Geschrieben am 20. April 2013 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Ulrich Noller über „Krimis machen 1“

Berlin, Brecht-HausEr könnte schon noch besser sein

– Ein paar persönliche Anmerkungen zum Symposium „Krimis machen 1“. Von Ulrich Noller

Autoren, Kritiker, Buchhändler, Literaturwissenschaftler, Lektoren, Verleger – gut hundert Krimimacher trafen sich am 12. und 13. April im Literaturforum des Berliner Brecht-Hauses zum Symposium „Krimis machen 1“, um über Gegenwart und Zukunft der Kriminalliteratur zu diskutieren. Ulrich Noller war dabei. Ein persönlicher Bericht.

Alles gut, beim Krimi made in Germany. Das war so das Grundgefühl, mit dem man als Teilnehmer des Symposiums „Krimis machen 1“ am vergangenen Sonntag zurück nach Hause fuhr. Klar, sie existiert, die Dialektik zwischen Kunst und Kommerz, wie sie im Kongressthema – „Der Krimi in Deutschland – Cashcow oder Literatur?“ – formuliert wurde.

Wer aber eine Frontstellung zwischen Milchbauern und Großmolkereien erwartet hatte, der sah sich getäuscht: Kleinverleger plauderten mit Konzerngesandten, Autoren mit Kritikern, Buchhändler mit Lektoren – und ziemlich bald diskutierten alle wild durch- und miteinander, im Rahmen der Panels wie auch nebenbei, so dass sich eine irgendwie Woodstock-artige Stimmung einstellte, schließlich ziehen „wir“ ja alle doch irgendwie am selben Strang. Das Ziel der beiden Veranstalter Tobias Gohlis und Thomas Wörtche, Deutschlands „Krimimacher“ miteinander ins Gespräch zu bringen, es ist aufgegangen, im Prinzip vom Beginn der Tagung an, und das zog sich durch.

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Genre aus Deutschland als Euphorodisiakum

„Euphorisierend“, so kommentierte Argument-Verlegerin Else Laudan hinterher bei Facebook. Wenn man ein paar Tage mit vielen Menschen auf engem Raum verbringt, sind es ja oft die Typen, die Charakterköpfe, die einem hinterher in Erinnerung bleiben, und solche Charaktere traf man bei „Krimis machen“ zuhauf. Markus Naegele, TB-Programmchef bei Heyne und Macher von „Heyne Hardcore“ zum Beispiel, einer, der trotz Karriere in keiner Hinsicht den Punk in seiner Vergangenheit zu verbergen sucht. Jochen Vogt, der Elder Statesmen der Genre-Literaturwissenschaft, der energetische Aufmerksamkeit ausstrahlt und in Hinblick auf den Krimi aus Deutschland mit optimistischen Fußballvergleichen glänzt. Frank Göhre und D. B. Blettenberg, die ihren Klassiker-Nimbus auf ganz verschiedene Weise zu schultern haben.

Eine subjektive und nicht repräsentative Auswahl – deren Höhepunkt für mich persönlich eben jene euphorisierte Else Laudan ausmachte: Sie begegnete einem immer und überall, glänzte bei allen Gesprächen, und man konnte regelrecht beobachten, wie ihr Begeisterungslevel stündlich stieg, bis sie irgendwann geradezu durchs Brecht-Haus zu schweben schien. Dieser Frau sollte man mal einen mainstreamigeren Verlag samt Portokasse anvertrauen; wäre spannend zu beobachten, was sie dann ohne PC-Verpflichtungen aus den Mischfinanzierungszwängen solch eines Unternehmens machen würde …

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v. l. n. r.: Hejo Emons (Verleger Emons Verlag), Peter Hammans (Lektor Droemer Knaur), Tobias Gohlis (Sprecher der KrimiZEIT-Bestenliste)

