Geschrieben am 1. Mai 2019 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2019

Zu Don Winslow „Jahre des Jägers“

All fucked up 

Thomas Wörtche sieht in Don Winslows neuer Roman „Jahre des Jägers“ den Schritt vom „realistischen“ zum „symbolischen“ Erzählen vollzogen.

Mit dem tausendseitigen Epos „Jahre des Jägers“ schließt Don Winslow seine Drogen-Trilogie („Tage der Toten“, „Das Kartell“) ab und kommt damit in der Echtzeit von 2018 an.  Den Kern dieses letzten Romans bildet allerdings nicht mehr den Kampf des Drogenfahnders Art Keller, der inzwischen zum Chef der Drug Enforcement Agency, DEA, aufgestiegen ist, gegen die mexikanischen Drogenkartelle, sondern deren Kampf untereinander und vor allem Kellers Kreuzzug gegen die Trump-Administration. Trump, der im Roman John Dennison heißt,  erlaubt durch windige Geschäfte seines Schwiegersohns, im Roman Jason Lerner genannt, einer mexikanischen Kartellbank direkten Einfluss auf die Politik der USA zu nehmen.  Aus Kellers Hauptfeind, dem Sinaloa-Kartell, ist ein Syndikat geworden und diesem Syndikat gehört das Weiße Haus – „es wird ein und dasselbe sein“, lautet sein resignierter Kommentar und dieser Konstellation widmet Keller seinen letzten großen Kampf.

Der Clou dieser Konstruktion besteht darin, dass Kellers Bemühen, Trump/Dennison zu Fall zu bringen, strukturanalog zu den Ermittlungen von Sonderermittler Mueller, der im Roman John  Scorti heißt, sind, bei denen es bekanntlich um den Einfluss Russlands auf die Regierung der USA geht. Deswegen ist „Jahre des Jägers“ letztendlich ein Anti-Trump-Roman und ein deutliches politisches Statement des Autors Don Winslow, der den moralischen Totalzerfall der USA von einem durchaus patriotischen Standpunkt aus beklagt. Denn Keller ist heroisch genug, um eher sich selbst zu opfern, als die Verhältnisse kampflos zu akzeptieren.  Dieser Schachzug verschiebt allerdings die Interpretationsebene des Romans: Wenn die Vorgänge um Trump und die Kartellbank übersetzbar sind in Trump und Russland, dann zieht Winslow eine symbolische Ebene ein, bei der es eben nicht mehr um eine „realistische“ (gar semidokumentarische) Darstellung der Drogenindustrie und angeschlossene Geschäftsfelder geht, sondern um ein ganz anderes Thema. Es geht dann nicht mehr um den War-on-Drugs per se, sondern der wiederum ist eine Ebene höher dann nur als eine Chiffre unter anderen für die moralische Korrosion „westlicher Werte“ zu lesen.

Game of Thrones cont.

Der ultrabrutale Kampf der mexikanischen Kartelle untereinander – ein krass blutiges Jeder-gegen-Jeden, mit Verrat, Intrigen, Koalitionswechseln, Loyalitäts- und Generationenwechseln – inszeniert Winslow in einer Art Game-of-Thrones-Dramaturgie, inklusive überraschender Todesfälle, abgefeimter Schachzüge und sadistischer Exzesse. Auch hier durchläuft der „Realismus“ einen Prozess medial vorgeprägter Wahrnehmungsfilter.

Dabei erweist sich Winslow als virtuoser Kompilator bekannter Ereignisse (wie zum Beispiel das Massaker an 43 Studenten in der Stadt Iguala im September 2014) oder anderer Narrative aus dem gesamten mittelamerikanischen Raum, wie zum Beispiel die Paraphrase des Film „Sin Nombre“ (von 2009), bei dem es um einen Zug geht,  auf dem Flüchtlinge aus Guatemala bis zur US-Grenze vordringen wollen. Der Anteil an der von Winslow behaupteter Eigenrecherche schrumpft dann erheblich, wenn man zudem fast alle Ereignisse und Konstellation des Romans in der einschlägigen Presse, in Studien und Blogs nachlesen kann. 

Cover der US-Ausgabe

Die erstaunlich straffe Struktur, mit der Winslow seine tausend Seiten zusammenhält, lässt wenig Platz für Kontingenz, die Handlung und die geschilderten Ereignisse erscheinen wie ein Masterplan aus der Hölle, bei dem ein Rädchen ins andere greift, und niemand mehr die Katastrophe verhindern kann. Nicht die inzwischen von der Pharmaindustrie abhängig gemachte Bevölkerung der USA, die ihre Opioide braucht, und nicht die Politik, auf deren Betreiben hin der „War on Drugs“ zu einem gigantischen, profitablen Geschäftszweig geworden ist.  Insofern bietet Winslows Art-Keller-Trilogie ein geschlossenes Weltbild an. Und damit eine düstere, hermetischen Teleologie, die nur zu öffnen wäre, wenn „Drogen“ legalisiert und staatlich-demokratischer Kontrolle unterworfen wären.  So, wie Winslow die politischen Verhältnisse eisern rahmt, wäre daran allerdings nur als Utopie zu denken.  Utopien allerdings brauchen vermutlich weniger deterministische literarische Formen.

Thomas Wörtche

  • Don Winslow: Jahre des Jägers (The Border, 2019). Deutsch von Conny Lösch. Droemer Verlag, München 2019. 989 Seiten, 26 Euro. 

Alf Mayers Abrechnung mit dem Vorläuferband „Das Kartell“: Surfer, bleib bei deinen Wellen bei CrimeMag. Peter Münder über „Jahre des Jägers“ bei CrimeMag. Don Winslow in summa bei uns.

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