Geschrieben am 18. Januar 2012 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue und wiederaufgelegte Platten von Andreas Dorau, DJ Cam, Kiesgroup, Wise Blood und Sprung aus den Wolken, gehört von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

Antworten auf brennende Fragen

(MO) In der Vorweihnachtszeit grassierte die Re-Release-Manie besonders heftig: die Litfassäulen verkündeten „20 Jahre ‚Achtung, Baby’“, „33 Jahre ‚Some Girls’“ oder bewarben gleich das komplette Werk von Pink Floyd, remastered und in Luxus-Edition, versteht sich. Die KäuferInnen dieser Produkte sind möglicherweise nicht deckungsgleich mit der Zielgruppe, die sich für die Wiederveröffentlichungen des Düsseldorfer Labels Ata Tak interessieren könnte. Bei Ata Tak sind in 32 Jahren 160 Alben erschienen, nicht übermäßig viel also, und jede einzelne Platte ein Juwel: Der Plan zum Beispiel, Oval, DAF und Pyrolator. Ab Januar 2012 werden Ata Tak-Re-Releases von Bureau B aus Hamburg herausgebracht, beginnend mit den ersten beiden Alben von Andreas Dorau, der gerade mit „Todesmelodien“ seinen verdienten vierten Frühling erlebt.

1981 war Dorau knapp 18 Jahre alt und dank des als Schulaufgabe entstandenen Hits „Fred vom Jupiter“ einer der ersten Neue Deutsche Welle-Stars. „Fred“ wurde aber auch zum Fluch, weshalb Andreas bis heute auf seinen Konzerten versprengte NDW-Partygänger begrüßen muss. Hört man „Blumen und Narzissen“ und den Nachfolger „Die Doraus & die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen“ heute, wird klar, warum Dorau keinesfalls mit debilen Kapellen wie UKW in einen Topf geworfen oder auf eine Compilation gepackt gehört. Andreas Dorau hatte schon immer – auch wenn er sich kokett als Nicht-Musiker bezeichnet – ein Riesentalent für eingängige Popsongs und eine sehr treuherzige Art zu texten und zu singen, was ihm den Ruf als Naivling einbrachte.

Was natürlich falsch ist und er selbst weit von sich weist. Songs wie „Einkauf“, „Ich hab das Glück“, „Junger Mann“ oder „Nordsee“ wohnt eine tiefe Weisheit inne, die wegen Doraus auch heute noch pubertierend wirkender Stimme erstmal nach Witz klingt. Der aber bei UKW-Fans nicht zündet(e), und auch nicht bei den Rundfunkzensoren, die sein „Kleines Stubenmädchen“ 1983 auf den Index setzten. Die Texte (häufig übrigens von Wolfgang Müller) sind das eine: leider fällt in der Dorau-Werkbetrachtung die Musik oft unter den Tisch, was schade ist, denn Dorau war stets up to date. In den frühen Achtzigern mixte er Disco, Ska, Schlager und Punk zu perlendem Pop, gute zehn Jahre später entdeckte er House, heute zitiert er lässig all seine Schaffensphasen.

Wer 1981 noch zu klein war für die „echte“ Neue Deutsche Welle im Sinne Alfred Hilsbergs oder noch gar nicht geboren, kann jetzt dank Bureau B Nachhilfestunden nehmen. „Blumen und Narzissen“ und „Die Doraus & die Marinas….“ erscheinen als CD, Download und Vinyl, mit vielen Fotos und  Bonustracks, im Booklet erklärt Carsten Friedrichs von Superpunk alles Wissenswerte.

Andreas Dorau: Blumen und Narzissen; Die Doraus & die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen.  Re-Releases von 1981 und 1983. ata tak/Bureau B. Zur Homepage von Bureau-b und Ata Tak.

DJ CAM: SevenPionier des Trip-Hops

(JA) Harmonische Downtemponummern für die kalte Jahreszeit gefällig? Dann empfehlen wir das zeitlos schöne, siebente Studioalbum von DJ CAM alias Laurent Daumail. Ganz pragmatisch „Seven“ genannt, befinden sich darauf zehn entspannte Tracks, die geschmackssicher Trip-Hop, Ambient, Folk und Jazzanleihen miteinander verbinden.

Wenn zudem Chris James von Stateless und Nicolette, die vor allem durch ihre Stimme auf dem Massive Attack-Erfolgsalbum „Protection“ bekannt ist, den Gesang auf dem Album tragen, fühlt man sich in die großen Zeiten von Radiohead und eben Massive Attack zurückversetzt. Bei Laurent Daumails Arbeit als Produzent und Sounddesigner, hört man seine Arbeit an Soundtracks ebenso durch wie die Tatsache, dass er ein Pionier des Trip-Hops der 90er-Jahre ist. Allein es fehlt ein wenig Mut, Neues auszuprobieren. Wen das nicht stört, der kann zu „Seven“ wunderbar seine Gedanken schweifen lassen und sich zwischen dunklen und hellen Gemütsschattierungen eine ordentliche Portion easy going abholen.

Bei all der Leichtigkeit überlässt der Franzose nichts dem Zufall. „Seven“ ist auf Daumails eigenen Label Inflamable Records erschienen, und das Bild auf dem Cover stammt aus seiner Fotoserie „Landscape Architecture“, die als Visual Effect auch seine Live-Shows unterlegt.

