Geschrieben am 23. Februar 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Unter Katzen

Im Musical

– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen – diesmal wagt sie sich ins Musicalzelt. Also, Ihr coolen Musikchecker, macht Euch locker und seid nicht so arrogant: Isabel war bei CATS – und ihr hat’s sogar gefallen …

Zu den vielen Dingen auf der Welt, die mir egal sind, gehören Katzen. Und Musicals. Da liegt es natürlich nahe, mir „Cats“ anzusehen. Zumal das eine der ersten Schallplatten war, die ich mir selbst gekauft habe, irgendwann Mitte der Achtziger. Sie lief damals dauernd, ich kann bis heute alles mitsingen. Auf Englisch allerdings, die Vorstellung in Hamburg ist aber auf Deutsch – das ist einerseits schade, denn irgendwie klingt es für meine Ohren nicht ganz „richtig“, andererseits dämpft es meinen ständigen Mitsingdrang ein wenig, und das dürfte für alle Beteiligten das beste sein. Aber ich muss mich schon sehr beherrschen, nicht laut mit einzustimmen, auf Englisch dann halt, na und? Mir doch egal. Because Jellicles do and Jellicles can, Jellicles can and Jellicles do, Jellicles do and Jellicles can!

Die Geschichte von Cats dürfte bekannt sein: Es gibt fast keine. Einmal im Jahr findet auf einem Schrottplatz der Ball der „Jellicle Cats“ statt, bei der Alt-Deuteronimus  bestimmt, welche der Katzen ein neues Leben bekommt. Bis dahin werden alle anwesenden Katzen ausführlich vorgestellt, und das hat, wenn man eine Geschichte erzählt bekommen möchte, hier und da ein paar Längen. Wenn man aber eine Musik- und Tanzshow sehen möchte, dann oh, wow! Das ist wirklich beeindruckend. Von wegen, Musicaldarsteller könnten von allem nur ein bisschen. Die hier können es, und zwar richtig. Richtig singen und richtig tanzen. Manche tanzen nur oder singen nur, aber jeder einzelne kann das, was er tut, richtig gut. Und wie man gleichzeitig tanzen und dabei singen kann, ohne dass man auch nur das kleinste Wackeln hört, ist mir sowieso völlig schleierhaft.

Tatsächlich beschäftigt mich den ganzen Abend der Gedanke, was für ein irrer Beruf das ist. Singen und tanzen können, und dann auch noch gleichzeitig, ist ja nur das eine. Ach so, schminken auch noch, und das ist bei Cats eine ziemlich aufwendige Angelegenheit. Die Darsteller bekommen es einmal gezeigt, ein Profi schminkt ihnen die eine Gesichtshälfte, dann müssen sie die andere selbst machen, um es zu lernen, und ab da schminken die Darsteller sich selbst. Und zwar nicht irgendwie, denn bei Cats ist alles festgelegt: Bühne, Kostüme, Make-up, Choreografie, alles ist immer überall gleich, bei allen Cats-Produktionen auf der Welt. Schade eigentlich, denn das nimmt Regisseuren, Choreografen, Bühnen- und Kostümbildnern ja jegliche Möglichkeit zur eigenen künstlerischen Einflussnahme. Dafür weiß man als Konsument vorher schon, was man bekommt, und das bekommt man dann auch. Das scheint ja in vielen Köpfen ein Vorteil zu sein.

Ich war früher da und durfte hinter die Bühne gucken. Und da ist dann ruckzuck Schluss mit dem vermeintlichen Glamour dieses Berufs. Cats wird nicht in einem Theater gespielt, sondern in einem Zelt. Für ein paar Monate in Hamburg, noch bis 5. März, danach geht die gesamte Produktion nach Berlin, Hannover, Mannheim und Luxemburg, die weiteren Stationen sind noch nicht ganz klar. Und damit alles gut zu transportieren ist, befindet sich alles in Containern. Je sechs Schauspieler haben zusammen einen Garderobencontainer, dann gibt es einen für die Maske und einen für die Kostümbildner. Dort werden vor der Vorstellung schnell noch ein paar beschädigte Sachen wieder zusammengenäht und die Schuhe frisch angemalt – auf der Bühne schleifen die Katzen so mit den Füßen über den Boden, dass das Katzenmuster sich immer wieder abscheuert und vor jeder Vorstellung neu aufgemalt wird. Zwischen den Containern stehen Kleiderstangen mit den Kostümen, dazwischen hat jemand mit Klebeband ein Hüpfekästchen auf den Boden geklebt. „Für die Pausen“, angeblich. Nein, glamourös ist das hier alles nicht, sondern sehr einfach und sehr eng.

