Neue Platten von The Throne, Kid Loco und Miss Li, dazu dramatische Funk-Grooves – gehört von Tobi Kirsch (TK), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).
Auf den Strich
(TM) Die Legende ist schon geschrieben: „Watch The Throne“, die Kollaborationsplatte der Hip-Hop-Giganten Jay-Z und Kanye West, ist, nach allem, was Billboard ausgerechnet hat, das meistverkaufte Album – jedenfalls auf iTunes, wo sie in der ersten Veröffentlichungswoche mehr Einheiten verkauften als die bisherigen Spitzenreiter Coldplay. Und die beiden haben ja auch wirklich alles aufgefahren, was man für ein Album, das unbedingt von der ersten bis zur letzten Sekunde nichts anderes will als UMHAUEN, benötigt: die richtigen role models (inkl. klasse Samples von Otis Redding, Curtis Mayfield, Nina Simone, Quincy Jones just to name a few), Beyoncé Knowles leiht der Single „Lift Off“ ihre beeindruckende Stimme, man spielt wissend und routiniert mit den üblichen Bearbeitungsmechanismen (Oktavsprünge im abschließenden „Why I Love You“, gesamplete Kinderchöre in „Murder To Excellence“, den niemals und auch hier nicht funktionierenden Vocoder im Opener „No Church In The Wild“ ).
Ja, man zeigt sogar sowas wie Selbstironie, indem man die Provokation als Selbstzweck entlarvt („Ni**as In Paris“). Aber aber aber – das Ganze ist leider in seiner Effekthascherei so kalt wie eine Hundeschnauze, konservativ wie ein Museumswärter und berechnend wie ein Zuhälter. Ja tatsächlich, diese beiden schicken ihre Vorbilder in voller Absicht auf den Strich. Immerhin, so ist „Watch The Throne“ in seiner reaktionären Haltung für das aktuelle Amerika echt authentisch.
Kanye West & Jay-Z: Watch The Throne. Def Jam (Universal). Die Homepage zum Album.
Er kann’s noch
(TK) All die Größen des Neunziger Triphops tauchen auf einmal wieder auf, so auch Kid Loco mit seinem aktuellen Album. „Confessions…“ ist eine Reminiszenz an Thomas Quincey’s „Confessions of an english opium-eater“. Dreizehn Titel oszillieren zwischen Dreampop und Downbeat, dazwischen die schöne Coverversion von Iggy Pops„The Passenger“. Kid Loco singt selber, oder auch Louise Quinn, ansonsten ist noch ein DJ und ein Keyboarder dabei. Wo viele neue Bands und Projekte heutzutage nur noch einige amtliche Nummern zustande bekommen, zeigt Kid Loco, wie eine gelungene Album-Dramaturgie auszusehen hat. Außerdem ist hier kein Füllmaterial auszumachen. Da stören dann auch die Bläsersamples wenig, solange die Komposition stimmt. Entfaltet mit mehrmaligem Hören erst seine ganze Qualität.
Kid Loco: Confessions Of A Belladonna Eater. FLOR (Broken Silence). Zur Homepage von Kid Loco
Durch Unglück zur Reife
(CM) Die Rezensentin gesteht, von der Singer-/Songwriterin Linda Carlsson
alias Miss Li ziemlich genervt gewesen zu sein. Drei Alben in einem Jahr, ihre Songs in der Werbung und in TV-Serien, dazu Miss Lis penetrante Gute-Laune-Performance: man musste schon ein sehr großer Fan sein, um sich immer wieder von ihrem überstrapazierten kindlichen Charme begeistern zu lassen. Jetzt hat die Schwedin – nach immerhin zwei Jahren Veröffentlichungspause – „Beats & Bruises“ herausgebracht, eine Platte, die eine veränderte Miss Li zeigt. Musikalisch schwelgt Carlsson nach wie vor in einem bunten Stilmix aus eingängigem Pop, Jazz, Ragtime und Indie-Rock, insgesamt wirkt das Album aber nachdenklicher und dunkler als ihre früheren Platten. Tatsächlich waren die letzten Jahre nicht einfach für Miss Li, eine Fehlgeburt und langwierige Krankheiten forderten ihren Tribut.
Ihre Erfahrungen verarbeitet Li in ungewohnt traurigen, schwermütigen Texten: am eindrucksvollsten tut sie das in „Shoot Me“, aber auch „Forever Drunk“ und „Are You Happy Now?“ offenbaren die melancholische Seite der Künstlerin, wobei sie keine reine Nabelschau betreibt: in „Devil´s Taken Her Man“ und „The Modern Family“ thematisiert sie gesellschaftliche Probleme wie häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe. Trotz der ernsten Themen ist aus Miss Li keine Trauerweide geworden, beim ironischen „You Could Have It So Much Better Without Me“ oder „I Can´t Get You Off My Mind“ haut sie gewohnt fröhlich auf den Putz. Es klingt stark nach Klischee, dass persönliches Unglück zu künstlerischer Qualität und Reife führen soll – bei Miss Li war es genau so. Für die Zukunft wünschen wir ihr selbstverständlich nur das Beste: gute Ideen ohne Ungemach.
Miss Li: Beats and Bruises. Devilduck. Zur Homepage von Miss Li
Library Music der Funk-Ära
(TK) Unlängst hat die geschätzte Kollegin Mohr viele Compilations vorgestellt. Auch diese hier ist es wert, wahrgenommen zu werden. Zusammengestellt von Michael Schütz wurden instrumentale Schätze der Jahre 1972-1983. Nicht alles ist hier rar, etwa „Prototype“ von Simon Haseley findet man auch woanders. Aber eine gute Compilation lässt sich ganz gut mit gelungenem Hip-Hop vergleichen, der Flow muss stimmen und der Inhalt sowieso. Da darf auch mal ein bekanntes Stück mit reinrutschen. Das musikalische Gerüst ist hier jedenfalls 1a, stammt es doch aus Filmmusik-Archiven aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA. Diese sogenannte Library-Music wurde für Hintergrundbeschallung von Werbung, Fernsehen, Film und Radio geschrieben. Als schwarzes Gold sind diese Schätze selten und nur für viel Geld zu finden, daher ist so eine zwanzig Stück umfassende Sammlung wirklich das Geld wert.
Various: Dramatic Funk Themes Vol. 3. Show up (Cargo).