Geschrieben am 1. Mai 2022 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2022

TW: Der neue Brenner-Roman

Ach, der Brenner!

„Müll“ ist der neunte Kriminalroman mit Wolf Haas´ Serienfigur Simon Brenner. Der Ex-Polizist arbeitet inzwischen als „Mistler“, dem Wienerischen Ausdruck für Müllarbeiter. Eine eigene Wohnung hat er nicht mehr, als „Bettgeher“ bricht er in leerstehende Wohnungen ein und haust dort eine zeitlang, bis er weiterziehen muss. Aber das Ermitteln kann er nicht sein lassen, nolens volens. Und so kann er es auch nicht stehen lassen, dass auf seinem Müllplatz Leichenteile gefunden werden, erst ein Knie, dann immer mehr. Nur das Herz des Toten fehlt. Das macht Brenner dann doch sehr neugierig, zumal eine Schönheit namens Iris auf dem Müllplatz auftaucht, die deutlich mit diesem Todesfall zu tun hat. Wenn auch ganz anders, als man vermuten möchte, denn der Plot macht jetzt einen kühnen Bogen. Leiche und Herz führen nur hin zu dem eigentlichen Kriminalfall, der mit einer Familientragödie und mit Organhandel zu tun hat, und mit der Frage, was von einem Menschen noch „verwertbar“ ist und was auf den Müll gehört, zynisch formuliert, und um in der Müll-Metapher des Romans zu bleiben. 

Wie bei allen Brenner-Romanen ist der Plot auch hier beinahe sekundär. Die „Regeln des Genres“, die es sowieso nicht gibt, interessieren Haas nicht weiter, die muss er auch nicht groß „durchbrechen“, was durchaus eine Qualität seiner Bücher ist. 

Dafür ist die spezifische Haas-Brenner-Erzählweise dominant. Die Erzählstimme, die direkt in Brenners Kopf schauen kann, alles und jedes kommentiert, abschweift, mäandert, philosophiert, spottet und Bedenken trägt, und dabei eine große Freude am prädikatlosen Anakoluth hat, ist der wahre Held des Romans. Oder die Heldin, man weiß es nicht. So entsteht ein mit dem Publikum vertraut umgehender – „musst du wissen“, „kannst du glauben oder nicht“ – Erzählton, dessen Gemütlichkeit extrem giftig ist: eine Art hochartifizielle Simulation mündlichen Erzählens, das noch die groteskeste Situation plausibel macht.

Ein gewisses Problem mag dabei sein, dass sich dieses literarische Verfahren, das dereinst originell und innovativ war, beim neunten Mal ein wenig leergelaufen hat. Natürlich kann man noch hin und wieder ein bisschen grinsen und sich an gelungenen Formulierungen und Einfällen erfreuen – die Theorie und Praxis des „Bettgehers“ zum Beispiel, oder die immer wieder aufblitzenden Referenzen zu sämtlich Aspekten der Populär-Kultur – von Shakiras Tanzkünsten bis zur Bezaubernden Jeannie. Dennoch knirscht und knarzt der Brenner-Algorithmus manchmal recht deutlich. Und die Figur Brenner ist sowieso durch die Person Joseph Hader in den Verfilmungen fest ikonographiert, da kann der Text kaum neue Facetten hinzufügen. 

Wie dem auch sei: Brenner hat eine große, feste Fan-Gemeinde, er ist, literarisch und filmisch, eine Kult-Figur geworden. Kein strahlender Held, kein pathetischer Loser, sondern einer, der sich ziemlich schlau durchwurschtelt, wenn es denn sein muss. Unzeitgeistig und zeitgeistig gleichzeitig. Und wer wollte ihm deswegen gram sein?

Wolf Haas: Müll. Hoffmann & Campe, Hamburg 2022. 288 Seiten, 24 Euro.

© 04/2022 Thomas Wörtche 

Tags : ,