp (Rough Trade).