Geschrieben am 4. Mai 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von 31Knots, Alexander Tucker, Clara Lucia, Jason Forrest und Times New Viking, besprochen von Janine Andert (JA), Jörg von Bilavsky (JvB) und Tina Manske (TM).

Times New Viking: Dancer EquiredWeil sie’s können

Das amerikanische Trio Times New Viking lässt mit seinem fünften Album “Dancer Equired” das Herz jedes Lo-Fi-Fans höher schlagen. Die schrägen Gesänge von Drummer Adam Elliot und Keyboarderin Beth Murphy paaren sich mit infantiler Spielfreude, die in ihrer ästhetisch so gewollten Disharmonie einfach Spaß machen. Es entsteht mitunter der Eindruck, drei betrunkene Musiker hauen leidenschaftlich in die Keyboardtasten und lallen dazu melodiös mit. Gittarist Jared Phillips ist dabei der nüchternste Saufkumpan. Vorbilder der 2005 gegründeten Band dürften Guided By Voices oder auch Pavement gewesen sein, die Times New Viking im Herbst 2010 supporteten. Highlight zum aktuellen Langspieler „Dancer Equired“ ist das Video zu „No Room To Live“. Aufnahmen der Band wurden von Brandon Reichard und Pelham Johnston unter Beteiligung von 40 Künstlern aus Columbus, Ohio, der Heimatstadt von Times New Viking, und ein paar anderen Orten neu bearbeitet. Insgesamt wurden fast 3.000 Einzelbilder per Hand bemalt und nachkoloriert. Das ist konsequente Hinwendung zum Lo-Fi – die Verwendung veralteter Techniken, einfach, weil es schön ist und weil man es kann. (JA)

Times New Viking: Dancer Equired. Wichita/Cooperative Music (Universal).
Die Homepage des Trios. Die Band bei Facebook und auf Myspace.

Jason Forrest: The EverythingEklektisch bis zum Umfallen

Jason Forrest kennt man bisher vor allem unter seinem Moniker Donna Summer. Als Elektro-Produzent macht er Musik, die sich gerne bei Mash Up und diversen Samples bedient und sehr kenntnisreich zwischen experimentellem Elektro, Funk, Disco und Breack-Core pendelt. Auch sein neues Album „The Everything“ ist zwischen diesen Polen zu verorten. „The Everything“ ist aber vor allem eins: eklektisch bis zum Umfallen. Wie’s der Titel schon sagt will alles hier verwendet und zitiert sein. Das funktioniert am Anfang auch ganz prima, wenn Forrest Ideen von Ennio Morricone bis zu 70er-Jahre-Psychedelia . Zum Ende hin aber nutzt sich der Effekt ganz schon ab und gleitet die ständige Immer-noch-ein-Layer-mehr-Technik doch ganz schön, auch wenn man die Filigranität dahinter immer noch zu erkennen meint. Vielleicht taugt diese Musik doch besser scheibchenweise für den Club als für die volle Dosis am Stück. „Isolation, Too“, das introvertierte Schlusstück, ist allerdings eine gelungene Überraschung. (TM)

Jason Forrest: The Everything. Staatsakt (Rough Trade).
Der Künstler auf Myspace und bei Facebook.

Experimentell

Die Lust am Düsteren in der populären Musik geht weiter. Alexander Tuckers Album „Dorwytch“ trägt schon mit seinem Titel den Dark Folk vor sich her. Und bereits der Opener „His Arm Has Grown Long“ überzeugt mit Tuckers geisterhaften Stimme, die klingt, als schwebe sie permanent zwischen Hoch und Tief. Das Debüt des Engländers ist ein Lehrstück dafür, wie man klassisches Songwriting mit Elektronik verbindet. „Red String“ beispielsweise ist mit Abstand das beste Stück an Doom-Kammermusik, das man bisher in diesem Jahr gehört hat. Trotz unschlagbar einfacher Melodie (fast möchte man Melodei schreiben) schafft es Tucker, den Hörer zu fesseln. Es ist, als sei man in einem Paralleluniversum gefangen, in dem alles drei Stufen langsamer abläuft als normal, alles eiert, alles ist verschoben (damit erklärt sich wohl auch Tuckers Stimme, wer weiß, wie oft er sie durch den Sampler geschickt hat). All die wunderbaren Streicher, die über Gitarren gelegt die Melodielinien verstärken, erwecken zwar das Gefühl, man habe es hier mit einem ganzen Ensemble zu tun – dabei schichtet Tucker als Fast-One-Man-Show einfach Layer über Layer. Keine Frage, „Dorwytch“ rangiert in der Liga der zeitgenössischen experimentellen Popmusik ganz weit oben. (TM)

Alexander Tucker: Dorwytch. Thrill Jockey (Rough Trade).
Der Künstler auf Myspace und bei Facebook.

