Geschrieben am 1. März 2022 von für Crimemag, CrimeMag März 2022

Tod & Ekstase – „Das giftige Glück“ von Gudrun Lerchbaum

von Anne Kuhlmeyer

An den Kanten gesellschaftlicher Brüche kichert das Groteske. An Groteskem hat Gudrun Lerchbaum wirklich nicht gespart in ihrem neuen Roman.

Kaum dreht der Winter den Rücken, sprießt er. Ab Ende Februar reckt der Bärlauch die ersten Blättchen aus der feuchten Erde und beduftet die Auwälder koblauchig bis zu den Ufern ihrer Flüsse, fast durch den gesamten Frühling hindurch. Alle Jahre wieder freut das die Restaurantküchen, Feinschmecker, Kräuterfans und Naturverbundenen. So auch in Wien in einem Frühjahr in nächster Zukunft.

Kiki, Christiane Bach, die nach ihrer Haftentlassung als Pflegkraft bei der an Multipler Sklerose erkrankten Olga Schattenberg unterkam, wird in die Wien umgebenden Wälder geschickt, um das Kraut zu sammeln. Nicht etwa wegen der gesunden Inhaltsstoffe, ganz im Gegenteil. Es gibt erste Gerüchte über dessen toxische Wirkung. Nicht Verwechslungen mit Maiglöckchen oder Herbstzeitlose sind verantwortlich, sondern ein Pilz.

Es heißt, man stürbe nach dem Genuss. Prompt aber glückselig. Rettungsversuche scheitern.

Olga will sich mit Kikis Hilfe den ultimativen Notausgang schaffen, denn die Krankheit hat sie nicht nur an den Rollstuhl gekettet, sondern quält sie mit heftigen Krämpfen, seltener werden die ruhigen Stunden bei immer weniger Selbstwirksamkeit. Olga, die einmal Buchhändlerin mit eigenem Laden war, will wenigstens das Ende ihres Leids bestimmen können.

Doch nicht nur sie. Der Wald ist voll von Menschen, die nach dem pilzbefallenen, zart marmorierten Bärlauch suchen – Menschen mit Selbsttötungsabsicht, potentiellen MörderInnen, Geschäftemachern, ErpresserInnen, HelferInnen. Der ekstatische Tod fasziniert und fördert die hässlichsten wie die schönsten Aspekte menschlichen Seins zu Tage.

Unter all den Suchenden begegnet Kiki der jugendlichen Jasse im Wald. Wütend ist das Mädchen, auf sich und die Welt. Kiki versucht, das Kind davon abzuhalten, sich einen Vorrat giften Grünzeugs zu sichern. Das misslingt natürlich. Jasse wirft einem Impuls folgend der TV-Moderatorin Sophia, einer alten Feindin Kikis, ein paar Blätter auf die Pizza. Sophia stirbt. Kiki wird inhaftiert. Kommissar Holzer ermittelt.

Der Kriminalfall als stringenter Vorgang: Tat, Aufklärung, Strafe, wirkt wie der verzweifelte Versuch, dem Tod und dem Töten durch die Ordnung beizukommen. Das Bemühen, um Entschuldung, scheint ebenso hilflos, wie der Bau von Zäunen um die Wälder und Parks der Stadt herum, auf dass sich die Wiener Bevölkerung nicht abschaffe.

Damit stellt Gudrun Lerchbaum dem Skandalon Tod sein ubiquitäres Vorhandsein im Leben gegenüber. Das Verständnis für die Zugehörigkeit des Todes ist den meisten von uns in unserer organisierten Welt abhanden gekommen. Zu weit weg findet er statt – im Klinikbetrieb oder in der Pflegeeinrichtung, selten als Erfahrung, die schmerzlich, aber als Teil des Daseins zu machen ist. Dass der Tod im Roman mit höchstem Glück versehen ist, lässt ihn geradezu verlockend erscheinen. Ein hübscher Gedanke. Schließlich ist der Todes- neben dem Geburtstag der wichtigste Tag jedes Lebendigen.

Gudrun Lerchbaums neuer Roman hat den gleichen Drive wie ihr letzter. Umso erfreulicher, dem Personal aus „Wo Rauch ist“ – schnoddrig, ruppig, komisch, liebevoll – erneut zu begegnen. Und wieder greift die Autorin unprätentiös auf die großen Fragen zu: Loyalität, Freundschaft, Leben und Tod. Gekonnt nimmt sie der Wichtigkeit die Zumutung mit Komik, dreht eine kleine Kurve in den Plot und landet sicher im Fraglichen. Sie gibt keine Antworten, verdrillt nicht alle Handlungsfäden, sondern lässt die LeserIn im Freien und gerade deswegen nachdenklich zurück.

  • Gudrun Lerchbaum: Das giftige Glück. Haymon Verlag, 2022. 272 Seiten, 19,90 Euro.

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