Konzernschrott und Mischfinanzierung

Apropos Mischfinanzierung: Schon lustig, wie sich im Lauf des Freitagnachmittags das Schlagwort vom „Konzernschrott“ in die Gespräche und Diskussionen einschlich, beispielhaft bebildert mit den Herren Autoren, von denen dann etwas kindisch bloß noch als „K & K“ wie „Kaka“ die Rede war, also Klüpfel und Kobr mit ihrem Komissar Kluftinger, die den versammelten KKs, sprich: Krimikennern bald als Synonym für all den Massenausstoß herhalten mussten, der aus den Verlagen über Redaktionstische und Buchhandlungen zu den Käufern strömt. Selbst der „K & K“-Verleger, der anfangs nicht müde gewesen war zu betonen, dass „K & K“ immerhin gerade die HC-Bestsellerliste anführen, resignierte irgendwann und schloss sich begrifflich an.

Da war es doch, dass Explosivpotential, das ja schon im Thema des Treffens steckte, Cashcow oder Literatur. Aber denkste: Die vermeintliche Frontstellung zwischen dumpfen Konzernkapitalisten und hehren Genrekreativen hatte sich längst aufgelöst. Hier saßen und debattierten an der Sache Interessierte. Und es zeigte sich im Prinzip permanent, wie wenig eine schwarzweiße Frontstellung einer Überprüfung durch die facettenreiche Alltags- und Arbeitsrealität standhält.

Drei Beispiele: Heynes Markus Naegele, bei dem Mischfinanzierung einerseits bedeutet, dass er Noir und Underground per „Heyne Hardcore“ ins Programm integriert, während er andererseits Kooperationsprojekte mit kleinen Verlagen wie Liebeskind eingeht und so die Entstehung dieser Projekte überhaupt erst (mit-)ermöglicht. Oder KiWi-Lektor Martin Breitfeld, der von der Reise nach Berlin neue Autoren und Stoffe erhoffte, tatsächlich aber Ideen und Erkenntnisse über wertige Kriminalliteratur aus Deutschland gewann, die sich in seinen zukünftigen Programmen spiegeln werden, wie er versichert. Und nicht zuletzt Nina Grabe, Krimi-Lektorin bei Rowohlt, die vom kreativen Ausloten der Koordinaten ihrer Mischfinanzierungsgefilde auf so überzeugend unaufgeregt-engagierte Weise berichtete, dass man Lust bekam, direkt die eine oder andere Schwarte von Hjordt/Rosenfeldt zu lesen, statt weiter über Konzernschrott zu debattieren. Solchen Krimimachern gehört die Zukunft!

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v. l. n. r.: D. B. Blettenberg, Oliver Bottini (Autoren), Zoë Beck (Autorin, Übersetzerin, Redakteurin), Conny Lösch (Übersetzerin) und Tobias Gohlis

By the way: Frau Rodi und die KrimiZEIT

Überhaupt waren es immer wieder die jüngeren Frauen, die Akzente setzten: Conny Lösch, die Winslow-Übersetzerin, die auf dem Podium ebenso sprühte wie beim Übertrag von „Kings of Cool“ ins Deutsche (auch wenn sie meines Erachtens die Idee vom Übersetzer als Co-Autor arg überstrapazierte). Zoë Beck, die, man muss es sagen, beim abendlichen Lesen die etwas älteren Herren neben sich kraft des grandiosen Vortrags einer highsmithesken Kurzgeschichte an die Wand spielte.

Und Ulrike Rodi, Grafit-Verlegerin, die zwei Tage lang stets und gern auch kontrovers präsent war – sie erlaubte sich ein pointiert antizyklisch gesetztes kritisches Statement zur KrimiZEIT-Bestenliste, als diese gerade heftig gelobhudelt wurde (der Suhrkamp-Vertreter Winfried Hörning: „Dank der KrimiZEIT fand unser Krimiprogramm im Verlag überhaupt erst Anerkennung.“ Argument: „Ohne sie gäbe es uns nicht mehr.“). So konnte dann mit etwas weniger peinlich berührten Jurymitgliedern diskutiert werden: Hat die Liste tatsächlich dazu geführt, dass Debatten gebündelt bzw. überhaupt erst geführt werden, wie Else Laudan mutmaßt? Welche Bedeutung hat sie überhaupt? Und besteht nicht die Gefahr, dass durch die Existenz dieser Jury eine zu starke Fokussierung auf bestimmte Schreibweisen stattfindet, der Rodi-Einwuf.

