Geschrieben am 16. September 2018 von für Crimemag, CrimeMag September 2018

Zwei Stimmen zu André Georgi: Die letzte Terroristin

gregori terroristin46780Treuhand-Trauma, RAF-Terror, BKA-Inkompetenz

Joachim Feldmann und Peter Münder zu André Georgis „Die letzte Terroristin“

Die langen Schatten vergangener undurchsichtiger Wiedervereinigungsprozesse  wabern noch Jahre nach der desaströsen Treuhand- Abwicklung durchs Land: In dieser Phase letzter verzweifelter Terror-Aktionen der dritten RAF-Generation lässt André Georgi in seinem Thriller „Die letzte Terroristin“ noch einmal Revue passieren.  

Dienstreise nach Bitterfeld im Jahr 1991, Besuch des Treuhandchefs Dahlmann – so heißt der damailge Chef Rohwedder im Thriller von Georgi – in einem großen Chemiewerk. 800 Arbeiter demonstrieren gegen den verhassten Boss als Symbolfigur eines gnadenlosen Turbo-Kapitalismus, der sich nach der Wiedervereinigung in dubiosen Abwicklungsverfahren die Sahnestücke der Ex-DDR für Peanuts einverleibt. Dahlmann versucht vergeblich, beruhigend auf die Demonstranten einzureden, er will den geplanten Verkauf des gesamten Fuhrparks untersuchen, dessen mehrere Dutzend gut erhaltene Lkws von windigen Geschäftemachern für ein oder zwei Mark pro Stück verramscht werden sollen, außerdem werden die dazu gehörenden Immobilien und Grundstücke verschleudert – was Dahlmann verhindern will. Zusammen mit seiner Assistentin Sandra Wellmann versucht er, die geplanten dubiosen Deals stichprobenartig zu überprüfen, aber angesichts der chaotischen Aktenlage von ca. 12.000  Anträgen vieler Scheinfirmen und all der eingefädelten Abwicklungen und Übernahmen ist das fast aussichtslos. Kein Wunder, dass die Wut und der Hass der betroffenen entlassenen Arbeiter hochkochten (und heute immer noch spürbar sind), wenn über „blühende Landschaften“ oder westdeutsche „Solidarität“ schwadroniert wird. Und wenn Demonstranten Plakate mit dem Slogan „Treuhand-Sterbehilfe“ durch Berlin zogen.

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Fahndungsplakt Dritte RAF-Generation

Dahlmanns Assistentin Sandra Wellmann hat Jura studiert und erst vor einigen Wochen diesen Job bekommen, weil sie mit der Tochter ihres Chefs schon seit Jahren befreundet  ist. Er vertraut ihr völlig, sie verhält sich jedoch merkwürdig distanziert. Erst allmählich, als sie etwa in Dahlmanns privatem Terminkalender heimlich herumschnüffelt, wird klar, dass sie ein doppeltes Spiel betreibt: Sie ist vor etlichen Jahren während der Hamburger Hafenstraßen-Protestaktionen  von der RAF als Informantin angeheuert worden und soll für die RAF die günstigste Gelegenheit für ein Attentat auf Dahlmann auskundschaften. Gewissensbisse oder Schuldgefühle werden mit  pseudosozialistischen, vor langer Zeit internalisierten Phrasen vom Krieg gegen „Funktionsträger“ eines Ausbeutersystems neutralisiert. Was aus diesem Raster fällt – wie etwa der Mord an einem jungen GI, dem für ein Bombenattentat auf die US Airbase in Frankfurt der Ausweis gestohlen wurde -, haben die Beteiligten längst verdrängt.    

