Geschrieben am 6. März 2017 von für Litmag, Porträts / Interviews

Interview mit Louis-Philippe Dalembert („Die Götter reisen nachts“)

Dalembert_GötterReise in die Kultur Haitis

Louis-Philippe Dalemberts neuer „magisch pulsierender Roman über die verlorene Mystik der Kindheit“ (SZ) steckt voller kreolischer Fabulierlust und ist eine amüsante Reise in die hierzulande kaum bekannte Kultur Haitis. Sophie Sumburane hat sich mit dem Autor über das »Zeitenland« der Kindheit und seine Tabus, Voodoo und andere Stereotype, die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln und das Vagabundentum unterhalten.

Schon der Titel Ihres aktuellen Romans „Die Götter reisen nachts“ kündigt es an: Ein immer wiederkehrendes Thema in Ihren Texten ist das Reisen; mehr noch, das oft negativ besetzte „Vagabundieren“, das ziellose Herumstreifen in der Welt. Sie selber reisen auch sehr gerne – beeinflusst Ihr Leben hier stark Ihre Texte?

Einige Elemente in den Texten entsprechen der Realität, andere sind erfunden. Jede literarische Erfindung ist für mich ein ästhetisches Konzept, das von der Realität angeregt wird. Eines dieser durch mein Leben angeregten Elemente ist die Auseinandersetzung mit der Haitianische Geschichte. Wenn wir zurückdenken an die Zeit, als Haiti dabei war, sich von der Kolonialmacht zu befreien, war das „Vagabundieren“ tatsächlich ein offizielles Vergehen. Dieser Begriff ist bis heute negativ besetzt. Wenn man heute jemanden als Vagabunden bezeichnet, dann sieht man in ihm eine Person, die ungebildet ist und kein Benehmen hat. In meinen Texten versuche ich neben dieses historische Bild ein neues zu stellen. Ich spiele mit einer gewissen Zwiespältigkeit: Ich identifiziere mich mit dem traditionellen Bild des Vagabunden, gleichzeitig zeige ich, dass ich diesem Stereotyp eben nicht entspreche, da ich gebildet bin.

Der Vagabund ist jemand, der nirgends sesshaft ist und das ist für mich auch ein persönlicher Aspekt, da ich gerne viel reise. Nicht nur physisch, sondern auch geistig und linguistisch, zwischen unterschiedlichen Sprachen. In meinen Romanen geht es häufig darum, dass alles in Bewegung ist und das nicht nur inhaltlich: Indem ich in verschiedenen Sprachen erzähle und unterschiedliche Textgattungen benutze –  so wechsle ich aus der Prosa ins Lyrische und umgekehrt – entsteht Bewegung auch auf der sprachlichen Ebene. Das persönliche Element in meinen Texten ist eben die Tatsache, dass ich in sehr vielen unterschiedlichen Ländern gelebt habe und mehrere Sprachen spreche – und sich in diesem Sinne auch viel von mir in meinen Inhalten spiegelt.

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Der Roman handelt von jemanden, der keine Ahnung vom Voodoo hat. Für mich als Deutsche Leserin stellt sich die Frage, gibt es das überhaupt? Ein Haitianer, der nicht weiß, was Voodoo ist?

Das ist eine sehr gute Frage, denn es trifft genau den Kern des Romans. Ich habe mir vor dem Schreiben eine Reihe von ähnlichen Fragen gestellt. Vor allem in großen Medien wird Haiti immer mit gewissen Stereotypen in Verbindung gebracht, etwa mit Armut, Voodoo, Diktatur.

Meine Überlegung war: wenn ich jetzt über Voodoo schreibe, spiele ich diesen Vorstellungen ja auch noch in die Hände. Die Ereignisse werden aus der Perspektive eines kleinen Jungen geschildert, der mit der christlichen Religion aufgewachsen ist, was aber nicht heißt, dass er nicht zumindest davon gehört hat, dass es Voodoo in Haiti gibt. Die Figur des kleinen Jungen mit seiner Religion, die Voodoo ablehnt, eröffnete mir die Möglichkeit mich in unterschiedlichste Richtungen zu bewegen und unterschiedlichste Denkanstöße zu geben.

Mein deutscher Verlag, Litradukt, der wirklich sehr gute Arbeit leistet, wollte diesen Roman schon viel früher haben. Ich aber sagte, dass ich dafür noch Zeit brauche. Drei andere Romane kamen dann vorher. Ich wollte der deutschsprachigen Leserschaft die Möglichkeit geben, meine Welten zunächst auf anderen Wegen kennen zu lernen. Und die Elemente der erwähnten Stereotypen erst im Anschluss daran einführen.

Und warum die Kindersicht?

Es gab zwei Gründe für diese Entscheidung. Einmal hat diese Perspektive Auswirkungen auf die Art, wie der Roman strukturiert ist, denn ein Kind entdeckt ja noch viele Dinge neu, bekommt also vieles erst noch erklärt. Dinge, die man einem Erwachsenen vielleicht nicht mehr gesagt hätte. Wenn man mit Kinderaugen etwas sieht, dann ist das sehr anregend. Man kann auch springen zwischen den Ereignissen, wie ein Kind eben, das noch Dinge entdeckt, die ja nicht immer miteinander verbunden sein müssen. Es ist also ein strukturelles Mittel, das mir sehr viel Bewegungsfreiheit gegeben hat.

Daneben hat es mir auch die Möglichkeit gegeben, auf meine Kindheit zurück zu schauen (und ich hatte eine sehr schöne Kindheit). Durch dieses Hin und Her zwischen Kindheit und Erwachsenenalter entsteht zusätzliche Bewegung – und das bringt uns wieder zurück auf das Vagabundieren.

