Geschrieben am 1. März 2023 von für Crimemag, CrimeMag März 2023

Wozu dichten (10): Sulpicia – Roms einzige Dichterin

Wozu dichten (10): Markus Pohlmeyer über Sulpicia – eine freche römische Dichterin

Sulpicia ist die einzige römische Dichterin (… augusteische Zeit), die uns überliefert wurde. Und ‚Sulpicia‘ nenne ich die Stimme ihrer Gedichte. Und die Stadt: das kann nur Rom sein. Und jetzt, liebe Leserin, lieber Leser, lesen Sie vielleicht doch zuerst die Gedichte. Und dann dies: In meiner freieren Übersetzung – die zwischen antik und (post)modern hin und her pendelt und taumelt, einiges übertreibt, hier und da entfaltet, etwas auslässt – habe ich die (tradierte) Reihenfolge der Gedichte um eines tragischen Abschlusses willen umgestellt. Die neue Sequenz ist durchaus schmerzlicher: Aber warum sollte es ‚Sulpicia‘ elegisch besser ergehen als ihren Dichterkollegen ‚Tibull‘, ‚Properz‘ und ‚Ovid‘? Ihre Kollegen sind, der Vergleich möge mir verziehen werden, „Klassik und Romantik“, sie dagegen blanker „Sturm und Drang“. 

Sulpicia will zwar nicht mit dem Kopf durch die Wand, aber mit ihrem Herzen. Doch der ‚Kunstname‘ ihrer Begierde verheißt aber längerfristig nichts Gutes. Die Elegien werden von ihren Gefühlen wie von einem Sturm durchtost – Ausbrüche, Umbrüche, Einbrüche – emotionale Achterbahnfahrten, und das in einer dies abbildenden Syntax, die (mich echt) verrückt macht: von einfach bis hyperkomplexe Verschachtelungen. Und auf der einen Seite ein markantes ‚Ich‘, auf der anderen ein ständiger Blick in Richtung, was denn die Gesellschaft munkelt und munkeln soll. Ständebewusstsein als Argumentationsfigur. Ich da oben, die Nebenbuhlerin da unten. Und wenn auch Er von ganz tief kommen sollte: ‚Sulpicias‘ Liebe vermag, ihn zu adeln. 

Summary: Sie ist anfänglich voll im Ragemodus, weil das alles schmando läuft. (Auch wenn es so klingt, das ist hier kein Gerundium …, ja, ich weiß, quengel, wieder krass der Lateiner.) Dann hat ‚Sulpicia‘ eine Motorfehlfunktion, sie feiert eine Mem-Party mit ihren literarischen Vorgängern (get on my level!), ist likegeil, leidet unter einem Kein-Bock-Syndrom, endlich haben sich beide geshipped, aber der Low-Snack erweist sich in der Verlagerung seiner erotischen Sozialkompetenz alles andere als schmoof: Lösch dich!

Und hier eine andere Einführung mit folgender Vermutung: „Ihre Mutter wäre dann eine Schwester des Messalla Corvinus, dessen Dichterkreis Sulpicia angehörte. Sulpicia schrieb sechs Kurzelegien über ihre Liebe zu Cerinthus. Es ist möglich, daß es sich um originale Werke der vornehmen Römerin handelt.  Die vorliegenden kleinen Gedichte haben großen Stil. Diese epigrammartigen Billetts, eines der wenigen Zeugnisse literarischen Schaffens von Frauen in der Antike, lassen in ihrer Unmittelbarkeit den Abstand der Jahrtausende vergessen.“[1]

Die Gedichte[2]

„Mein verhasster Geburtstag ist da, der mit Traurigkeit auf dem verdrießlichen Lande und ohne den bitter-honigsüßen Cerinth verbracht werden muss. Was ist mehr sexy als die Stadt? Oder sollte ein Bauernhof und ein eiskalter Fluß im Nirgendwo passend sein für ein Mädchen? Außerdem, komm mal runter, Messalla, mein besorgter Hubschrauberonkel! Hier lass ich zurück: Herz und Gefühl, wenn man mich weggezerrt, da du ja mich nicht sein lässt, wie es mir beliebt!

Weißt Du schon? Die traurige Reise ist aus dem Geist des Mädchens gecancelt. Am Geburtstag darf sie in Rom sein, die Deinige. Von uns allen mag dieser zukünftige Festtag begangen werden, der durch ein unvermutetes Schicksal Dir zukam.

