Keine Angst vor großen Gefühlen
– Crimecomedy-Schenkelklopfer mit Bajuwarentouch rollen derzeit derart in Klonierungswellen über den Buchmarkt, dass es kaum auszuhalten ist. Su Turhan beweist mit seinem Debütroman, dass es auch anders geht: „Kommissar Pascha“ ist ein komischer Kriminalroman mit Hirn, Herz – und jeder Menge Biss. Ulrich Noller hat mit ihm über seinen Debütroman und über seinen grantelnden Helden gesprochen.
Su Turhan über seinen „Kommissar Pascha“
Der Münchener Filmemacher Su Turhan hat seinen ersten Kriminalroman geschrieben: „Kommissar Pascha. Ein Fall für Zeki Demirbilek“ – ein subversives Machwerk türkisch-bajuwarischer Prägung. Zeki Demirbilek, Weißbier- und Schweinebratenfan mit Zügen eines türkischen Patriarchen, wird Leiter der Münchener „SoKo Migra“, die Verbrechen mit Migrationshintergrund bearbeiten soll. „SoKo Migra“, das hört sich erst mal etwas steif an, ist aber ein kluger Kniff: Su Turhan spiegelt und kommentiert die Einwanderungsgesellschaft in fast allen denkbaren Facetten, bleibt dabei schön bissig und hübsch inkorrekt. Weil er zugleich auch sorgsam auf eine kompetente Krimiebene achtet, funktioniert das Ganze wie geschmiert.
Herr Turhan, sind Sie eigentlich ein Pascha?
Ja, manchmal schon. Ich wär’s aber lieber noch mehr, als ich es tatsächlich bin. Meine Familie sieht das natürlich etwas anders. Aber ich beteilige mich zum Beispiel auch am Haushalt und kümmere mich um die Kinder. Es könnte ein noch angenehmeres Leben sein, wenn ich etwas mehr Pascha wäre, als ich es ohnehin schon bin.
Was zeichnet denn einen richtigen Pascha aus?
Dass er gerne machen lässt, delegiert, den anderen die Aufträge erteilt und selber den Überblick behält – in Richtung meines Krimis argumentiert. Ansonsten: Jemand, der es geschafft hat. Der das Auto nicht mehr fahren muss, sondern fahren lässt. Solche Attribute würde ich einem Pascha zugestehen.
Ist das eigentlich etwas speziell „Morgenländisches“ oder sogar Türkisches?
Na ja, man sagt ja auch zu Kindern, der verhält sich wie ein Pascha. Und in dem Wortsinne gibt es das Wort im Türkischen gar nicht.
Kommissar Pascha – wer ist das denn?
Für mich ist das ein längst überfälliger Ermittler hier im schönen München. Der deutsch und türkisch ist und der sich um Fälle kümmert, wo das deutsch-türkische virulent wird. So einen Ermittler hat’s mal gebraucht, finde ich. Und der wird losgeschickt, um Fälle mit Migrationshintergrund zu lösen, ein Spezialist, wenn man so will.
Warum hat’s den gebraucht?
Weil’s den noch nicht gab. Das Thema Migranten und Türken in Deutschland ist da – und gleichzeitig gab’s noch keine Spezialeinheit, die sich just um diese Fälle gekümmert hat. Und dieses Sonderdezernat Migra habe ich einfach mal auf dem Papier ins Leben gerufen.
Lustige Idee – gibt’s ein realistisches Vorbild?
Na ja, ich wollte realistisch sein, aber nicht die Realität Eins zu Eins abbilden. Ist also ein Hirngespinst von mir. Es gab bei den „Dönermorden“ eine SoKo namens Bosporus oder Istanbul, da gab es sicher auch türkischstämmige Ermittler. Aber eine feste, fixe, beständige Sonderheit gibt es da nicht.
Ein kluger Kniff, um alle möglichen Themen, die mit Migration zu tun haben, im Rahmen einer Krimidramaturgie verhandeln zu können …
Ich bin da ganz konzeptionell. Ich wollte einen Aufhänger haben, um frei und ohne Begründung über das Thema reden zu können. Diesen Hook, wie die Amis das nennen. Das hat Auswirkungen auf das Erzählen, wie man es erzählt, und das funktioniert sehr gut.
Inwiefern?