By the way und zur Kritik, es fänden sich kaum deutsche Genreromane auf der Liste: Die KrimiZEIT-Jurymitglieder gucken immer intensiv nach interessanten deutschsprachigen Neuveröffentlichungen. Das Problem ist: Im internationalen und im Gesamtvergleich der Veröffentlichungen finden sich ganz einfach nicht so viele konkurrenzfähige Romane, als dass mehr als einer oder zwei im Monat platziert sein können. Und wenn sich doch einer findet, wird’s an der Jury garantiert nicht scheitern. Beispiele: Andrea Maria Schenkel, Matthias Wittekindt, Mechthild Borrmann, Merle Kröger. Ganz abgesehen von den Stars wie Robert Hültner, Oliver Bottini, Friedrich Ani, die sowieso mehr oder minder gesetzt sind. Also, her mit den guten, kreativen, mit den besonderen oder einfach auch nur mit den handwerklich besonders gut gelungenen deutschen Spannungsromanen …

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v. l. n. r.: Michael Roesler-Graichen (Redakteur Börsenblatt, MVB), Marcus Naegele (Programmchef Heyne-TB und -Hardcore), Ulrike Rodi (Verlagsleiterin Grafit), Frank Nowatzki (Verleger Pulp Master), Else Laudan (Verlegerin Ariadne/Argument) und Thomas Wörtche (Herausgeber der Reihe PENSER PULP bei Diaphanes)

Melkmeister und Meistermelker

Jedenfalls, was die Charakterköpfe angeht, so war für mich das Panel der Sieger mit Hejo Emons und Peter Hammans ein wahres Highlight dieses Symposiums. „National, international, scheißegal – entwickelt sich der Krimi in Deutschland zur kunstbluttriefenden Provinzposse?“, so lautete ihr Thema. Man muss sich vergegenwärtigen, wer da auf dem Podium saß: Emons, davon darf man ausgehen, ist ein Ur-Verantwortlicher für Glanz und Elend der jüngeren deutschen Kriminalliteratur; er ist, von Köln ausgehend, der Erfinder des RegioKrimis und damit ein Trüffelschwein sondergleichen, der Schöpfer eines ausnahmslosen (ökonomischen) Erfolgskonzepts.

Hammans wiederum ist einer, der heute, 20 Jahre später, virtuos mit diesem Trend zu spielen weiß, der „K & K“ – Nr.1 – Verleger, wie er zu betonen nicht müde wurde, der für den erfolgreichen Umbau des eigentlich weitgehend angloamerikanisch orientierten Verlagshauses Droemer Knaur zu einem mit hälftig deutschen Autoren steht, wobei mit dem Abschöpfen des RegioKrimi-Rahms, wie er unumwunden einräumt, das nötige Kleingeld verdient wird, um gute Zahlen zur Konzernzentrale berichten zu können und anderes zu ermöglichen. Der eine mit sardonischem Grinsen und stilsicherer Ironie, der andere gut gelaunt und aufgeräumt, beide überaus sympathisch – so präsentierten diese beiden Macher, so kam es einem vor, vor allem eines: das Selbstbewußtsein der Gewinner, der Marktvirtuosen und Erfolgsgaranten, deren Erfolg im Grunde alle Fragen erübrigt. Warum etwas ändern wollen, was derart klasse funktioniert? Großes Kino!