Macht denn das etwas mit Dir, Cerinth, der Du Deinem Mädchen gefallen willst, dass meinen ganzen Körper, so schlaff, nun Hitze quält? Ach, ich? … nichts anderes möchte’ ich: die trübselige Krankheit und Leidenschaft besiegen –, wie wenn Du es willst, was ich mir einrede. Aber was nützte es mir, Krankheit und Leidenschaft zu besiegen, wenn Du mein volles Leid gleichgültigen Herzens ertragen kannst. 

Nicht mag ich Dir, Licht meines Lebens, schon wieder eine Sorge heiß wie Fieber sein, so wie ich wenige Tage zuvor den Eindruck machte, wenn ich etwas in meiner ganzen Jugend dumm angestellt habe, was, ich gesteh’s, mich mehr reute: dass ich Dich in der gestrigen Nacht allein zurückließ, weil ich wünschte, zu verheimlichen, dass ich mega heiß war.

Endlich kam Liebe – Weltklasseniveau, das mit einer Decke zudecken mir mehr Schande bringt als vor der anonymen Öffentlichkeit zu entblößen. Venus – innig mit meinen Gedichten angerufen – brachte ihn, den Fernen, herbei und legte ihn mir an den Busen. Venus löst ihre Versprechen ein: meine Glückseligkeit soll jemand herumerzählen, wenn ein Er oder eine Sie keine hat – so das Getuschel von morgen. Nicht möchte’ ich etwas versiegelten Wachstäfelchen anvertrauen, auf daß es ja keiner vor dem, der mir gehört, lese. Aber unanständig zu sein macht Spaß, und es ist ätzend, Masken für den Stadtklatsch zu erfinden: Mit einem Standesgemäßen hat eine Standesgemäße gefickt[3] – das soll man von mir sagen!

Na danke schön, dass Du Dir nun mir gegenüber so viel herausnimmst, im sicheren Gefühl, dass ich nicht plötzlich durchknalle und abstürze. Sorgst Du Dich doch lieber um eine Fummel tragende Hure, von einem Wollkörbchen gebeugt, als um des Servius Tochter: SULPICIA! Denen die Schlampe da Kopfzerbrechen bereitet, sie sind in heftiger Aufregung um mich – Argument Nr. 1: ich könnte einem drittklassigem Betthäschen weichen.“

III

Markus Pohlmeyer: Sulpicia. Variationes

Die beste Interpretation eines Gedichts? 
Das Gedicht selbst. 
Oder ein neues darüber verfassen:
Muse
Du stehst neben mir
Ich könnte dich berühren
So nah dass ich deinen Duft atme
So weit weiter entfernt als je ein Licht
Der tiefsten Galaxie 
Ich stand
In den Ruinen
Eines Imperiums
Ich stehe
Wo du warst
Vor 2000 Jahren
Hieroglyphen der
Imagination deine
Verse Zeitmaschinen
Aus so gut wie nichts
Gebaut an einen Unbekannten
Diese zweidimensionale
Einfaltung des Universums
Deines Herzens das ich
Mit zwei Buchseiten
Entfalte Dich
Dich zu übersetzen
Das
Mein Totenopfer
Meine Memoria
Mein Glück
Kein süßes Rom hier
Rufe ich dir zurück
Sondern am Ende der
Welt Krieg Corona Klima
Ist das angemessen für
Einen Dichter?
Draußen
Hinter meinen Brillengläsern
Hinter dem Küchenfester
Verflüchtigt sich der blaue
Schrei einer Möwe wie
Eine sterbende Wolke
Innen ganz tief innen
In meiner Wohnung ein Zimmer
Das ich nie erreichen kann
Dein Atelier
Wo du mit eigenen Händen 
Und Wachs
Dich formst
Und du wirst mir 
Einst und damals
Den deine Hände halten
Der dein Gesicht verdeckt
Einen Spiegel reichen und
Skandieren tanzen wütend
Jubelnd fühlend flüstern
Nackte Verse blanke Magie
Ich höre deinen Schritt
Du einzige einzigartige
Ich höre dich kommen

Markus Pohlmeyer, Dichter und Essayist, lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Texte und Gedichte bei uns hier.


[1] Die römische Literatur in Text und Darstellung: Augusteische Zeit, hg. v. M. v. Albrecht, Stuttgart 1987,  282 f.

[2] Lateinische Textvorlage nach: Tibull und seine Fortsetzer, lat./dt., hg. u. übers. v. D. Flach, Darmstadt 2015, 168 u. 170.

[3] Das lateinische fuisse cum ist in seiner harmlosen Untertreibung kaum zu steigern – im Gegensatz zum Inhalt, darum habe ich dafür eine drastischere Übersetzung gewählt. Siehe dazu auch K.-W. Weeber: Schöner schimpfen auf Latein, Stuttgart 2022 (ab S. 94).

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