Weil ich mich sehr konzentriere auf die Denke, wie sie mein Kommissar Pascha an den Tag legt – und immer auf der Suche bin nach den Themen in unserer Gesellschaft, die deutsch-türkisch sind. Und da ergibt sich unerwartet viel …
Das hat mich auch überrascht, wie immens vielfältig sich das Thema dann entfaltet. War Ihnen das klar – oder hat es sich ergeben durch die Erzählstruktur?
Es ist ja kein klassischer Whodunit. Ich wollte von vornherein relativ viel Gesellschaft reinbringen. Es sollte komplex sein, das mag ich als Leser selbst sehr gerne. Das habe ich versucht. Das hat mit den Figuren zu tun, mit der Handlung, mit der Haltung der Menschen im Roman. Und es ging darum, ballastfrei zu erzählen. Es ist wahnsinnig viel drin – aber es ist alles wichtig, was drin ist.
Was sagen die Brusthaare über den Migrationshintergrund eines Menschen aus?
Na ja – der Türke an sich ist schon behaart. Ein Klischee, ich weiß – aber Beobachtungen aus meinem direkten Umfeld bestätigen das. Das gilt auch für mich persönlich, übrigens. Also: Aussehen ist nicht das Entscheidende …
Aber es ist schon so, dass Sie bei so einem Stoff sehr dezidiert mit Klischees operieren müssen …
Absolut. Ich bin aber auch ein großer Fan von Klischees. In dem Sinne, dass sie mir von Anfang an ein Bett bereiten. Dass ich auf ein kulturelles Wissen zurückgreifen kann. Eigentlich sind Klischees für mich Werkzeuge. Ich rufe Konnotationen auf, ich rufe Bilder auf – und muss die gar nicht groß erzählen. Denn die Klischees gibt es, die sind auch als Vorurteile da – und mit denen, versuche ich zu spielen, sie zu brechen, sie so einzusetzen, dass die Leser zum Lachen kommen. Es ist ein sehr dienliches Werkzeug für mich als Schriftsteller.
Und die Frage ist, wie man sie bedient?
Es gibt ja den Dönerverkäufer genauso wie den Großunternehmer. Ich weiß, dass der Dönermann immer noch der Imagetürke ist. Der Türke in der Sparkasse, der mir einen Hedgefonds verkauft, das ist im Glauben der Menschen nach wie vor nicht Normalität. Aber es ist Normalität in unserer Gesellschaft.
Wieso eigentlich Krimi?
Ich habe immer versucht, spannende Geschichten zu erzählen, gerne mit Rätsel, auch in meinen Filmen. Und Krimis sind für mich sehr intellektuelle Auseinandersetzungen mit Rätseln, mit Lösungen, mit Wendungen … – das ist für mich das passende Genre. Deshalb habe ich in meinem Debüt versucht, das zu bedienen, was mir am Krimi auch immer gut gefallen hat.
Der Roman hat viele Elemente einer Komödie, aber ebenso viele eines Dramas. Haben Sie das bewusst so gestaltet?
Ja … – ich glaube, dass das das Türkische ist. Wenn man sich türkische Literatur oder auch türkisches Kino anschaut: Ohne Probleme Emotionen zuzulassen, das ist schon sehr türkisch. Die Redakteurin eines Films hat mal zu mir gesagt: Herr Turhan, Sie sind so romantisch! Ich habe das überhaupt nicht so gesehen, das war für mich eine ganz normale Haltung zu der Geschichte. Beim Roman ist das auch so: Ich mag schon auch bigger than life, wo die Emotionen offen liegen, Trauer oder auch Liebe, Wut … Ich habe kein Zugangsproblem und ich schäme mich auch nicht dafür. Das ist ein Teil des Türkischen in mir, der sich da niederschlägt.
Was muss ein Krimi haben, damit er Sie packt
Es geht alles über die Figuren! Der berühmte Twist, der am Ende die Lösung bereitet, ist mir überhaupt nicht so wichtig wie gute Charaktere, die gebrochen sind, besonders sind, extrem sind. Die mich an die Hand nehmen von der ersten Zeile an und mich nicht mehr los lassen. Das finde ich am Spannendsten am Krimi.
