Geschrieben am 13. Juni 2009 von für Crimemag, Litmag, Porträts / Interviews

Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos

Der Diktator, der vom Himmel fiel…

Ach, wehrte sich Mohammed Hanif in einem Interview, das sei ja alles „lächerlich generös“, all die artigen Komplimente und die Vergleiche mit Joseph Heller, Gabriel García Márquez und John le Carré. Drunter wollte man es nämlich nicht tun, bei dem Erstlingsroman des pakistanischen Ex-Militärs und Journalisten Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos. Thomas Wörtche hat sich Buch und Autor genauer angesehen.

Zwei Dinge sprechen dabei deutlich für Hanif: Dass er diese Vergleichsgrößen relativ unkokettierend von sich weist. Und zweitens, dass diese big names durchaus zu Recht ins Feld geführt werden, wenn von Hanifs erstem großen Roman die Rede ist. Denn Eine Kiste explodierender Mangos ist in der Tat eine gelungene Melange aus Militärsatire, lateinamerikanischem Generalsroman und Polit-Thriller. Das Ende des Generals Zia-ul-Haq, des Botschafters der USA in Pakistan und anderer Schätzchen aus der Nomenklatura der damaligen Militärdiktatur, die allesamt mit dem Flugzeug des Generals mit dem berühmten Schnurrbart, der „PAK o­ne“, am 17. August 1988 vom Himmel fielen, inszeniert als Groteske, Verschwörungsstück, als fröhlicher Paranoia-Roman. Ob das Flugzeug einfach einem Unglück zum Opfer fiel, ob es tatsächlich ein Attentat gab, wer womöglich hinter einem solchen Attentat hätte stecken können – aufgeklärt wurde die Absturzursache nie so richtig. Und schon gar nicht schien man allzu scharf darauf gewesen zu sein, allzu gründlich und allzu tief zu graben. Und selbst wenn – „Glauben Sie wirklich“, fragte Mohammed Hanif einen Interviewer, „Geheimdienste hätten Gewölbe, in denen die Wahrheit lagert? Die haben Papierschredder …!“

Who killed Zia-ul-Haq?

Diesen Umstand macht er sich zunutze und baut verschiedene Szenarien auf, nur um sich für keines wirklich zu entscheiden. Gründe genug, Zia-ul-Haq umzubringen, hatten wahrlich genug Leute und Interessengruppen. Schließlich hatte er Zulfika Ali Bhutto, seinen Vorgänger als Staatspräsident Pakistans, aus dem Amt geputscht und ihn später hinrichten lassen – verschärftem internationalen Protest zum Trotz. Eine allmählich immer radikaler werdende Fundamental-Islamisierung des Landes, inklusive die allmähliche Etablierung der Sharia, konnte er im Windschatten des Afghanistan-Krieges gegen die sowjetische Besatzung beruhigt riskieren. Die USA, vor allem die CIA, tolerierten bekanntlich jede Torheit, wenn sie nur einen antisowjetischen Kurzzeiteffekt versprach. Dass der junge Osama Bin Laden hier im Roman als Bauunternehmer auf der Unabhängigkeitstags-Party der amerikanischen Botschaft als nicht weiter interessanter Durchschnittsgast auftaucht, ist nicht nur ein netter, aktualistischer Gag, sondern macht aus dem historischen Roman ein Lehrstück in Realpolitik, das man durchaus in macchiavellistischen Kategorien lesen kann. Denn zu den potenziellen Attentätern auf den Diktator gehört seine eigene Camarilla, sein eigener Geheimdienstchef, seine eigenen Militärs, seine haus- und landeseigene Opposition. Von den Spielchen der beiden damaligen Hegemonialmächten braucht dann schon gar nicht mehr die Rede sein. Fundamental-Islamismus erscheint durch diesen Kunstgriff als weniger substanzielle, denn als machtpolitische Option. Und dass einer der potenziellen Attentäter (und eine der Hauptpersonen des Romans), der Luftwaffensoldat Ali Shigri in prekärer Eintracht mit seinem Lover Obaid-ul-la Folterungen erträgt und sie sich wechselseitig verraten können, ohne sich letztendlich wirklich zu verraten, zieht dem Roman noch eine andere, „zwischenmenschliche“ Dimension ein als man es von einer reinen Politsatire erwarten durfte.

