Stranguliert von Python
John Cleese, Ex-Monty-Python-Mime, „Fawlty Towers“-Hotel- Boss Basil und Drehbuchautor („Ein Fisch namens Wanda“), wagt mit „So, Anyway“ (dt. „Wo war ich nochmal?“) einen Rückblick auf Vergangenes. Interna aus der Monty Python-Periode werden ziemlich konsequent ausgeblendet, die war für ihn nur eine Etappe auf dem Weg zum „Fawlty Towers“- und „Wanda“-Ruhm. Stattdessen leuchtet die Kindheit in der englischen Provinz umso heller auf, und die USA werden für ihn zum Land, in dem große Träume in Erfüllung gehen. Als er sich dem Monty-Circus anschloss, hatte er schon Erfahrungen als Scriptwriter beim TV-Moderator David Frost und für diverse Radiosendungen gesammelt. Cleese streut hier immer wieder trockene, bildungsbeflissene und redundante Sequenzen ein, die offenbar demonstrieren sollen, dass er sich nach der Trennung vom Flying Circus und der Hinwendung zu psychoanalytischen Nabelschau-Phasen auf seriösen Pfaden weiterentwickelte. Vielleicht liegt dieser Hang zum Konventionellen aber auch am Fluch der teuren Scheidung: Denn 12 Millionen Pfund verlangte seine dritte Ehefrau, die amerikanische Psycho-Therapeutin Alyce Faye Eichelberger für die Trennung – da konnte er wohl nicht allzu wählerisch sein und produzierte nach seiner „Alimente-Tour“ nebenher noch diese Autobiographie, um Scheidung, Anwalt, Prozesskosten usw. finanzieren zu können. Von Peter Münder
Die große Reunion-Show der letzten fünf verbliebenen Monty Python-Komiker Michael Palin, John Cleese, Eric Idle, Terry Jones und dem US-Grafiker und Cartoonisten Terry Gilliam (nach dem Tod von Graham Chapman im Oktober 1989) in der Londoner O2-Arena wurde im Juli letzten Jahres zur gigantischen Familienfeier mit 14 000 Fans. Lautstark bejubelt und hymnisch besungen (und weltweit in 1000 Kinos übertragen) wurden die bewährten klassischen Nummern: Der tote Papagei wurde mächtig malträtiert, „Always look on the bright side“ intoniert, der milde Mime Michael Palin lieferte als munterer Holzfäller die perfekte Inkarnation eines glücklichen Holzhackers, der ganz in seiner naturverbundenen Arbeit aufgeht. Und die lasziv-spätpubertären Exkurse in anatomische Besonderheiten mit Cunnilingus-Demonstration („Sit on my face“), Nebel-Sperma aus Penis-Kanonen samt aufgeplatztem Bauch mit herausquellenden Gedärmen war auch ganz nach dem Geschmack der Monty Python-Gemeinde.
Die verehrt jedenfalls hingebungsvoll und locker-ironisch diese kritisch-subversive Truppe, die von 1969-1979 das britische Establishment vorübergehend stark irritierte, was sogar im empörten Ruf nach dem Zensor kulminierte, als Religion, Kirchenmänner und andere etablierte Würdenträger in „The Life of Brian“ verunglimpft wurden. In TV-Talkshows wetterte damals ein nach Zensur schreiender Erzbischof über den Film, den er gar nicht gesehen hatte. Dieses familiäre, nostalgisch angehauchte Ritual war auch unverkennbar gewesen, als Michael Palin 2006 seine Tagebücher an der Londoner Uni vorstellte und sich vor begeisterten Studenten auf eine Diskussion mit der Guardian-Redakteurin Francine Stock einließ.
Der Zweimetermann John Cleese, 75, der sich von den Pythons ja ziemlich früh eingeengt, „stranguliert“ und vereinnahmt fühlte und die Monty-Truppe verließ, um endlich seine eigenen Projekte wie die Sitcom „Fawlty Towers“ zu realisieren und Drehbücher („Ein Fisch namens Wanda“) zu schreiben, schien diese beschwingte O2-Familienfeier sehr zu genießen, obwohl er inzwischen zwei künstliche Hüften mit sich rumschleppt. Er lebt seit 1999 in Kalifornien, hat drei Ehen mit Amerikanerinnen (oh dear!) hinter sich und ist inzwischen zum vierten Mal verheiratet: Obwohl ihm seine Freunde rieten, sich mal eine Hochzeitspause zu gönnen („Don´t mention the M-word“ Marriage!) und sogar androhten, ihm vor der nächsten Trauung die Kniescheiben zu zerschmettern, schipperte er 2012 mit der 31 Jahre jüngeren Jennifer Wade, einer britischen Fitness-Trainerin, in den vierten Hafen der Ehe. Jetzt will der doch nicht so lernresistente Wahl-Amerikaner allerdings in einem Ehevertrag festlegen, dass er im Scheidungsfall nicht wieder eine Alimente-Tour einlegen muss. Über einen weiteren autobiographischen Band zwecks anvisierter Renditesteigerung hat sich Cleese bisher nicht geäußert; dieses Feld sollte der in den letzten Jahren zum bildungsbeflissenen VHS-Dozenten mutierten Schauspieler auch nicht weiter beackern.
