Geschrieben am 30. März 2011 von für Kunst, Litmag

Ausstellung: Gilbert & George: Jack Freak Pictures

Narzisstische Pop-Art im Doppelpack

– Die beiden Unzertrennlichen, die schon seit Jahren im gepflegten Anzug, mit geblümten Krawatten und gelangweiltem Buchhalterblick durch die Kunstszene stolzieren, gelten überall als Kult – warum eigentlich? Das fragt sich Peter Münder nach dem Besuch der Ausstellung „Jack Freak Pictures“ von Gilbert and George in den Hamburger Deichtorhallen.

Als G & G in den 70er-Jahren sich im Londoner Eastend ausgerechnet im düstersten Viertel Spitalfields ein marodes Haus suchten, das sie aufwendig sanierten, war dies für sie ein idealer Spähposten im ungewohnten Terrain. Denn hier, wo Jack the Ripper vor 120 Jahren nicht weit entfernt sein mörderisches Unwesen trieb, wohnten eigentlich nur die Mühseligen und Beladenen aus Indien und Pakistan in völlig heruntergekommenen Bruchbuden, die man eher in Kalkutta vermuten würde; hier suchten Obdachlose und Outcasts sich unter Brücken ihr Quartier. Damals hatten G & G (Gilbert Proesch, geb. 1943 und George Passmore, geb. 1942) noch ein Gespür für soziale Belange und gesellschaftskritische Aspekte. Wenn die Neonazis von der National Front Randale machten und mit Hetzkampagnen gegen Pakis die Anwohner aufstacheln wollten, dann protestierten sie und setzten sich in Fotos und Bildmotiven mit dieser kranken Entwicklung auseinander.

Blick in die Ausstellung „Jack Freak Pictures“. Im Vordergrund die britischen Künstler Gilbert & George Foto: Fred Dott. © Deichtorhallen Hamburg / Fred Dott

Man muss eigentlich nur auf diese frühe Epoche ihres Kunstgewerbes zurückblicken, als das schwule Selbstinszenierungsduo noch mit gülden glänzenden Gesichtern und akkurat sitzenden Anzügen für Aufsehen sorgte und unter alten Eisenbahnbrücken den Evergreen „Underneath the Arches“ zum Welthit stilisierte, um zu erkennen, dass die unermüdlichen Selbstvermarkter eine bedenkliche, enttäuschende Entwicklung hin zu kafkaesken Meistern einer grotesk-narzisstischen Nabelschau durchgemacht haben. Aber sie sind immer noch Kult – warum eigentlich? Weil sie mit ihren verfremdeten, ach so britischen Union-Jack-Motiven das Klischee vom steifen Gentleman konterkarieren? Weil sie wie siamesische Zwillinge aneinandergeklettet durch die Straßen spazieren und wie Aufziehpuppen mit gefalteten Händchen am Tisch hocken, wenn sie einem Kunstkritiker erklären, dass sie mit ihren Pop-Motiven Kunst für alle machen wollen – nicht nur für die Intellektuellen und die versnobten „Toffs“?

Wie Staubsaugervertreter versuchen sie unermüdlich in langatmigen Interviews oder im ermüdenden 104 Minuten langen Biopic („With Gilbert and George“ von Julian Cole), das in der Hamburger Ausstellung gezeigt wird, ihr obsoletes Produkt unters Volk zu bringen. Ihr Kunstverständnis verkaufen sie als revolutionär (aber nicht zu sehr), als provozierend (aber nur moderat), als klassenübergreifend (weichgespült und weltweit konsensfähig): Was für ein hanebüchenes Wunschdenken! Eine Butterskulptur von Joseph Beuys, eine diffuse Frühnebel-Vision von Gerhard Richter oder ein Bild des kreativen Fakir-Klopfsauger-Spezialisten Jakob Zoche (vgl. CultMag-Bericht) ist origineller, verstörender und inspirierender als irgendeine von G & Gs ritualisierten, verknöcherten Darbietungen.

Gilbert & George: Streetparty. Aus der Serie Jack Freak Pictures“, 2008. 381 x 604 cm © Gilbert & George

In den tiefsten Niederungen

In der Show „Jack Freak Pictures“ sind G & G also in Union-Jack-Motive eingeblendet – mal mit herausgestreckten Zungen, mal selbst zu lebenden Fahnenmustern mutiert oder einfach nur auf einem Bein stehend: Marketing-Experten würden das als gelungene Corporate Identity bezeichnen, weil der Wiedererkennungswert wie bei einem Markenartikel griffig und unverwechselbar ist. Was der Stern für den Mercedes, scheinen die Anzüge, die geblümten Krawatten und die rot-weiß-blau gestreiften Britenwimpel für das Duo zu sein. Um zu zeigen, dass sie auch zur Avantgarde der Künstler mit aufklärerischem Anspruch gehören – man traut sich ja sonst nichts –, schmieren sie dann auch mal ihre eigenen, tausendmal fotografierten Exkremente zwischen christliche Kreuzsymbole auf die Leinwand, was dann laut vorgegebener G & G-Deutung prompt als inhaltsschweres Protestsymbol interpretiert werden soll. Das ist natürlich von enormer ästhetischer Sprengkraft, aber hallo! Welche Oma aus Wanne-Eickel oder Huddersfield fühlt sich denn dadurch noch provoziert? Was soll der Shit? Will man nur mal wieder ins Gespräch kommen? Und wenn man schon dabei ist, in die tiefsten Niederungen eines künstlerischen Mikrokosmos’ hinabzusteigen: Da legen G & G einen vollgepinkelten Objekttisch unters Mikroskop und berauschen sich dann am Wunder der Natur: So prächtig, so turbulent und aufregend können all diese kleinen Teilchen sein, die sich da im eigenen Urin tummeln! Was für ein ungeheurer, bedeutender Quantensprung: vom Kaffeesatzlesen der Madame Teissier hin zu G & Gs Urinproben-Interpretationen! Ernst ist das Leben, schmierig die Kunst.

Gilbert & George: Christian England. Aus der Serie Jack Freak Pictures“, 2008. 254 x 528 cm © Gilbert & George

Neuerdings haben sich G & G nur noch auf Computerbearbeitungen von Bildern kapriziert. Das sei ihnen gegönnt – Fantasie und Kreativität sind wie auch jeder Anflug von lockerer Selbstironie bei diesem Selbstdarstellungsduo, das sich schon längst nur um die eigene Achse dreht, ja total auf der Strecke geblieben. Vielleicht sollten sich die beiden mal ganz easy wegbewegen von der starren Ästhetik einer peinlich gewordenen permanenten Selbstreferenz. Einfach mal aussteigen aus dem Pop-Art-Karussel, Boogie-Woogie spielen, tanzen, töpfern, surfen vor Hawaii und dann vielleicht auf Ikebana umsteigen?

Peter Münder

Gilbert & George: Jack Freak Pictures. Ausstellung Deichtorhallen Hamburg vom 25.02.2011 bis 22.05.2011. Di.–So. 11–18 Uhr, jeden 1. Do. im Monat 11–21 Uhr. mail@deichtorhallen.de Eintritt 9,00 Euro.