Geschrieben am 1. Februar 2022 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2022

Thomas Wörtche: Chester, Wer?

Zentral  – Chester Himes

Eine Glosse von Thomas Wörtche

Es fällt schon auf: Die Rezeption zweier gewichtiger Romane schwarzer Autoren, James McBrides „Der heilige King Kong“ (dt. von Werner Löcher-Lawrence, btb), und Colson Whiteheads „Harlem Shuffle” (dt. von Nikolaus Stingl, Hanser), die unlängst bei uns erschienen sind, kommt im Großen und Ganzen ohne die Erwähnung von Chester Himes aus. Na und, warum auch?, mögen Sie sagen. Oder: Chester Wer?

Chester Himes (1909 – 1984) war ein zentraler Autor für den Weg der Kriminalliteratur in die Moderne. Ein radikaler schwarzer Autor, der mit seinem sogenannten „Harlem Cycle“ – neun  Kriminalromane (1957 – 1969), plus ein Fragment, „Plan B“ (posthum 1993), die in Harlem angesiedelt und über die beiden Hauptfiguren, die Cops Gravedigger Jones und Coffin Ed, miteinander verbunden sind – neue, formale Erzählstrategien für das Genre entwickelt hatte. Einmal, um die autoritäre Struktur weißer Police Procedurals zu dekonstruieren, in denen die Wertewelt und die Perspektive der Mehrheitsgesellschaft, der notorischen moral majority normativ festgeschrieben waren. Himes konterte diese Ästhetik mit der Kraft des Komischen, des Grotesken, des Exzessiven und mit der Kündigung narrativer Konventionen der Zeit. Diese formalen Echos sind, wenn auch interessanterweise abgeschwächt, noch bei McBride und Whitehead spürbar. Für die Geschichte der Kriminalliteratur bedeuteten sie einen Paradigmenwechsel. 

Himes erfand oder optionierte diese Verfahren aber zum anderen auch, um das komplizierte und komplexe Soziotop Harlem porträtieren zu können.  Bei Chester Himes sind aus dezidiert schwarzer Perspektive alle Themen und Konstellationen präfiguriert, die auch bei McBride und Colin Whitehead zu finden sind: Die innere Struktur der schwarzen Communities, die Rolle der Kirchen, die Rolle von Drogen und Organisierter Kriminalität in Harlem, die Wohnsituation, die Gender-Verhältnisse, die Polizei- und die alltägliche Gewalt und der Rassismus, der all dem zugrunde liegt. Immerhin haben Whitehead und McBride auf Himes hingewiesen, wenn auch eher zart, was man aber bei den meisten deutschsprachigen Rezensionen gerne übersehen hat.

Andere afroamerikanische Autoren wie Iceberg Slim, Donald Goines, und besonders massiv Gary Phillips und Walter Mosley haben immer wieder auf den „Quellcode“ Chester Himes aufmerksam gemacht.  Die genannten Autoren (und noch ein paar andere wie Gar Anthony Haywood etwa) stehen in derselben literarischen Reihe wie McBride und Whitehead. Eine Reihe, die man noch weiter zurückverfolgen könnte, bis in die Harlem-Renaissance, wo man dann auf Rudolph Fishers kapitalen Roman „The Conjure-Man Dies“ von 1932 stoßen würde.  Und zum Beispiel an William Melvin Kellys „A Drop of Patience“ von 1965, ein kapitaler Roman, der erst 2021 („Ein Tropfen Geduld“, dt. von Kathrin Razum, HoCa)  bei uns übersetzt wurde, kann man sehen, dass „Genre“ bei solchen Verdrängungsgeschichten nicht unbedingt eine entscheidende Rolle spielt.  

Natürlich spielen bei McBride und Whitehead noch andere literarische Einflüsse eine Rolle – von James Baldwin bis Richard Wright -, aber die rezeptive Blindheit Chester Himes gegenüber ist frappierend.  Es steht sogar zu befürchten, dass bei uns, wenn es um die Traditionslinien afroamerikanischer Kriminalliteratur geht, ausgerechnet weiße Profiteure genannt werden: John Ball etwa, der mit „In The Heat of The Night“ (1965) die Vorlage für Norman Jewisons gleichnamigen Film lieferte, der den Südstaaten-Rassismus letztendlich massenkompatibel versöhnlerisch behandelte. Und schlimmer noch Ernest Tidyman, der Erfinder des schwarzen Privatdetektivs Shaft – in den Romanen von Tidyman eine peinigend homophobe und antisemitische Angelegenheit, und erst in dem Film des schwarzen Regisseurs Gordon Parks (1971) eine Ikone der Blaxploitation.    

Zurück zu Chester Himes. Dass er bei uns im Diskurs über afroamerikanische Literatur außen vor bleibt – auch bei der ganzen oft sinnfreien Re-Launch-Welle ist er nicht zu finden – , hat vermutlich mit seiner seit langem betriebenen Marginalisierung zu tun. Dazu ein putziges Detail: In der gerade erschienenen Edition von Patricia Highsmiths „Tage- und Notizbücher“ (Diogenes), wird Himes zweimal im Kommentar erwähnt: Einmal als Thriller- einmal als Krimiautor, weil Himes zusammen mit Highsmith Yaddo-Stipendiat war. Das war 1948, als Himes weder einen Krimi noch einen Thriller geschrieben hatte, sondern gerade mit seinem zweiten Roman, „Lonely Crusade“ (1947) literarische Furore machte.  

Diese Lizenz zum Nicht-Kennen lässt allerdings, um es hart zu formulieren, an der Seriosität und Kompetenz zweifeln, mit der man meint, mit schwarzer Kulturgeschichte, aller Lippenbekenntnisse zum Trotz, umgehen zu können. Chester Himes´ und seine wütenden Texte waren immer Störenfriede, dem Mainstream zu schmutzig, dem Genre zu verstörend. Aber Störenfriede verschwinden nicht, auch wenn man die Augen ganz fest zumacht. 

© Thomas Wörtche

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