Geschrieben am 30. November 2013 von für Crimemag, Interview

Ulrich Noller im Gespräch mit Dinah Marte Golch

GolchOhne Produzentenschere im Kopf

„Wo die Angst ist“, so heißt der Debütroman von Dinah Marte Golch, der im Herbst bei Kiepenheuer & Witsch erschien. Eine Debütantin, deren Namen man kennen kann, denn als Drehbuchautorin ist Dinah Marte Golch, geboren 1974, eine der Großen im Lande: Um die fünfzig ihrer Geschichten wurden verfilmt, für den Münchener „Tatort: Nie wieder frei sein“ bekam sie den Grimme-Preis. Und sie ist in Deutschland eine Pionierin der Arbeitens nach amerikanischem Muster, mit Projektverantwortung bis zum Schluss; ihre Serie „Stadt, Land, Mord!“ hat sie von vorn bis hinten verantwortlich umgesetzt, als Writer-Producerin.

Ulrich Noller hat mit Dinah Marte Golch gesprochen – über deutsche Drehbuchkunst und amerikanische Serien, über Film und Literatur, übers Schreiben hier und dort und über ihren ersten Roman.

Ulrich Noller: „Wo die Angst ist, Ihre erste literarische Veröffentlichung – warum ist diese Geschichte eigentlich ein Roman geworden, kein Film?

Dinah Marte Golch: Mich hatte schon länger gereizt, nach über fünfzig Drehbüchern mal eine andere Art des Schreibens auszuprobieren. Und mir gab ein Roman natürlich die größtmögliche Freiheit, alles zu erzählen, was ich erzählen möchte.

Und, hat das geklappt? Konnten Sie alles erzählen, was Sie erzählen wollten?

Ja!

Beschreiben Sie doch mal: Was konnten Sie in dem Roman schreiben, was in einer Fernsehfassung nicht gegangen wäre?

Beim Fernsehen geht es oft darum, Figuren oder Handlungsorte einzukürzen, weil das Budget nicht reicht. Was aber für mich viel wichtiger war: Ich wollte gern eine Geschichte nur aus mir heraus schreiben, ohne dass jemand versucht, seine eigenen Vorstellungen da hineinzudrängen. Ich war ein Jahr mit meinen Figuren allein und konnte am Schluss sagen: Ja, genau das wollte ich erzählen!

Gibt’s auch Dinge, die im Fernsehen möglich gewesen wären, im Roman aber nicht?

Dinah Marte Golch-Wo die Angst istDas sind eher handwerkliche Dinge, wie Montagen, Rückblenden oder extrem kurze Szenen. Die löst man im Roman anders.

Ist das nicht auch schwierig gewesen für Sie – sich als etablierte Kreative in dem einen Bereich der Krimikultur plötzlich in einem ganz anderen bewähren zu müssen?

Eigentlich nicht, ich fing ja nicht ganz von vorn an, denn dass ich schon seit vierzehn Jahren abendfüllende Geschichten schrieb, half mir natürlich auch dabei, einen spannenden Roman zu schreiben. Eine Herausforderung war allerdings, dass ich bei meinen Drehbüchern am Tag nach der Ausstrahlung anhand der Quote wusste, ob ein Film beim Publikum erfolgreich war oder nicht. In der Literatur heißt es erst mal warten und warten und warten, bis man weiß, wie sich das Buch verkauft und ob es seine Fans findet.

Man hat ja einen Bezugsrahmen, wenn man sich eine Geschichte ausdenkt. Hatten Sie beim literarischen Schreiben einen anderen als beim Schreiben fürs Fernsehen?

Nein. Ich hatte schon immer ein starkes Bauchgefühl, welche Geschichten ich schreiben möchte und welche nicht, wo ich „gut“ bin und welches Genre einfach nicht das meine ist. Dieses Fühlen, ob meine Figuren und meine Geschichte mich so begeistern, dass ich ein Jahr mit ihnen verbringen möchte, war schon immer der alleinige Grund, daran zu arbeiten. Nicht äußere Bezugsrahmen oder die Frage, was gerade so „in“ ist.

Haben Sie eigentlich unbefangen einfach drauflos geschrieben? Oder haben Sie vorab recherchiert, was in der literarischen Krimiszene gerade so gefragt ist?

Ich habe natürlich geguckt, ob es schon ähnliche Figuren gibt wie die, die ich mir ausgedacht habe, allen voran meine weibliche Hauptfigur, eine unkonventionelle Therapeutin, die die Leute gern mal vor den Kopf stößt. Aber ich habe nicht danach geguckt, wie viel Blutrünstigkeit gerade am verkaufsträchtigsten ist. Meine Geschichten entwickeln sich daraus, wie meine Figuren handeln. Und meine Figuren handeln aus ihren Dilemmata, Nöten und Loyalitäten heraus – und nicht, weil der Markt gerade danach schreit.