Wenn der Drehbuchschreiber („Tatort“ u.a.) und Krimi-Autor André Georgi, 53, sich mit diesem ziemlich unbekannten Kapitel der letzten RAF-Phase vom Mord am Deutsche Bank-Chef Herrhausen bis zum Zugriff auf dem Bahnhof von Bad Kleinen auseinandersetzt, dann arbeitet er mit kurzen filmischen Sequenzen, rasanten Perspektivwechseln  und mit realistischen Dialogen. Seine  Figuren sind zwar fanatische Attentäter, doch er blendet Impressionen ihrer Entwicklung ein und  lässt ihnen sogar Raum für das Artikulieren ihrer Zweifel an den eigenen Aktionen. Die dann aber von Sandra Wellmann weggewischt werden wie alte Spinnennetze: Zurück ins Biedermaier-Spießertum? Niemals…

 Spannend sind Georgis Hinweise auf die DDR-Unterstützung und Ausbildung einiger RAF-Mitglieder. „Briesen ist Ihnen ein Begriff?“ fragt etwa der BKA-Chef in die Runde seiner jungforschen Ermittler, denen diese DDR-Connection  natürlich gar nichts sagt. Doch diese von Georgi georgi 911qG6s44tL._SY445_akribisch recherchierten Aspekte sind wichtig: Den Präzisionsschuß  aus sechzig Meter Entfernung auf Dahlmanns Villa in Düsseldorf – auf das einzige nicht schusssichere Fenster! –  hätten die RAF-Terroristen ohne DDR-Training nie hinbekommen, räsonniert etwa der BKA-Chef. Und als das RAF-Paar Bettina und Gelfert, beide früher in Driesen von der Stasi ausgebildet, nach langer Zeit ihren ehemaligen Ausbilder kontaktieren, um neue Ausweise und Geld für ihre Flucht zu organisieren, staunt Gelfert nicht schlecht, als er im neuen Pass als Berufsangabe entdeckt: „Handelsreisender“. Kann das nur Zufall sein, oder hat die Stasi tatsächlich ausbaldowert, dass er als Schüler  eine exzellente  Abi-Arbeit über Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ geschrieben hatte, über die seine Lehrerin damals begeistert ins Schwärmen geriet? Damals hatte er auch  eine Analyse zum Thema „Die Selbstkritik des Kapitalismus in ihrer systemstabilisierenden Form“ fabriziert. Nun denkt Gelfert: „Ich bin jetzt also ein Willy Loman.“ 

Da Georgi einen prächtigen Sinn für ironische Pointen hat, würde es mich nicht wundern, wenn er selbst während seines Philosophie- und Germanistik-Studiums diese Arbeiten geschrieben hätte. 

Georgi schert sich wenig um Experten, die das RAF-Enigma gelöst zu haben glauben oder die DDR-Connection für Humbug halten. Er konstruiert eine Verbindung zum Genfer Juristen Niedeck, der als Investment-Spezialist und Unternehmensberater während der Wendezeit dafür sorgte, dass DDR-Firmen zum Schnäppchenpreis an Wessi-Unternehmen  verscherbelt wurden. Georgi deutet an, dass Niedeck ein großes Interesse entwickelt haben könnte, den selbstkritischen und skeptischen Dahlmann („vielleicht hat die Treuhand einen Geburtsfehler, der nicht mehr korrigierbar ist“) zu eliminieren. Hatte er die RAF-Killer angeheuert?

„Die letzte Terroristen“ bietet uns mehrdimensionale Blicke in ein buntes Kaleidoskop: Spannende Plots, griffige Psychogramme irregeleiteter Fanatiker  sowie Rückblicke auf eine turbulente historische Epoche. Letzte Wahrheiten über die damaligen Abläufe kann Georgi nicht bieten – aber seine Geschichte bietet sehr plausible und faszinierende Einblicke.  Er haut manchmal auch einfach nur sagenhaft flapsige, rotzfreche  Invektiven raus – etwa über Köln, wo den Leuten während der tollen Tage fliessendes Sperma lebenswichtiger als Wasser sein soll – aber was soll’s. Souverän blickt er über den Tellerrand, lenkt den Fokus auf einen größeren Kontext und beleuchtet die Interaktion seiner Figuren auf unterschiedlichen Ebenen mit raffiniertem Tiefgang. Kurz und gut: Ein absolut fulminantes Lese-Abenteuer.