DJ CAM: Seven. Inflamable Records/K7! (Al!ve). Homepage; Facebook; Soundcloud

Kiesgroup: ShantychristGekonnter Erzähler

(TM) Erstmal vorab: das großartige Cover dieser Platte stammt aus der Feder des Künstlers Ulli Maier und trägt den Titel „Adolf fühlt sich wieder ganz gut“. Dieses Cover dürfte dem neuen Album der Düsseldorfer Band Kiesgroup hoffentlich ein wenig mehr Aufmerksamkeit einbringen als normalerweise. Normalerweise sind Kiesgroup nämlich eher eine Band aus der Kategorie „Geheimtipp„ – den Grund dafür wissen die Geier.

Warum sind Blumfeld Legende und die Kiesgroup nicht? Denn Andreas van der Wingen, als Texter und Sänger der Kopf der Band, sowie die Mitstreiter Maximilian Stamm und Stefan Jürke zusammen mit Dutzenden Helferchen machen richtig guten Pop mit Punk-Attitüde und brandaktuellen, klugen Texten.

„Deutschland frag nicht warum/ Deutschland frag nicht woher/… Deutschland es ist einfach da“, heißt es in „Space Bob“, einem Remake von Der Plan aus den 80ern, schön lakonisch – feine Nadelstiche gegen die allgegenwärtige Beschäftigung der Deutschen mit sich selbst, die auch heute noch bzw. wieder passen.

Musikalisch bewegt sich die Kiesgroup gekonnt zwischen Bernhard Brink, Rockformation Diskokugel und Jens Friebe. Mehr als eine Zugabe ist übrigens das Kriminalhörspiel „Sommerzeit“, das Andreas van der Wingen letztendlich als das zeigt, was er ist: ein sehr unterhaltsamer Erzähler. Da können sich die langweiligen Provinz-Krimis mal ’ne Scheibe abschneiden.

Kiesgroup: Shantychrist. Tumbleweed Records (Broken Silence). Zur Homepage.

Wise Blood: These WingsSound unserer Zeit

(JA) So zum Jahresbeginn lässt sich schon mal die ein oder andere großartige Scheibe aus dem letzten Jahr entdecken. So geschehen mit der EP „These Things“ von Wise Blood – eine der unterschätztesten Acts 2011. Wise Blood alias Chris Laufman lebt in Pittsburgh und friemelt so lange an den Pop-Songs anderer Künstler herum, bis sie nicht mehr zu erkennen sind – sozusagen eine musikalische Collage.

Gepaart mit Laufmans Stimme sind diese Samples eindringliche Offenbarungen, die zwischen Fieberwahn und sakraler Erhabenheit changieren. Unbedingter Anspieltipp ist „Loud Mouths“. Wut, Energie, Unmittelbarkeit, die von einer eigenartigen Melodiösität begleitet werden. Laufman sagt: „I think it’s one of the most important aspects of music, being able to mix noise and melody and have it work right.“

Den Songs obliegt trotz dunklen Momenten ein Optimismus, der sich am besten mit Laufmans Werdegang erklären lässt. Als ehemaliger Friedhofsarbeiter wurde er bei der Beerdigung eines neunjährigen Kindes gewahr, dass er noch lebendig ist, was ihm half, dem Leben positiv gegenüber zu stehen. Die Schizophrenie zwischen depressiven Verzweiflungsschreien und popaffiner Lebensbejahung prädestinieren Wise Bloods Musik zum Sound unserer Zeit, dem in Anbetracht der Sample-Technik nicht einmal das durch die Musikpresse geisternde Phänomen des Referenziellen fehlt.

Wise Blood klingt frisch und neu und verdient unbedingt mehr Aufmerksamkeit. Für den Februar ist ein Konzeptalbum geplant, das laut Laufman zu einem unausweichlichen Zusammenbruch von Wise Blood führen soll. Arbeit auf dem Friedhof führt offensichtlich zu einem besonders schwarzen, unbedingt mit Auflösungserscheinungen verbundenen Humor.

Wise Blood: These Wings. Loose Lips Records/Cooperative Music. Homepage, Facebook und Soundcloud. Einen Free Download von „Loud Mouths” gibt es hier und von der EP (2010) hier.

Sprung aus den Wolken: Lust Last LiebeUnterkühlt

(TM) Sprung aus den Wolken war eine Institution im Berliner Kulturleben der 80er-Jahre: Sänger Kiddy Citny gründete die Band, zu deren Besetzung kurzfristig auch Jochen Arbeit und Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten angehörten. Mittlerweile ist Citny angesehener Maler, der sogar im MoMa in New York ausstellt.

Anfang der Neunziger wurde es still um die Band, mittlerweile treten sie wieder öfters in Erscheinung. So auch mit dem neuen Abum „Lust Last Liebe“, das dieser Tage auf dem Label Le Son du Maquis erscheint. Gewohnt unterkühlt tönt es aus den Boxen, die Synthies sind wie auf Autopilot, dazu die dadaistischen von Citny mal flüsternd, mal schreiend intonierten Texte.

Die spannenden Momente erlebt man allerdings mehr in der Musik als in den Lyrics, welche ab und an geradezu unfreiwillig komisch rüberkommen. In die Charts will das hier natürlich mal wieder nicht – gut so.

Sprung aus den Wolken: Lust Last Liebe. Le Son du Maquis (Broken Silence).

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