Thomas Zorbach (Geschäftsführer VM People), Christian Koch (Buchhändler; Hammett-Berlin), Leonie Schöbel (Michael Meller Literary Agency), Thomas Wörtche, Reinhard Jahn (Autor und Vertreter des Autorenverbands „Das Syndikat“)

v. l. n. r.: Thomas Zorbach (Geschäftsführer VM People), Christian Koch (Buchhändler; Hammett-Berlin), Leonie Schöbel (Michael Meller Literary Agency), Thomas Wörtche, Reinhard Jahn (Autor und Vertreter des Autorenverbands „Das Syndikat“)

Fieberfrei? – Krimi aus Deutschland (nicht nur in den letzten 20 Jahren)

Genau an dem Punkt fand „Krimis machen 1“ aber, ehrlich gesagt, auch seine Grenzen, denn es wurde tatsächlich weder gefragt noch groß diskutiert. Dem deutschen Krimi gehe es gut, sagte Peter Hammans, er sei wohlauf, er habe kein Fieber, und er habe sich in den letzten 20 Jahren qualitativ deutlich verbessert. Worüber man, finde ich, auch schon streiten kann, denn in den endenden 1980ern bis Mitte der 1990er-Jahre gab es jede Menge gute und kreative Kriminalromane aus Deutschland, übrigens auch im RegioKrimi-Bereich. Ich sag nur: Karr & Wehner, Frank Göhre, D. B. Blettenberg, Uta-Maria Heim, Robert Brack, Pieke Biermann und, und, und … Damals herrschten Bewegung und Aufbruchstimmung, daraus entwickelten sich aber nicht Qualität und Tradition, sondern Redundanz und Belanglosigkeit, Ausnahmen bestätigen die Regel. Warum eigentlich? Und vielleicht ist ja auch genau das ein Problem: dass „der deutsche Krimi“ zwar betriebswirtschaftlich funktioniert, aber alles in allem kein Fieber hat …

Jedenfalls fängt das interessante Fragen an dieser Stelle überhaupt erst an: Was ist das, Krimi aus Deutschland; den „deutschen Krimi“, gibt es ihn; und wenn ja, was kann er sein? Wie kann sich deutsche Genreliteratur zu einer Marke entwickeln, die auch international interessant und vor allem konkurrenzfähig ist?

Wie kann man die handwerklichen Verbesserungen, die sicher zu verzeichnen sind, stärker mit ästhetischer Kreativität fundieren? Sollen Agenten, Lektoren und Verleger bloß das, was sie vorgesetzt bekommen, möglichst „gut“ lektorieren – oder sollten sie „ihre“ Autoren, ähnlich wie (gute) Fernsehredakteure, aktiv unterstützen, an die Grenzen zu gehen, formal und inhaltlich Neues oder zumindest Anderes, Kreativeres zu suchen? Cashcow und Literatur – geht das nicht doch zusammen? Letztlich also: Könnten „K & K“ auch mit qualitativ hochwertigen Romanen erfolgreich sein, die der famosen Landschaft, derer sie sich bedienen, auch ästhetisch gerecht wird, statt ein weichgespültes Instant-Allgäu in Schlager-Manier anzurühren? 

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v. l. n. r.: Thekla Dannenberg (Kritikerin, Perlentaucher), Kolja Mensing (Kritiker, Deutschlandradio Kultur), Ulrich Noller (Kritiker, u. a. WDR), Jochen Vogt (Literaturwissenschaftler, Kritiker, WAZ), Winfried Hörning (Programmleiter TB Suhrkamp), Moderatorin Nele Hoffmann (Literaturwissenschaftlerin, Uni Göttingen)

Demnächst hoffentlich: „Krimis machen 2“

Alles gut, also? Die Stimmung schon, klar. Lauter nette Menschen, sympathische Profis mit spannenden Jobs, und alle sind mehr oder minder begeisterte Krimimacher. Aber die Geschichten? Na ja, sie könnten halt besser sein, finde ich. Also, Genreliteratur aus Deutschland, der „deutsche Krimi“. Noch besser, so meine ich das natürlich … Darüber reden wir dann – hoffentlich – demnächst bei „Krimis machen 2“ …

Ulrich Noller

WDR-Beiträg über „Krimis machen 1“. Fotos der Veranstaltung: Kirsten Reimers.

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