Was sind das denn für Sie für Unterschiede zwischen Drehbuch und Roman?

Beim Drehbuch muss ich eine Geschichte ganz visuell erzählen. Die Zuschauer müssen die Geschichte über das verstehen, was sie sehen. Natürlich auch über das, was die Figuren sagen. Beim Roman kann ich natürlich viel mehr beschreiben. Ich kann in manche Köpfe springen, Perspektiven erzählen. Kann zum Beispiel eine Figur erzählen, die das eine tut, was anderes sagt und im Kopf nochmal was ganz anderes denkt. Das heißt: Ich habe mehr Spielebenen. Das liebe ich beim Romanschreiben, weil man damit auch wahnsinnig Spannung aufbauen kann.

Und, wie fanden Sie diese Erfahrung?

Vor allem hat es Spaß gemacht, eine spannende Geschichte zu erzählen. Dabei mal das Feld zu verlassen, in dem ich sehr sattelfest bin, fand ich sehr inspirierend. Denn es ist ja auch eine Möglichkeit, noch mal die eigenen Grenzen zu erweitern, Neues auszuprobieren, sich weiterzuentwickeln. Und allein damit ist es schon eine besondere Lebenserfahrung.

Zurück zum Fernsehen. Zurzeit wird ja viel über den Vergleich zwischen deutschem Fernsehen und amerikanischen Serien diskutiert. Liegts an den Drehbüchern, dass aus Deutschland nicht so viele Aufsehen erregende Produktionen kommen?

billy_wilderGrundsätzlich kann man da auch Billy Wilder zitieren: „Für einen guten Film braucht man drei Dinge: Ein gutes Buch, ein gutes Buch, ein gutes Buch.“ Ohne Drehbuch geht’s nicht. Da ist leider ein bisschen die Problematik, dass alle nach guten Drehbüchern schreien und sagen, es gibt zu wenig gute Drehbuchautoren, aber ein bisschen vergessen, dass doch auch sehr viele andere Menschen an den Drehbüchern mitreden. Produzenten, Regisseure, Redakteure … Manchmal verderben zu viele Köche auch den Brei. Und dann ist es eben leider so, dass die Drehbuchhonorare ordentlich zurückgehen in Deutschland, zugleich aber geschrien wird, wir brauchen gute Drehbücher, und da geht es logisch nicht zusammen: dass die Senderleute, die über das Geld verfügen weniger zahlen, aber eine bessere Qualität wollen. Da müssen sie sich was einfallen lassen, wenn sie das Fernsehen retten wollen.

„Das Fernsehen retten“ ‒ Ist das nicht ein bisschen hoch gegriffen?

Sie müssen sich die Entwicklung anschauen: Wie sah die Landschaft vor zehn Jahren aus, wie stehen die Dinge jetzt? Die Sendeplätze für deutsche Fernsehproduktionen wurden radikal eingeschrumpft. Klar, es gibt noch die Vorzeigeformate, insbesondere „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Aber wenn man darüber hinaus schaut, wird’s schwierig. Und für die Sender scheint es deutlich günstiger zu sein, amerikanische Produktionen einzukaufen, als eigene Sachen zu produzieren.

Amerikanische Serien liefern im Moment allerdings auch ziemlich herausragendes Fernsehen …

Klar, ich schaue auch gern amerikanische Serien und verschaffe mir einen Überblick, was läuft. Man muss bei dieser Diskussion allerdings auch immer berücksichtigen, dass in der Regel die absoluten Topserien zu uns rüberschwappen. Was wir kaum mitbekommen: Auch in den Staaten laufen viele durchschnittliche Serien und auch viele schlechte. Insofern darf man nicht davon ausgehen, dass in Amerika immer alles besser ist. Aber ich freue mich natürlich über die guten Sachen, weil ich sie inspirierend finde. Die amerikanischen Fernsehschaffenden trauen sich einfach oft mehr. Aber: Es ist ein Fehler zu gucken, was bei den Amis läuft und das dann zu adaptieren – statt zu schauen, was können wir Eigenes, Originäres machen, und zwar so, dass es hier dann auch gut läuft.

Was genau empfinden Sie kreativ und inspirierend an amerikanischen Serien?

Was die sich trauen! Figuren zu erzählen, die nicht sympathisch sind – die streckenweise sogar bis an die Grenze des völlig Unsympathischen gehen – und dennoch gute Hauptfiguren sind, mit denen man wirklich mitgeht und mitfiebert. In Deutschland, habe ich manchmal den Eindruck, wird Empathie und Sympathie verwechselt. Viele deutsche Fernsehmacher versuchen, durch und durch sympathische Figuren zu erzählen – die uns aber nicht zu Herzen gehen.

