Geschrieben am 29. August 2012 von für Musikmag

Animal Collective: Centipede Hz

Animal Collective: Centipede HzRauschhafte Nicht-Strukturen

– Wäre US-Astronaut Neil Armstrong schon während der Aufnahmen zu „Centipede Hz“ verstorben, Animal Collective hätten ihm gewiss einen Track gewidmet: das neue Album der nach dem kurzzeitigen Ausstieg von Joshua Dibb/Deakin wieder zum Quartett gewachsenen Band aus Baltimore beschäftigt sich nämlich unter anderem mit der Frage, was eigentlich mit gesendeten Radiosignalen passiert. Verschwinden sie im All, landen sie auf dem Mars oder dem Mond? Von Christina Mohr

Schwirren Stimmen- und Melodiefetzen durchs Universum, als technifizierter pythagoräischer Engelsgesang sozusagen? Kommen die Radioshows irgendwann wieder auf die Erde zurück, nur in anderer Form? Die Problemstellung ist so kindlich wie vertrackt, da es keine erschöpfenden, befriedigenden Antworten gibt: ein klarer Fall für Animal Collective. Auch in ihrem 13. Bandjahr nähern sich David Portner/Avey Tare, Noah Lennox/Panda Bear, Brian Weitz/Geologist und Deakin komplexen Themen neugierig, vielschichtig und verspielt, krabbeln wie der titelgebende Tausendfüßler durch unzählige Tonspuren und sonische Texturen.

Verschachtelte Rhythmen wie in „Father Time“ ziehen den HörerInnen den Boden unter den Füßen weg, euphorisierende Chöre und jubilierender Sologesang („Today´s Supernatural“) sorgen für weißes, glückliches Rauschen im Kopf. In Songs wie „Applesauce“ und „New Town Burnout“ finden sich dazu auch die Collective-typischen großartig-süßen Popmelodien, in anderen Tracks überwiegt das Experiment, Frequenzen zappeln nervös, zischen, schaben, knirschen, klopfen – der Rezensentin gehen an dieser Stelle die Worte aus, womit sie nicht alleine ist: aus Ermangelung passender Begriffe werden Animal Collective gern als Folk- oder Freakfolkband bezeichnet; mit Alben wie „Centipede Hz“ oder dem erfolgreichen Vorgänger „Merriweather Post Pavillon“ von 2009 positionieren sich die vier Baltimorians indes als größtmöglicher Gegenpol zu den zwar musikalisch perfekten, aber ansonsten ziemlich langweiligen Retro-Folkern Fleet Foxes.

Wobei man sich nicht ernsthaft vorstellen darf, dass sich Animal Collective zu irgendwelchen Positionierungsgesprächen treffen: die vier Musiker leben an den verschiedensten Ecken der USA und kommen zusammen, wenn der Mond günstig steht bzw. jeder von ihnen genug abgefahrene Ideen gesammelt hat, die der kollektiven Bearbeitung harren.

Dieses Mal im texanischen Studio Sonic Ranch, wo ganz offensichtlich inspirierende Vibes herrschten: „Centipede Hz“ klingt auf der heimischen Anlage schon sehr toll, die rauschhaften Nicht-Strukturen machen aber auch deutlich, dass man Animal Collective live und laut erleben sollte: ab ins All mit Animal Collective, z. B. am 17.11. an der Ostsee/Weißenhäuser Strand oder einen Tag später in Berlin – falls sie überhaupt wieder auf die Erde zurückkehren.

Christina Mohr

Animal Collective: Centipede Hz. GoodToGo/Domino. Zur Homepage.

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