Den unglamourösesten Job haben vielleicht die Musiker: Sie sitzen zusammengepfercht in einem engen Container hinter der Bühne und sehen das Geschehen auf der Bühne nur über Monitore. Noch abgeschotteter ist der Schlagzeuger, der hat sogar noch ein eigenes Kabuff in dem ohnehin schon engen Orchestercontainer. Auch der Dirigent befindet sich im Container, seine Bewegungen werden auf Monitore im Zelt übertragen, sodass die Schauspieler ihn sehen und er sie. Aber vom Publikum sind die Musiker weit entfernt, sie bekommen von der ganzen Atmosphäre im Zelt überhaupt nichts mit. Theoretisch könnte die Musik aus Pusemuckel kommen.

Einige Schauspieler laufen herum, sagen freundlich Hallo, manche sind schon halb oder ganz geschminkt. Spätestens zwei Stunden vor der Vorstellung sind alle da. Hilfe bekommen Leute mit langen Haaren, sie werden in kleinen Strähnchen aufgedreht und festgesteckt, damit die Katzenperücke darüber kann. Zuerst allerdings ein dünnes, hautfarbenes Mützchen, schön sieht das nicht aus. Die meisten Darsteller spielen acht Shows pro Woche: samstags und sonntags je zwei Vorstellungen, montags ist frei.

Acht. Shows. pro. Woche.

Damit sind sie dann für ein paar Monate in einer Stadt, dann geht es in eine andere. Für wie viele Jahre? Weiß man nicht. So lange leben sie in Hotels. Aber Cats ist das Musical, zu dem alle wollen; wer als Musicaldarsteller in seinen Lebenslauf schreiben kann, dass er bei Cats mitgespielt hat, der hat es geschafft. Ich kann mir nur vorstellen, dass das Sozialleben dabei auf der Strecke bleibt – beziehungsweise komplett in die Musicalszene verlegt wird, denn man ist ja kaum zu Hause, womöglich hat man gar keins. Mit den Kollegen ist man immer zusammen, trifft sich dann auch bei anderen Produktionen wieder, es ist eine eigene Welt – und natürlich begegnet man sich auch bei Auditions wieder und konkurriert womöglich um dieselbe Rolle.

Spätestens eine Stunde vor der Vorstellung sind alle auf der Bühne und machen sich warm. Manche liegen auch im Gang herum, man muss aufpassen, dass man nicht irgendwo über eine Halbkatze stolpert, die da ihre Dehnübungen macht. Einige sind schon geschminkt, manche haben das hautfarbene Mützchen auf, alle tragen labbrige oder knappe Sportkleidung. Ein paar Darsteller bestehen offenbar aus Gummi. Wie kann ein erwachsener Mensch so biegsam sein? Die Stimmung auf der Bühne kommt mir gleichzeitig entspannt und hochkonzentriert vor. Die Schauspieler wissen genau, wie sie sich warmmachen, logisch, es ist ihr Beruf, sie müssen ja dauernd auf ihren Körper achten, sich fit und gelenkig halten, und schlank am besten auch. Dabei wird gescherzt und gekuschelt, jemand hat mir erzählt, ungefähr um diese Zeit würde die Stimmung hinter der Bühne auch alberner, weil sich jetzt alle lockermachen und in Spiellaune kommen müssen. Sobald das Licht im Saal ausgeht, muss man all seine Launen und Befindlichkeiten ausgeknipst haben und in seiner Rolle sein.

Und wow! Wie sie in ihren Rollen sind. All diese Leute, die gerade noch halbgeschminkt in schlabbrigen Sportsachen mit hautfarbenen Mützchen auf dem Kopf hinter der Bühne herumliefen, sind plötzlich Katzen. Katzen mit einem sehr ausgeprägten eigenen Charakter, lauter sympathische Gescheiterte, Kleingauner, Tunichtgute, Angeber, alte und junge, dicke und dünne Katzen, die sensationell tanzen oder singen oder beides, Katzen, die sich wie Katzen bewegen, und vor allem: die ganz offensichtlich eine große Freude an dem haben, was sie da tun. Allen voran der Rum Tum Tugger, in den ich mich natürlich spontan verliebt habe, wie wahrscheinlich alle anderen Anwesenden auch, weil er einfach so hemmungslos albern ist.

Die Musik ist mir stellenweise zu laut, und da, wo sie leise ist, ist die Klimaanlage zu laut. Aber hey, ich mag die Musik! Oh, well, I never! Was there ever a cat so clever as magical Mr. Mistoffelees? Der übrigens ist ein irre guter Tänzer. Und das Lied ein Ohrwurm. Und Skimbleshanks the railway cat, the cat of the railway train kriege ich für den Rest der Woche nicht mehr aus dem Ohr. Ist mir auch vollkommen egal, ob das uncool ist, ich hatte einen interessanten Nachmittag und einen wunderbaren, abwechslungsreichen Abend, an dem ich auf wirklich hohem Niveau gut unterhalten wurde.

Isabel Bogdan

Weitere Informationen gibt es hier.