Geschrieben am 1. Juni 2023 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2023

Thomas Wörtche: Angst – Eine Glosse

Angst! Wieder mal aufgewärmt … 

„Ich verdiene mit Ängsten mein Geld“, sagte jüngst Sebastian Fitzek in einem Interview, und rekurriert damit auch auf ein früheres Gespräch von 2019 für ze:tt, das mit den Worten: „Thriller-Bestsellerautor Sebastian Fitzek weiß, wovor sich die Menschen am meisten fürchten“ angefeatured wurde. Auch wenn wir bei diesem letzteren Gespräch eher an eine gegenseitige Product-Placement-Aktion innerhalb der Holtzbrinck-Gruppe denken müssen (Fitzeks Verlag Droemer gehört dazu, ebenso wie DIE ZEIT, deren Online-Ableger ze:tt ist – Werbung für Fitzek, Clicks für ze:tt), ist klar, was eigentlich immer schon klar war: Man kann und will „Angst“ monetarisieren.  Ryan Busse, ein ehemaliger Manager im Dienst der stockreaktionären National Rifle Association und heute einer der profiliertesten Aktivisten gegen die US-amerikanischen Waffengesetzte, stellte lapidar fest: „Der beste Waffenverkäufer ist Angst“. Fitzek handelt mit Fiktionalien, die NRA greift massiv und extrem profitträchtig in der Realpolitik ein. Fiktionale und reale Ängste sind kategorial verschiedene Phänomene. Zunächst einmal. 

Angst ist praktischerweise eine sehr diffuse Kategorie. Vor was jemand Angst hat, ist sehr subjektiv, und kann sich im Extremfall zu Phobien entwickeln (ich z.B. habe Angst vor Bürokratien – Kafkas „Prozess“ ist das einzige Buch, das mir Angst macht – ,Wattwürmern und anderen nicht-kommunikablen Realien), die dann nur noch über die jeweils individuellen Dispositionen beschrieben werden können. Und wenn die Rede von kollektiven Ängsten ist, meint man eher „Furcht“, denn Furcht hat man vor konkreten Bedrohungen. Populäre Kulturen haben traditionellerweise immer damit gespielt, man könnte beinahe sagen, das ist ihr Kerngeschäft.

Die Menschen fürchten sich vor Krieg, Atom, Inflation, Klimawandel, vor dem „Fremden“ – die Genres Science Fiction oder Horror oder Thriller jedweder Bauart übersetzten und übersetzen diese Befürchtungen. Wenn wir uns aber an diesen (medienübergreifenden) Narrativen ergötzen, setzt Angstlust ein. Wir gruseln uns vor Dingen, die uns vermutlich nicht zustoßen werden, zumindest nicht so, wie sie uns genüsslich zum frohen Verzehr aufbereitet werden.  Das aktualisierte Recycdeln fing schon, grob gesagt, mit Frank Schätzings „Der Schwarm“ an – alles ganz futuristisch, visionär gar, aber sobald Aliens ins Spiel kommen, können wir uns entspannt zurücklehnen. So wird´s halt doch nicht kommen.

Mit Aliens arbeitet aktuell auch Tom Rob Smiths „Kälte“ (Heyne, dt. von Michael Pfingstl) – Aliens verbannen alle Menschen, die die Antarktis innerhalb von 30 Tagen erreichen könne, ins ewige Eis. Wer das nicht schafft, wird ausgerottet. Und der Rest der Menschheit erschafft dort eine neue „Spezies“, kälteadaptierte Monster mit pseudo-nietzscheanischer Megalomanie und vulgärdarwinistischem Überlegenheitsanspruch. Die Aliens spielen bald keine Rolle mehr, nur noch die Orchestrierung des Endes der Menschheit. Fürchten wir uns angesichts dieses Szenarios, selbst wenn wir es „symbolisch“ lesen bis es quietscht? Eher nicht, würde ich mal sagen. 

Oder Marc Elsbergs neuer Hit „°C – Celsius“ (Blanvalet). Der „Westen“, so Elsbergs Ausgangssituation, tut nicht genug gegen den Klimawandel, also nimmt „der globale Süden“, vor allem China und Afrika, die Sache selbst in die Hand, mittels „Geoengeneering“, was zu schlimmen Konflikten führt: Klima als Waffe. Elsbergs Erzählstrategie arbeitet mit vielen, zunächst als solche nicht erkennbaren, virtuellen Simulationen, die jeweils Worst-Case-Szenarien durchspielen. Er setzt also auf unser aller Ängste (oder Befürchtungen) fiktional noch eine Ebene drauf, die einerseits alles noch viel schlimmer macht, als es schon ist, andererseits aber den Trost, dies sei nur Fiktion, gleich mitliefert. Dystopie light.

Worauf ich aber hinauswill, sieht man vielleicht am besten bei Jean-Christophe Grangés „Die marmornen Träume“ (Klett-Cotta/Tropen, dt. von Ina Böhme). Dort erfindet er, in Gestalt eines „historischen“ Thrillers, im Jahre 1942 in Nazi-Deutschland spielend, zu den realen Monstrositäten noch ein paar kreuzalberne Monstrositäten (der Führer und seine Spießgesellen bespringen doitsche Frauen, wg. rassereiner Nachzucht) dazu, die die echten toppen, ergänzen, vertiefen sollen. Warum? Wenn das reale Grauen nicht ausreicht, dann wird es durch eine Überbietungsfiktion eher harmloser. Auch eine Art, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, die ich hier eher nicht kommentieren möchte. Wobei dann, wie in allen genannten Fällen, Baudrillards gutes altes „Simulacrum“ in befremdlicher Gestalt wieder zurück ist.  Was ist die Original-Angst, was Vorbild, was Abbild, was Realität, was Imagination, was Fiktion.  Die dadurch entstehende „Referenzlosigkeit“ impliziert auch die aufgerufenen Ängste. Sie sind dann nur noch Bilder und Zeichen. Und die tun nichts. Auch wenn sie sich wie Realien monetarisieren lassen. Ist schon okay, aber man sollte sich klar darüber sein, wie die Masche tickt.  Buuuuh!

© 06/2023 Thomas Wörtche