In „Kommissar Pascha“ gibt’s ziemlich viele Figuren …
Das ist wohl wahr …
… viele mit komplizierten türkischen Namen …
Ja, ich weiß. Da haben wir zum Beispiel ein Klischee, das ich auch mit benutzt habe. Das ist mir schon vorgeworfen worden, dass meine Namen zu kompliziert seien. Aber das sind ganz normale türkische Namen. Für einen Türken ist Niedermeyer wahnsinnig kompliziert und für einen Deutschen halt Karaboncuk. Für jemanden, der das Türkische nicht beherrscht, ist das eine Herausforderung, stimmt schon. Aber mir geht’s bei schwedischen Krimis genauso …
Sie hätten das ja auch für Marktgängigkeit vereinfachen können …
Absolut. Ich hatte überlegt, meinen Kommissar nicht Demirbilek zu nennen, sondern Demir, kurz und knapp. Aber das hatte auch noch einen anderen Grund, da kommt wieder die Emotion rein: Mein Vater heißt Zeki mit Vornamen und Demirbilek ist der Geburtsname meiner Mutter. So setzt sich mein Kommissarsnamen zusammen. Da er schön lang war und ’ne gewisse Melodie hat, wenn man ihn richtig ausspricht, fand ich das einen schönen, flüssigen, melodischen Namen. Und was die anderen betrifft – da steckt natürlich auch ein Namenskonzept dahinter. Wer türkisch spricht, der versteht das. Es sind sprechende Namen.
Die Deutschen auch. Isabel Vierkant, zum Beispiel, die Kollegin, die aus Niederbayern stammt …
… oder Pius Leipold. Das ist so bayerisch! Den wollte ich schon urmünchenersich-bayerisch anlegen. Und Pius Leipold, da steckt dann schon in Namen München mit drin …
Bei der Gelegenheit: Döner oder Schweinebraten?
Beides! Meine Mutter wird zwar schimpfen, wenn sie das hört, aber es ist die reine Wahrheit, es ist so.
Da steckt bei Zeki Demirbilek also auch viel Alter Ego drin?
Absolut. Wobei bei Zeki sehr stark auch mein etwas jüngerer Bruder Pate steht … Allerdings muss ich sagen: Zeki hat die beiden Welten zugleich viel stärker in sich als der Autor …
Weißbier oder Raki?
Ganz klar: Weißbier. Raki ist wunderbar, aber ich vertrag dieses Teufelszeug nicht. Also definitiv ein schönes, kühles Weißbier.
Bei der Gelegenheit: Wie stehen Sie zum Thema „Regiokrimi“?
Hm, schwierig. Ich bin am Bosporus geboren und lebe in München. Wenn keine U-Bahn in der Nähe ist, werde ich schon nervös. Will sagen, das Regionale ist nicht so meins. Wichtig für mich ist aber Lokalkolorit, das Verorten der Geschichte. Das habe ich bei meinem Großstadt-Kriminalroman angestrebt.
Spatzl – oder Güzelim?
Da auf alle Fälle Güzelim. „Du Schöne …“ Die türkischen Kosewörter finde ich schon wahnsinnig schön. So red’ ich auch mit meiner Frau und meinen Kindern, da steckt deutlich der Autor mit drin.
Und: Schicksal oder Kismet?
Ich halte Kismet meist für die bessere Wahl. Wenn es tragisch verläuft, ist es für mich Schicksal – wenn es zu einem Happy End kommt, ist es Kismet, also eine Fügung.
Wo ich hin will: Diese Verbindung von Bayern und Türken. Wie passen die zusammen?
Viel besser, als die alle immer glauben. Dieses gemütlich-bayerische „da bleiben mir halt mal sitzen und denken drüber nach“, das steckt in meinem Pascha stark mit drin. Das sind Beobachtungen aus meinem direkten Umfeld. Zum Beispiel ein bayerischer Wirt hier, bei dem ich ab und zu mein Weißbier trinke, der könnte genauso gut in Istanbul seinen Laden führen. Es gibt schon viele Berührungspunkte. Dieses „Passt scho“-Denken, das ist sowohl türkisch, als auch bayerisch, meine ich.
Und der Pascha ist ein richtiger Querkopf …
Das ist ein Grantler, der keinem Streit aus dem Weg geht und dann auch seinen Stankpunkt verbal klar macht – und hier auch sozialisiert wurde. Der in München aufgewachsen ist, hier lebt – und bayerische Attribute angenommen hat, ohne sein Türkischsein zu leugnen. Er zieht die Register, die er gerade braucht: Er holt mal den Türken raus, dann die bayerische Karte – das ist dann auch wieder der Pascha in ihm.
Vielen Dank!
Ullrich Noller
Foto Turhan: © Barbara Bauriedl, Droemer Knaur Verlag
Su Turhan: Kommissar Pascha. Ein Fall für Zeki Demirbilek. Roman. München: Knaur Tb 2013. 352 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.