Peter Münder

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Bemerkenswerter Politthriller

Vor mehr als zwei Jahrzehnten verkündete die so genannte Rote Armee Fraktion, die im Frühjahr 1970 mit der Befreiung Andreas Baaders, den, so hieß es in einer zeitgenössischen Selbstdarstellung,  „bewaffneten Widerstand“ aufgenommen hatte, um „die Konflikte auf die Spitze treiben zu können“, ihre Auflösung. Nach 28 Jahren werde das „Projekt“  beendet, die „Stadtguerilla in Form der RAF“ sei „nun Geschichte“.  Es war, so hätte man es auch formulieren können, gemessen an den vollmundig formulierten Ansprüchen kläglich (und blutig) gescheitert. Weder hatte sich das „Proletariat organisieren“ lassen, noch war es gelungen, „die Klassenkämpfe“ zu „entfalten“.

Zu diesem Zeitpunkt war die bekannteste linksterroristische Vereinigung der alten Bundesrepublik bereits seit fünf Jahren nicht mehr aktiv in Erscheinung getreten. Seit dem desaströs gescheiterten Einsatz der GSG-9 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen im Juni 1993, dessen Hintergründe noch immer nicht vollständig aufgeklärt sind, äußerte sich die RAF vor allem in Leserbriefen an linke Medien. Und ihre so genannte Dritte Generation, immerhin verantwortlich für mehrere Anschläge und Morde, ist bis heute ein Rätsel geblieben. Das bietet Anlass zu Spekulationen und Verschwörungstheorien, liefert aber auch hochattraktives Material für zeitgeschichtliche Thriller.

georgi 946388-galleryV9-ceet-946388André Georgis Roman ist eine packende epische Rekonstruktion der letzten aktiven Phase der RAF. Dabei nutzt er die Freiheit der Fiktion. Aus dem 1991 ermordeten Detlev Rohwedder beispielsweise, der als Chef der Treuhand die Privatisierung der ehemals „Volkseigenen Betriebe“ der DDR organisieren sollte, wird der Manager Hans-Georg Dahlmann, dessen Tod auch interessierten Wirtschaftskreisen nicht ungelegen kommt. Georgi legt hier eine ziemlich eindeutige Spur.

Im Mittelpunkt des Thrillers steht allerdings die 27-jährige Sandra Wellmann, der es gelungen ist, einen Job in unmittelbarer Nähe Dahlmanns zu ergattern. Sie ist die „letzte Terroristin“ des Titels, als Jugendliche radikalisiert und von einer Sympathisantin zur Aktivistin geworden, der die Ziele ihres Handelns allerdings immer unklarer werden. Das gilt auch für die anderen Mitglieder ihrer klandestinen Gruppe. Die alten Sprüche vom anti-imperialistischen Kampf klingen hohl, und manchem scheint es nur um das Überlegenheitsgefühl zu gehen, welches sich beim Hantieren mit einer Schusswaffe einstellt. Ihr Gegenspieler ist  Andreas Kawert vom BKA, ein von Selbstzweifeln geplagter Ermittler, dem es gelingt, der (fiktionalen) Wahrheit ziemlich nahe zu kommen. Georgi erzählt die hochspannende Geschichte aus den wechselnden Perspektiven dieser Protagonisten, ohne ganz auf eine auktoriale Stimme zu verzichten. Sein Stil ist farbig und bilderreich, gelegentlich auch ein wenig flapsig. Dass ihm im Formulierungsschwung der eine oder andere sachliche Patzer unterläuft, hätte ein aufmerksames Lektorat merken können. Gegen die Lektüre dieses bemerkenswerten deutschen Politthrillers spricht das aber nicht.

Joachim Feldmann

André Georgi: Die letzte Terroristin. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. Klappenbroschur, 362 Seiten, 14,95 Euro. Verlagsinformationen hier.

PS. Der Roman ist unter dem Titel „Der Mordanschlag“ als Zweiteiler für das ZDF mit Ulrich Tukur, Petra Schmidt-Schaller, Maximilian Brückner, Jenny Schily und Stefanie Stappenbeck nach einem Drehbuch von André Georgi verfilmt. Der Ausstrahlungstermin steht noch nicht fest. 

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