So, anyway: Schon beim ersten Eintauchen in die Autobiographie wähnt man sich im klassischen, auf penibel eingeblendete biographische Details fixierten Dickens Country: Der Großvater wird ausführlich vorgestellt, dazu noch der gutmütige sympathische Vater, der als ehrlicher Versicherungsvertreter niemals überflüssige Policen verscherbelte. Die vom Vater 1915 veranlasste Namensänderung vom ursprünglich etwas peinlichen Cheese zu Cleese wird gestreift, dann beschreibt er ausführlich diverse Lehrer nebst ihren Macken, die ihn über Jahre an der St. Peter´s School so verständnisvoll und hilfsbereit förderten und begleiteten – für ihn waren es einfach begeisternde, goldene Jahre, in denen er als Latein- und Mathe-Crack glänzen und seine Cricket-Leidenschaft kultivieren konnte. Diese an St. Peter´s vermittelten Grundwerte Bildung, Sport und Höflichkeit sind für Cleese, wie er es formuliert, die Eckpfeiler der Zivilisation. Dorthin kehrte er auch sofort zurück, als ihm nach Beendigung seiner Schulzeit der Direktor anbot, während der Übergangsphase vor seinem Jura-Studium in Cambridge als Lehrer an diesen Hort der „happy civilisation“ eine frei gewordene Lehrer-Assistentenstelle zu übernehmen. Nur die depressive, egomanische Mutter war ein echter Problemfall: Vor allem an sich selbst und ihrem behaglichen Butzenscheiben- Mikrokosmos mit pünktlich eingehaltener Tea Time, Lunch Time und TV-Time interessiert, zu keiner Empathie fähig – Humor war für sie eine sublimierte Form von Folter. In der betulichen Somerset-Provinz und dem idyllischen Nest Weston-super-Mare hätte man es eigentlich gut aushalten könnten, doch in seinen ersten acht Lebensjahren zog er mit seinen Eltern achtmal um, weil die finanziellen Engpässe es damals erforderlich machten. Man reibt sich als Monty-Fan verwirrt die Augen: Wo ist bloß seine Lockerheit und spritzige Ironie, der ätzende Sarkasmus geblieben? Und Monty ist hier eher eine Marginalie: Einige Episoden werden kurz gestreift, doch der Band endet mit der Anfangszeit der Truppe, wohl auch deswegen, weil es schon reichlich Memoiren, Bildbände, Tagebücher usw. über die legendäre Gruppe gibt.
Monty-Kollege Michael Palin betonte in seinen Diaries immer wieder seinen Hang zum kindisch-anarchischen Humor und beschrieb etwa, wie er bei einem offiziellen Empfang im Gästebuch blättert und den Eintrag entdeckt „Margaret Thatcher, House of Commons“ und sich dann vorstellt, ob er in dieses Buch vielleicht „Gi. Raffe, London Zoo“ eintragen soll. Oder er überlegt, wie es wäre, pompösen aufgeblasenen Politikern oder Funktionären beim Absondern ihrer Phrasen einfach mal eine Banane ins Maul zu stopfen.
John Cleese hatte ja in seinen irren, schreiend komischen Python-Nummern auch demonstriert, wie entschlossen man im „Ministry of silly walks“ mit Riesenschritten seine Aufgaben erledigt oder dass auch ein entschlafener Papagei noch für heiße Diskussion über Sein oder Nichtsein sorgen kann. In „Wo war ich nochmal?“ tendiert er aber dazu – wohl von seinen jahrelangen amerikanischen Analyse-Sitzungen beeinflusst – Grübeleien und Reflexionsprozesse zu präsentieren, die das Bild vom lockeren Sponti weitgehend konterkarieren. Irgendwo scheint im Hintergrund immer eine Sprechblase aufzuleuchten, die signalisiert: „Seht her, wie vernünftig ich jetzt bin!“ Eine langatmige Erklärung über die Entstehung von Humor oder Situationskomik, die er hier präsentiert, wirkt jedenfalls ebenso ermüdend wie überflüssig. „Warum gibt es eigentlich immer nur Diskussionen über den „writer´s block“, fragt er sich, aber nie über den „bricklayers´ block“ (also eine „Maurer-Blockade“)? Das Schreiben steht hier mehr im Mittelpunkt und wird häufiger thematisiert als die Schauspielerei, weil Cleese seine Karriere den Nummern zu verdanken hatte, die er als Student in Cambridge für die Floodlight- Theatertruppe fabrizierte. Die hatte der Cambridge-Absolvent und TV-Moderator David Frost begeistert verfolgt und ihn als Scriptwriter für die BBC angeheuert. Also musste Cleese regelmäßig spritzige, originelle Texte fabrizieren; aber dieser Zwang führte oft genug dazu, dass er nach des Tages Mühen nur weiße Blätter oder zerknülltes Papier im Müll vorweisen konnte.
