Geschrieben am 1. Juni 2021 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2021

TW: Stephen Mack Jones „Der gekaufte Tod“

Motiv- und Stilmix als Programm

Detroit, auch Motor City genannt (Ford, Chrysler, General Motors) galt lange als die US-amerikanische Stadt, die symbolhaft für die Verliererseite des industriellen Strukturwandels stand. Insolvent, unter staatlicher Kuratel, bedrückende Armut fast eines Drittels der Bevölkerung, die höchste Kriminalitätsrate des Landes. Ein idealer Nährboden für Kriminalromane – wie sonst wollte man mit diesem Elend auch umgehen? Detroit war Loren-D.-Estelmans Turf, Elmore Leonard hat grandiose Detroit-Romane geschrieben und ganz nebenbei immer wieder die teilweise immer noch prächtige, wenn auch gefährdete Architektur der Stadt gefeiert. Seit 2014 allerdings hat die Stadt die finanzielle Kontrolle wieder übernommen, und fing an, sich wieder zu berappeln, peu à peu, und ohne die soziale Ungleichheit in eine lebbare Balance zu bekommen. Kriminalliterarisch war in dieser Zeit eher wenig von Motown zu hören, vermutlich weil Rott und Absturz faszinierender und story-trächtiger sind als Aufschwung und Optimismus.  Wobei Aufschwung und Optimismus auch nicht gerade Lieblingskategorien der hard-boiled-crime-fiction (cf. Estleman, Leonard) sind, deren Haltung zur Welt sich ja gerade als Opposition zu diesen als Ideologie oder Scheinhaftigkeit empfundenen Parametern versteht.

Und jetzt August Snow, die Serienfigur von Stephen Mack Jones (zwei weitere, noch unübersetzte Snow-Romane gibt es schon). Snow ist der Sohn eines afroamerikanischen Cops, seine Mutter war eine mexikanisch-amerikanische Malerin. Snow war selbst Cop, hatte sich mit der Hierarchie angelegt, wurde gefeuert und hat zwölf Millionen Dollar Schadensersatz erfolgreich eingeklagt. Jetzt ist er vor allem Philanthrop und steckt sein Geld in sein Viertel, Mexicantown (im Südwesten der Stadt, Jack White ist dort geboren, nur nebenbei), kauft Immobilien, um „seinen Leuten“ ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen und re-sozialisiert aus der Bahn geworfene junge Menschen mit immensem, fast überirdisch-gutem  Vertrauensvorschuss – Snow hilft wo er kann, und könnte selbst eine Figur aus dem Sozialreportagenuniversum von George P. Pelecanos sein. Das ist eine Seite von August Snow. Aber er hat auch noch seine Good-Cop-Instinkte. Als er von der reichen Eleonore Padget, Herrin über ein Industrieimperium und Besitzerin einer Bank, dazu eine eher garstige Person, gebeten wird, Unregelmäßigkeiten in ihren Geldgeschäften nachzugehen, sticht er in das topische Wespennest, worauf sich die Leichen – inklusive die seiner Auftraggeberin – stapeln. Als am Ende dann „der Mann in Schwarz“ auftaucht und wieder verschwindet, „ein weiterer Teufel, der auf Erden wandelte“, wird angedeutet, dass sich Snow mit größeren Mächten angelegt hat, als er sich vorstellen kann. Die Welt könnte eine gigantische Verschwörung sein. 

Bemerkenswert dabei ist, dass der benevolente Mr. Snow einen Waffenfetischismus an den Tag legt, der sich schon beinahe wie von der NRA gesponsort liest. Auch das FBI spielt zunächst eine durchaus hilfreiche Rolle, bis sich herausstellt, dass da schon die nächste Schweinerei angelegt ist, Stichwort: Dauerüberwachung der Bevölkerung. 

Wenn man jetzt auf die Idee kommt, dass da so manches nicht richtig zusammenpasst, könnte man das damit plausibilisieren, dass die Welt nun mal ein Ort voller Widersprüche ist und Konsistenz nicht zu haben ist. Das wäre mir sehr sympathisch.

Zunächst leicht irritierend ist auch der Rahmen, in den Snow gestellt wird: Schon auf der ersten Seite finden wir ein kleines kulturelles Namedropping: Snow ist aufgewachsen zwischen Pablo Neruda, Federico García Lorca, Octavio Paz, August-Wilson-Stücken, Hammett, Chester Himes, Chandler, Rudolph Fisher und so weiter.  Also hispano-amerikanische Kultur, schwarze (kriminal)literarische Tradition und hard-boiled-Tradition, die somit überdeutlich als Bezüge aufgerufen werden.  Der Text sagt aber partiell etwas anderes, was in dem Framing-Katalog nicht aufscheint: Stephen Mack Jones schließt nicht etwa an demonstrativ an die schwarze Tradition von Chester Himes an, sondern eher an die Spenser-Romane von Robert B. Parker, an dessen, nennen wir’s Vigilanz von „links“: Töten ist böse, wenn es gute Menschen trifft; Töten ist gut, wenn´s die Bösen erwischt. Spenser hatte das Töten öfters outgesourct, an seinen schwarzen Sidekick Hawk, Snow hat für’s ganz Grobe seine mexikanischen Hands, das Muster ist auf jeden Fall deutlich.

Und dann ist da noch eine lupenreine Theodizee: „Wie kann ein liebender Gott einfach tatenlos dem Grauen zusehen, das Menschen Tag für Tag durchmachen?“, aber Gott ist nun mal nicht „liebend“, sondern eher zornig: „Heute war ich das Schwert in Gottes linker Hand. Und bald würde die Klinge blutbedeckt sein“, so lautet Snows Selbstermächtigung to kill, und da höre ich nolens volens Echos von James Lee Burkes alttestamentarischem Furor. Diese transzendente Volte wiederum schließt Stephen Mack Jones an ein essentielles Datum der mexikanischen Kultur an:  Das Shoot Out findet am 1. November statt, am Día de los Muertos, dem Tag des Todeskultes, ein Hybrid aus nicht-christlichen und katholischen Elementen.

Man könnte also sagen, dass „Der gekaufte Tod“ ein extrem eklektizistischer Roman ist. Nicht zu verwechseln mit dem „Spielen mit Versatzstücken des Genres“ (wieder ein Beispiel für die Rubrik „abscheuliche Sprachspiele“), sondern ein vielleicht etwas arg gewolltes Zusammenführen verschiedenster Traditionen und Bezüge, literarische, kulturelle und politische. Dabei entsteht noch keine neue Homogenität. Aber brauchen wir literarische Homogenität in einer realiter fraktalisierten Welt? Und wäre so eine Homogenität nicht pure Ideologie?

Natürlich kann man, wenn man unbedingt will, alles auch anders sehen: Stephen Mack Jones kommt aus dem Marketing-Business. Insofern wäre die Idee nicht ganz abwegig, den Roman als „Produkt“ zu sehen, eine Art multivektorielles Zusammenbauen von Erfolgsbausteinchen, das dann leider ein wenig wacklig geworden wäre.  Mir wäre Variante eins lieber. 

Und was ich Stephen Mack Jones nun wirklich abnehme: Seine Begeisterung für mexikanisches Essen. Da bin ich absolut bestechlich.

Stephen Mack Jones: Der gekaufte Tod (August Snow, 2017). Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 360 Seiten, Klappenbroschur, 17 Euro.

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