Der zweite Grund ist meine Überzeugung, dass der Mensch als Wesen nicht den Raum bewohnt, sondern die Zeit. Wir halten uns in unserem Leben an unterschiedlichen Orten auf, aber die Kindheit als Zeit ist eine der prägendsten Elemente im Leben eines Menschen, nicht der Ort, an dem diese Kindheit stattgefunden hat.

Und je nachdem in welchem Alter man ist, ob sieben, fünfzehn oder dreißig oder sechzig, erlebt man Dinge anders. Wenn wir als Beispiel jemanden nehmen, der in Frankfurt geboren und aufgewachsen ist und die Stadt nie verlassen hat, der wird im Alter von 75 vielleicht sagen, dass die Stadt sich verändert hat. Aber im Grunde ist er es, ist es sein Blick auf die Stadt, der sich verändert hat.

In einem Interview sagten Sie einmal, dass der Schriftsteller nicht direkt in die Politik eingreifen soll. Was ist denn in Ihren Augen die Aufgabe des Schriftstellers?

(Lacht.) Das muss fehlerhaft übersetzt worden sein. Nein, ich habe diese Äußerung im Zusammenhang mit meiner Beobachtung gemacht, dass auf den Schultern der Schriftsteller ungeheure Lasten ruhen. Das heißt, man erwartet von Autoren, dass sie sich zum Sprachrohr des Volkes machen, vor allem in wenig entwickelten, ärmeren Ländern. Die Erwartungen auch in Bezug auf die Themen, welche die Autoren behandeln sollen, sind immens. Sie sollen über wirtschaftliche Probleme sprechen, über Armut, über Dinge, die andere Menschen vielleicht aber viel mehr interessieren, als den Autoren selbst. Als hätte man gar nicht die Freiheit über das zu schreiben, was einen selbst beschäftigt. Ich bin Schriftsteller geworden, um frei zu sein.

Was wiederum nicht heißt, dass ich mich als denkender Mensch nicht für Politik interessiere. Im Gegenteil. Ich bin ein sehr politisierter Mensch. Aber man muss als Kreativer darauf achten, dass bei sehr zeitgebundenen Themen der Text nicht in der Zeit stecken bleibt, denn schließlich möchte man etwas schaffen, dass zeitlos ist.

Beispielsweise gab es 2010 ein verheerendes Erdbeben in Haiti, an das sich die meisten sicher erinnern. Ich hatte schon davor begonnen, einen Text über ein anderes Erdbeben zu schreiben, das 2009 in Italien/L’Aquila stattgefunden hat. Ich habe dieses Buch nach 2010 weitergeschrieben, zugleich habe ich aber auch die Haitianische Erfahrung mit hineingearbeitet. Denn mich hat vor allem interessiert, wie Menschen auf Katastrophen (seien es politische Katastrophen oder Naturkatastrophen) reagieren: Wie verändert sich der Mensch, wenn er mit solchen Dingen konfrontiert ist. Zieht er sich in sich selbst zurück, entwickelt er Gemeinsinn, oder hat er Angst? Welche Wesenszüge werden durch solche Katastrophen zu Tage gefördert? Indem ich mich auf diese menschlichen Aspekte konzentriere, kann ich neben dem italienischen gleichzeitig auch das haitianische Erdbeben beschreiben. Und das ist in hohem Maße politisch. Das Buch wurde ins Italienische übersetzt, aber erst der zweite Verlag, dem es vorgelegt wurde, hat es auch genommen – dem ersten war es zu politisch.

Dalembert 1_sophieIn Haiti sind Sie einer der populärsten Autoren. Allerdings leben Sie nicht dort. Wer ist eigentlich Ihr Adressat? Haitianer der Europäer?

In erster Linie schreibe ich für mich selbst, ich finde, das ist das Wichtigste. Das hast mit meinen Wunsch nach Freiheit zu tun. Ich möchte mir die Freude erhalten, dort zu sein, wo ich sein möchte und das zu schreiben, was ich schreiben möchte. Aber natürlich schreibe ich auch für alle, die meine Bücher kaufen wollen. Die Texte sind in alle möglichen Sprachen übersetzt worden, es haben also viele Menschen auf der Welt die Möglichkeit sie zu kaufen. Und je mehr Bücher verkauft werden, desto freier bin ich. Dabei verliere ich nicht aus den Augen, wo ich herkomme. Und selbst wenn sich die Ereignisse in meinen Büchern in Italien, Afrika oder den USA abspielen, bleibt mein Blick doch immer der des Haitianers, der ich bin.

Haben Sie Vorbilder?

Die Frauen in meinem Leben. Meine Großmutter, meine Mutter. Meine große Schwester.

Dann ein paar Politiker, die ich mochte, als ich jünger war. Wie Che Guevara. Nelson Mandela darf nicht fehlen. Sie sind in gewisser Weise Lichtgestalten für mich, auch wenn Che für einige grausame Taten verantwortlich war. Mein größtes Vorbild ist aber Nelson Mandela, der einer der größten Menschen war, weil er tatsächlich Menschlichkeit gezeigt hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Louis-Philippe Dalembert: Die Götter reisen nachts. Roman. Aus dem Französischen von Bernadette Ott. Litradukt 2016. 200 Seiten. 16,80 Euro. eBook 9,99 Euro bei CulturBooks.
Abbildung Louis-Philippe Dalembert1: Wikimedia Commons, Autor: Garitan, Quelle.
Foto Dalembert hochkannt: Sophie Sumburane.

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