Who cares who killed Zia-ul-Haq …

Photo © Courtesy of the Author

Vermutlich ist es nicht ganz zufällig, dass Mohammed Hanif in einem ersten, anderen Leben Offizier in der pakistanischen Luftwaffe war, ähnlich wie sein algerischer Kollege Mohammed Moulessehoul Oberst in der algerischen Armee war, bevor er unter dem Pseudonym Yasmina Khadra begann, grandiose, groteske roman noirs aus dem Wahnsinn seines Heimatlandes mit weltweitem Echo zu schreiben. So erscheint auch bei Hanif das Militär als Bastion säkularen Denkens, das allerdings diese Säkularität mit Repression und Terror gegen religiöse und funktionalisiert religiöse Gegenströmungen exekutieren muss. Ein „Mullah General“ sagte Hanif denn auch zu Recht, sei eigentlich nur in einem Bollywood-Film vorstellbar. Was wieder unterstreicht, dass er auch den „Fundamentalismus“ von Zia-u-Haq zweckrational und höchstens in der Karikatur als „echt religiös“ begreift. Seinen geistigen Beistand holt sich der General bei einem Islamgelehrten, der in einem Luxusappartement in Mekka sitzt und eine Art consulting für Koranauslegungen betreibt.

Der kühle, realistische Blick

Das wiederum kann aktuell uns nur wiederum helfen, Pakistan nicht als obskure, angstbesetzte und quasi-mythische Fundamentalisten-, Taliban- und Terrorhöhle zu begreifen, sondern in politischen Parametern zu sehen. Und die sind, trotz allem, veränderbar.

Hanifs eigene Biografie zeigt das – nach seiner Air Force-Zeit wurde er Journalist, zog mit seiner Familie nach London, leitete dort unter anderem den „Urdu Service“ der BBC, schrieb für den Guardian und die New York Times, war Drehbuch- und Theaterautor, und kehrte 2008 in das Pakistan nach Pervez Musharraf zurück, das vielen Beobachtern noch prekärer, noch instabiler und noch intoleranter „westlichen“ Einflüssen gegenüber zu sein scheint. Heute wohnt er wieder in Karatschi und arbeitet als Korrespondent für die BBC. In einem Artikel für den Guardian amüsierte er sich jüngst über die Probleme, die entstehen, wenn man in einer Gegend mit vielen Stromausfällen lebt. Er kommt zu dem beruhigenden Schluss, dass er als Kerl damit besser fertig wird als die Ladies, die ohne Föhn und Trockenhaube auskommen müssen. Auch das ein Statement für den kühlen Blick auf die Realität.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Weder ist Eine Kiste explodierender Mangos ein Roman des „appeasements“ gegenüber fundamentalistischen Totalitarismen, noch steht Hanif selbst für eine solche, dem Westen gegenüber beschwichtigende Position. „Alles-halb-so-schlimm“ ist nicht von ihm zu haben, wohl aber ein Plädoyer für den klaren Blick auf die realen Konstellationen in einem Land, das – wie sein Nachbar Indien – immerhin Atommacht ist. Und wenn dieser Blick deutlich wird über den Umweg einer historischen Polit-Satire mit hohem Unterhaltungswert, umso besser. Komik eröffnet, wie immer in der Geschichte der Ästhetik, den relativierenden Zugang zu den Dingen, ohne dem Zwang einer Gegenbildlichkeit zu verfallen. So wie Hanifs Zia-ul-Haq den Koran als Orakel nutzt, sexuelle Probleme hat und mit sehr unspirituell unappetitlichen Dingen befasst ist, und undeutlich hinter seinen Facetten verschwindet, so muss auch Hanifs Einschätzung der Lage Pakistans zwischen Iran, Afghanistan, China und Indien keinen Gegenentwurf zu den Komplexionen von dort und heute anbieten.

Außerdem macht Hanif, auch durch die Leichtfüßigkeit und Eleganz seiner Prosa, auf eine pakistanische Literatur aufmerksam, die lange Zeit durch die gewaltigen indischen Schatten (Salman Rushdie, Vikram Seth, Arundhati Roy etc. etc.) im relativen Dunkel der internationalen Aufmerksamkeit stand. Eine pakistanische Literatur zudem, die auf der Höhe der Zeit spielt, ohne deswegen zu den Belanglosigkeiten einer „globalen Postpost-Moderne“ zu gehören. Zu Moshin Hamid, Nadeem Aslam oder Kamilia Shamsie hat sich Hanif mit seiner Variante gesellt, die – so eklektizistisch sie mit westlichen Paradigmen umgeht – einen ganz eigenen Touch und vor allem einen sehr schönen und tödlich genauen Witz zu bieten hat.

Thomas Wörtche

Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos. (A Case of Exploding Mangoes, 2008). Roman.
Aus dem Englischen von Ursula Gräfe.
München: A1 Verlag 2009. 384 Seiten. 22,80 Euro.