Deutsche Drehbuchautoren können das nicht. ‒ Diesen Satz hört man immer wieder mal

Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich glaube, wir haben hervorragende Drehbuchautoren in diesem Land. Und es kommt auch immer drauf an, welche Möglichkeiten man hat. Es gibt einfach bestimmte Sendeplätze, die es zu bestücken gilt, wo ein ganz bestimmtes Erwartungsschema herrscht, was auch so erfüllt werden muss. Wird man dem nicht gerecht, bekommt man den Auftrag nicht, so einfach ist das.

Unter anderem Umständen könnte also auch deutsches Fernsehen „amerikanisch“ erzählen?

Ich denke schon! Wenn man einen Haufen Drehbuchautoren hätte und die mal für zwei Wochen in einen Raum sperren würde und sagen würde: Seid losgelassen! Habt Spaß! Denkt Euch was Tolles aus! Ich bin sicher, da kämen absolut innovative, grandiose Sachen raus. Das Vertrauen habe ich schon. Beim „Tatort“ ist es ja immer wieder möglich, auch die Grenzen eines normalen Krimis hinter sich zu lassen oder zu überschreiten, und da entstehen immer wieder ganz tolle, wunderbare, neue Filme. Was beweist, dass es möglich ist.

Wie entstehen denn dann solche Setzungen, was meinen Sie?

Na, weil doch unser Markt sehr geprägt ist von den amerikanischen Serien, die man überall kaufen kann, die auch auf Pay-TV oder im Internet laufen. Das ist halt auch schwer zu vergleichen. Wie gesagt: Das, was wir sehen, sind die absoluten Topserien aus Amerika. Und der normale Zuschauer vergleicht sie mit allem, mit dem Durchschnitt dessen, was in Deutschland läuft. Wenn man nach Amerika geht und sich bei den 300 Kanälen, die es dort gibt, mal den Durchschnitt anguckt, und das mit den zehn besten Reihenformaten in Deutschland vergleicht, kommt man vielleicht auf einen ähnlichen Schnitt.

Was käme denn von Ihnen, wenn Sie mal könnten, wie Sie wollen?

Ich würde mich tatsächlich gar nicht so weit entfernen davon, wie ich schreibe, weil mir das Wichtigste immer ist, ganz nah an Figuren heranzukommen, Figuren in ein menschliches Dilemma zu bringen, in eine Grenzsituation, in der man sich als Zuschauer fragt: Oh mein Gott, was würde ich denn tun? Figuren, bei denen ich mitfiebere. Ich glaube, in den tollen amerikanischen Serien finden sich solche Dilemmata, sodass wir mitfiebern. Das ist die Essenz. Und ob ich dann 100 Millionen zur Verfügung habe, um eine Serie zu machen oder nicht  wenn der Kern nicht da ist und keine packenden Figuren, dann würden mir die 100 Millionen auch nichts bringen. Insofern würde ich, was die Geschichten und die Menschlichkeit in den Geschichten angeht, nahe an dem bleiben, was ich sowieso mache.

Und wenn Sie die 100 Millionen hätten?

Mit so einem Budget und ohne sonstige Beschränkungen – da würde es schon großen Spaß machen, mal eine richtige Verschwörungsgeschichte zu erzählen, die man dann allerdings so intelligent konstruieren und recherchieren müsste, dass sie mutig, aber nicht „zu amerikanisch“ rüber kommt und man sich nicht sofort denkt: „Mein Gott, so was in Deutschland, das ist doch nicht glaubwürdig …“

Ein Unterschied ist, dass amerikanische Drehbuchautoren Projektverantwortung haben bis zum Endprodukt. Wie stehen Sie dazu?

Stadt_Land_MordVor zehn Jahren hatte ich eine eigene Krimi-Reihe bei Sat.1, „Stadt, Land, Mord!“, das waren acht Spielfilme mit einem durchgehenden Cast von acht Hauptfiguren. Ich habe diese Filme nach amerikanischem Vorbild als Writer-Producerin betreut, das heißt, die meisten Drehbücher geschrieben, die Schauspieler und Regisseure, die Drehorte und das Team mit ausgesucht, bei der Filmmusik mitgesprochen. Es war eine grandiose Erfahrung! Meines Wissens war es das erste Mal, dass das in der Form in Deutschland möglich war. Seitdem hat sich die Stellung des Writer-Producers bei uns sehr etabliert und das freut mich sehr, und einige Kollegen haben so auch tolle Sachen gemacht. Insofern bin ich sehr für diese Form der Mitbestimmung.