Im Monty-Team hatte Cleese sich mit Graham Chapman (Pfeifenraucher und Alkoholiker mit sehr spätem Schwulen- Coming Out) zusammengetan, der ein extrem subtiles Gespür für komische Effekte hatte. Beide ergänzten sich beim Entwickeln verrückter Ideen und schriller Texte wunderbar – auch wenn Chapman dann bei den Dreharbeiten oft wegen seiner Alkoholexzesse ausfiel.
Für John Cleese wird die Team-Arbeit mit den Montys jedoch im Laufe der Jahre zur Belastung und zum Störfaktor, weil er keine Lust hat, 80 Prozent seiner Zeit in die Monty-Truppe zu investieren. Schon deswegen nicht, weil viel Zeit mit Terminabsprachen und Organisations-Details verplempert wird. An einer Stelle mutiert Cleese sogar zum Buchhalter, der penibel auflistet, welche Projekte er in einem Jahr realisiert hat: Fast zehn Monate hat er nur für Monty gewerkelt, seine eigenen Film- und TV-Projekte musste er vernachlässigen, was er für völlig inakzeptabel hielt. Ihm ging auch dieses Gruppengewusel auf den Geist: Bei Drehs im schottischen Hochmoor, in der englischen Provinz oder in Tunesien – überall war das Zusammenhocken mit altbekannten Typen und das Anhören verstaubter Witze angesagt, was er zum Schluss nicht mehr ertragen konnte. Er wollte lieber auch mal mit einem Buch in einer ruhigen Ecke hocken und ungestört lesen. Montys Kindertruppe wollte der angehende Basil Fawlty endlich hinter sich lassen und mit der talentierten Conny Booth seiner ersten Ehefrau, endlich die Fawlty Towers-Serie mit ihr als Zimmermädchen Polly durchziehen. Was ihm dann ja auch mit sensationellem Erfolg gelang.
Was Cleese hier allerdings verschweigt, ist sein großes Polarisierungstalent: Wenn die Truppe neue skurrile Nummern proben wollte, produzierte er lieber Corporate Training Films, längere Tourneen lehnte er meistens ab und als die Monty-Truppe nach Barbados flog, um dort in Ruhe an neuen Texten zu arbeiten, wollte er unbedingt seinen eigenen Koch oder noch einen Masseur mitnehmen. Den Lifestyle of the Rich and Famous hatte der Rolls Royce-Fahrer Cleese – im Unterschied zum Mini-Fahrer Palin – offenbar schon früh schätzen gelernt.
Am spannendsten sind eigentlich seine Einblicke in die frühen Lehr-und Wanderjahre: Die irren Impressionen von der Studenten-Tournee in der neuseeländischen Provinz, von ersten Auftritten am Broadway sowie die „Frost-Periode“ mit dem genialen, souveränen David Frost, der den jungen Cleese frei schalten und walten lässt. Jura-Student Cleese hatte sich ja ursprünglich schon als Junganwalt bei einer Londoner Anwaltskanzlei verpflichtet, war dann aber geradezu in einen Arbeitsrausch verfallen, als er für diverse Revuen und die BBC seine Texte schrieb und als Schauspieler auftrat, so dass er kaum noch Zeit hatte, sich auf sein Abschlussexamen vorzubereiten. Er schrieb und schauspielerte, lernte einen umfangreichen Band über Kriminologie für dieses gerade neu gegründete Studienfach in vier Tagen auswendig und schaffte prompt ein gutes Examen. Der Anwaltskanzlei konnte er endlich beruhigt absagen, weil er seine wahre Berufung entdeckt hatte, die zudem noch gut honoriert war.
Als die „Times“ übrigens vor einigen Jahren eruieren wollte, warum Cleese unbedingt die aus Oklahoma stammende Therapeutin Alyce Faye heiraten wollte, die auch nicht gerade für ihren Humor bekannt war, hatte er das damit erklärt, dass er damals glaubte, „das gehöre sich so“.
Dieses in den USA erlernte, bzw. ihm indoktrinierte korrekte Verhalten hat leider auch stark auf diese Autobiographie abgefärbt, der man auch den Untertitel „And now to something completely conventional“ verpassen könnte.
Peter Münder
John Cleese: Wo war ich nochmal? (So, Anyway , 2014). Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Blessing, München 2015, 480 Seiten. 22,99 Euro.
Michael Palin: Diaries 1969-1979: The Python Years. Weidenfeld & Nicolson 2006, 650 Seiten.
The Pythons Autobiography by the Pythons. Orion London 2003, 462 Seiten.
Foto Python: Wikipedia, Autor: BBC, Quelle.