Clara Luzia: Falling Into PlacesVielseitig

Sie wirkt wahrlich nicht wie ihre romantisch angehauchten, brav und lieblich gestylten Kolleginnen. Die Wienerin Clara Luzia ist herber als Cat Power, Regina Spektor oder Ingrid Michaelson, mit denen sie gerne in einen musikalischen Topf geworfen wird. Nähme man nur ihre sanft-sensible Stimme wahr, bliebe freilich nur dieser typisch süßliche Songwriter-Sound im Ohr. Was hängen bleibt, ist die Kombination aus puristischem Gesang und glasklaren Kompositionen, die jedes Instrument durchscheinen lassen und doch jedem Song ein vielseitiges Gepräge geben. Sorgt in „How The Mighty Fall“ das vermeintlich monoton hämmernde Piano für melancholische Momente, sind es in „Colours“ die Streicher, allen voran das brummende Cello und die vibrierende Bratsche, die zärtlich von der gezupften Gitarren abgelöst werden. So gefühlvoll und geradlinig schleicht sich auch die erste Single „Sink Like A Stone“ an, die wie das minimalistisch-emotionale „Forty“ oder das komplexere „Love in Times Of War“ unwillkürlich in den Bann zieht. In all ihren Songs mischen sich Indie, Folk und Pop und ihre introspektiven Texte zu einem Mix aus Verzweiflung und Zuversicht. „Ich habe einfach nichts Fröhliches zu sagen“, bekannte sie einmal. Dafür muss sie sich nicht entschuldigen, sondern genau das macht das Besondere ihrer Lieder aus, die Schwermut zum Schillern bringt. (JvB)

Clara Luzia: Falling Into Places. Asinella Recrods (Broken Silence).
Die Website der Künstlerin. Clara Luzia bei Facebook.

31Knots: Trump HarmWann schläft Joe Haege?

31 knots sind 15,9477778 m/s oder eine dreiköpfige Band aus Portland, Oregon und San Francisco. Bassist Jay Winebrenner sowie Mastermind und Sänger Joe Haege basteln seit 1997 an einem Sound zwischen Indie und Punk Rock. Die Drummer wechselten hingegen schon mehre Male. Seit 2003 sitzt Jay Pellicci, ehemaliger Aufnahmetechniker der Band, hinterm Schlagzeug. Er ersetzte den 1998 hinzugestoßenen Joe Kelly (Nee, nicht der Typ von der Kelly Family!), der wahrscheinlich einsprang, weil Menomena von Chicago nach Portland umzogen. Portland ist ein Mekka der amerikanischen Musik-Szene, hier sind Bands wie The Decemberists, The Gossip, Modest Mouse und Menomena beheimatet. Bei Menomena ist Joe Haege wiederum Tourgitarrist. Zu Ehren der Stimme seiner Freundin Corinna Repp gründete er 2007 die wunderbare Band Tu Fawning, die Anfang diesen Jahres ihr großartiges Debütalbum „Hearts On Hold“ in Europa veröffentlichte.

Sowohl Menomena als auch Tu Fawning stehen in krassem Kontrast zu 31Knots. Von Harmonie, Multiinstrumentalismus und melodiösen Popanleihen ist auf „Trump Harm“ wenig zu erahnen. Mit wütender Dringlichkeit werden die Abwärtsfahrt der Welt und Szenen einer Liebe mehr beschrieen als besungen. Jedem Song wohnt dabei eine Dynamik und Eigenwilligkeit inne, die trotz oberflächlicher Rohheit so etwas wie musikalische Verspieltheit aufblitzen lassen. Mitten im Vorwärtspreschen stoppen die Tracks und ändern ihre Richtung. Eine wilde Mischung, die vor allem stimmlich ein wenig an Modest Mouse erinnert. Na ja, sind ja auch Nachbarn. Am Ende fragt man sich, wie Joe Haege so unterschiedliche Musikprojekte unter einen Hut bekommt. Die Antwort ist simpel: Seit dem der in San Francisco lebende Pellicci für 31Knots trommelt, sammelt jedes Bandmitglied Ideen und man schickt sich das Material zu, damit ein anderer weiter dran rumschrauben kann. Für das siebente Studioalbum „Trump Harm“ nahmen Winebrenner und Pellicci Teile von Songs sektionsweise auf und Haege fügte noch Gitarre und seinen Gesang hinzu. Die finalen Aufnahmen fanden dann in zwei viertägigen Aufnahmen im Mai 2010 und im Januar 2011 in Haeges Heimstudio in Portland statt.

Das Ergebnis hört sich alles andere als schnell hingerotzt an. Ein tolles, sehr höhrenswertes Album. Offen bleiben nur die Fragen: Wie schafft es Joe Haege, mit drei Bands fast parallel auf Tour zu gehen? Wie viel Genie steckt in Joe Haege, dass er sich bei seinen Projekten nicht wiederholt und die Bands untereinander eben nicht austauschbar sind? Und wann schläft Joe Haege? (JA)

31Knots: Trump Harm. Polyvinyl (Cargo Records).
Die Band auf Myspace sowie bei Facebook und die Homepage von 31Knots.

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