Könnte man sagen, im literarischen Bereich hat man mehr Freiheit?

Beim Romanschreiben habe ich wirklich die Freiheit, alles zu erzählen. Es gibt kein Budget, das ich einhalten muss; ich kann mir jede Figur ausdenken, die ich möchte; da habe ich nicht die Begrenzungen, die aufgrund des Budgets zum Beispiel beim „Tatort“ da sind. Ich kann so viele, so wenige Figuren erzählen, wie ich möchte. Man kann, wenn man das möchte, auch eine ganz andere Dramaturgie erzählen. Beim Fernsehfilm geht’s ja doch darum, einen gewissen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Beim Roman wünscht man sich das auch, aber man muss nicht so den klassischen Strukturen folgen, die ein Drehbuch hat.

Und die Einsamkeit des Autors, ist das der Preis, den man bezahlt?

Als Autor muss man gut mich sich allein sein können! Grundsätzlich ist es beim Roman noch mal eine einsamere Arbeit als beim Drehbuchschreiben. Ich hatte Momente, da fiel mir das schwer, ein Jahr lang so ganz ohne den „sozialen Arbeitsschmalz“ zu arbeiten. Doch in der Summe muss ich sagen: Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Beide Arten zu schreiben haben auf unterschiedliche Weise eine ganz hohe Qualität. So oder so muss man als Autor ein gutes soziales Leben um sich herum aufbauen, und als Romanautor ist es besonders wichtig. Aber beides  Drehbuchschreiben und Romanschreiben  ist eine großartige Sache.

Muss man sich als Drehbuchautor auch frei machen, um literarisch schreiben zu können?

Ja. Anfangs schrieb ich mit der „Produzentenschere“ im Kopf, das heißt: nicht zu viele Handlunsgorte, alles nicht zu aufwendig … Das, was ich vierzen Jahre beim Fernsehen gehört hatte. Irgendwann hat man ja auch als Autor einen kleinen Redakteur im Kopf sitzen, der einem sagt, was das Publikum will. Den lernt man aber getrost in den Urlaub zu schicken und das zu genießen, was das Romanschreiben auch ausmacht: Was aufs Papier kommt, entscheidet nur das Bauchgefühl. Und das will Spaß haben.

Ihrem Roman merkt man trotzdem durchaus an, dass er von einer Drehbuchautorin verfasst wurde

Ich bin sicher, die 14 Jahre Drehbuchschreiben sind nicht spurlos an dem Roman vorbei gegangen. Es ist ein absolut filmischer Roman mit einem hohen Spannungsbogen. Könnte auch ein besonderer „Tatort“ sein. Ich habe also nichts ganz anderes geschrieben als in den Jahren vorher. Das ist aber auch mein persönlicher Stil: Ich wollte eine Geschichte erzählen, die mir sehr am Herzen liegt, einfach mit einem anderen Handwerk. Insofern habe ich mich nicht ganz frei gemacht. Aber das Prosaschreiben  da habe ich ganz viel Neues für mich entdeckt und viel ausprobiert.

Apropos Verantwortung bis zum Schluss. Könnte man sagen, dass hierzulande die Voraussetzungen für literarische Autoren herrschen, die in den Staaten für Drehbuchautoren gelten? Amerikanisches „Fernsehen“ ‒ wäre das in Deutschland möglicherweise in Buchform machbar?

Der Buchmarkt hat es in Deutschland ja leider auch zunehmend schwerer. Und nicht jeder Drehbuchautor hat Lust, ein Schriftsteller zu sein – und nicht jeder wäre ein guter. Aber mutige originäre Ideen haben es – solange sie gut erzählt sind – vielleicht einfacher, unbeschadet bis zum Ziel und zum Publikum zu kommen.

Und in Zukunft – wird uns dann eher die Schriftstellerin Dinah Marte Golch oder die Drehbuchautorin mit neuen Geschichten erfreuen?

Ich schreibe gerade an dem zweiten Teil des Romans. „Wo die Angst ist“ hat eine sehr unkonventionelle Therapeutin als Hauptfigur und einen nicht ganz regelkonformen Ermittler. Diese beiden Hauptfiguren kommen auch in meinem zweiten Teil vor, es wird also eine Reihe. Im Moment besprechen wir außerdem die Verfilmung des Romans. Mein nächstes Jahr wird so aussehen, dass ich an meinem zweiten Roman weiter schreibe und das Drehbuch für den ersten Roman. Anfang 2015 soll gedreht werden. Ich mache also weiter das, was ich so sehr liebe: Schreiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Golch.

Ulrich Noller

Dinah Marte Golch: Wo die Angst ist. Roman. Kiepenheuer und Witsch. 320 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Dinah Marte Golch. Porträtfoto: © Florian Froschmayer

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