In Basel
Morgens zwischen 8:00 und 9:00 Uhr gehe ich von meiner Gästewohnung am Spalenberg durch die Basler Altstadt runter zum Rhein, über die mittlere Rheinbrücke nach Kleinbasel und dort zum Klingental. In dem kleinen Park haben wir in den vergangenen Tagen eine der beiden Ausstellungen über afrikanische Fotografie aufgebaut. Die zweite Ausstellung befindet sich einige hundert Meter weiter, direkt am Rheinufer, am sogenannten Blaesiring.
Seit nunmehr neun Jahren werden diese Ausstellungen im öffentlichen Raum in Basel gezeigt. Immer zeitgleich zur Art Basel und Photo Basel. Im Rahmen des CAP Prize (Contemporary African Photography) werden so die Gewinner des Foto-Preises präsentiert. Die Arbeiten der Fotografen setzen sich mit dem afrikanischen Kontinent und dessen Diaspora auseinander. Die Künstler müssen nicht aus Afrika stammen.
Benjamin Füglister, ein guter Freund, Gründer und Veranstalter dieses Foto-Festivals, hat mich für zwei Wochen gebucht. Ein willkommener Anlass, Berlin zu verlassen, denn Pandemie-bedingt ist in Berlin, zumindest für mich, auch nicht gerade viel passiert.
Im Klingental angekommen, sehe ich die Verwüstungen der letzten Nacht. Gerüste, die während der letzten Tage aufgebaut und mit großformatigen Foto-Bannern versehen wurden, sind umgeworfen worden. Die Banner sind z. T. zerrissen oder zerschnitten. In den angelieferten Schiffscontainer wurde versucht einzubrechen. Zum Glück erfolglos, denn darin befinden sich Monitore für Videoprojektionen, technisches Equipment von nicht unerheblichem Wert, Getränke, Bücher, Kataloge usw.
Eine Anwohnerin spricht mich an. Sie hat das Treiben in der Nacht gesehen. „Das waren keine betrunkenen Jugendlichen. Das waren so Rechte. Rechtsradikale, Faschos.“ Meine Frage, ob Sie die Polizei gerufen habe, verneint sie.
Wir können die Schäden relativ leicht reparieren. Selbst für die zerstörten Fotografien und aufgezogenen Banner haben wir Ersatz. Dass nicht mehr und relevanter zerstört wurde, ist pures Glück. Wahrscheinlich wurden die Täter überrascht oder sonstwie gestört … wir wissen es nicht.



Die deutlich größere Ausstellung am Rheinufer ist unbeschädigt. Noch.
Die beiden Ausstellungen sind natürlich bei der Stadt Basel angemeldet, genehmigt und beglaubigt. Das beinhaltet die Dauer der Veranstaltung (drei Wochen) sowie die einzuhaltende Größe. Die Genehmigungen haben wir an beiden Orten schriftlich vorliegen.

An den folgenden Tagen bin ich hauptsächlich für die größere Ausstellung am Rhein verantwortlich. Aufpassen, Fragen zu Fotografien und Künstlern beantworten. Immer wieder erklären müssen, was denn der ganze Scheiß hier soll. „Ihr versperrt uns die ganze Sicht!“ „Wir können gar nicht mehr am Wasser sitzen.“ „Hier spielen auch Kinder.“ „Hier gibt’s schon genug von dem Pack.“ Ein Fahrradfahrer ist besonders hartnäckig. Mindestens zwei Tage folgt er mir auf Schritt und Tritt in Radfahrermontur plus Helm – sagt kein Wort, starrt mich nur verbittert an. Irgendwann reicht es mir. „Kann ich Ihnen helfen?“, frage ich. Entsetzen in seinem Gesicht. Ich wiederhole meine Frage. Dann geht ein schweizerdeutscher Schwall auf mich nieder, aus dem ich nur raushören kann, wie ich es wagen könne, ihn anzusprechen. Ich drehe mich um und gehe. Scheint geholfen zu haben … ich habe ihn nicht wiedergesehen.
Eine besonders eindrucksvolle Arbeit ist von dem spanischen Fotografen César Dezfuli. Er fotografierte in den Jahren 2015/2016 mit den Booten ankommende Flüchtlinge an der europäischen Mittelmeerküste. Klare, fast schon monolithische Portraits von gezeichneten Menschen zwischen Hoffnung und Resignation. Alle vor dem gleichen Hintergrund, dem offenen Meer. Einige Jahre später ging er in Europa auf die Suche nach diesen Menschen, und die, die er fand, fotografierte er auf die gleiche Art nochmal. Er stellte diese Portraits nebeneinander. Es fällt mir schwer, die Portraitierten anhand der beiden Bilder, die im Abstand von nur wenigen Jahren entstanden sind, wiederzuerkennen. Diese Arbeit zeigen wir auch in einer Projektion auf Monitoren. In einer Endlosschleife sieht man die Einzelportraits, unterlegt von einer Original-Tonspur eines der Rettungsschiffe. Eine männliche Stimme wiederholt immer wieder den Satz: „Ihr seid jetzt sicher. Wir bringen Euch jetzt an einen sicheren Ort. Ihr seid jetzt sicher!“
An einem Morgen, kurz vor meinem Rückflug nach Berlin, sind die Augen eines der Portraitierten auf der Fotoleinwand zerschnitten. Wir können auch das noch notdürftig reparieren.

Meine zwei Wochen Basel sind zu Ende. Das Angebot, noch eine Woche länger, also bis zum Ende der Ausstellung zu bleiben, lehne ich ab. Am letzten oder vorletzten Tag der Ausstellung sendet mir Ben, der Veranstalter, eine Nachricht mit Bildern vom Rheinufer. Die Arbeiten von César Dezfuli – und nur die – wurden zerstört. Die Fotografien zerschnitten, abgerissen, vernichtet oder/und gestohlen.
Dass wir Deutsche nicht das alleinige Recht auf Rassisten und Nazis gepachtet haben, ist mir klar. So muss ich den ekelhaftesten aller Exporte auch im Ausland ertragen.
Natürlich hatte ich auch ganz wunderbare Momente in der Schweiz, konnte viele gute Leute kennenlernen und habe auch im Rahmen der Art Basel/Photo Basel eindrucksvolle Kunst sehen dürfen.

Ich hoffe, Ihr seid alle gesund durch das Jahr gekommen und wünsche Euch einen guten Start ins nächste.
Carsten Klindt
Berlin, 19. Dezember 2021
Zum demnächst 40. Mal postet Carsten Klindt bei uns monatlich ein Foto, hier die Übersicht seiner Streetscenes bei uns.