Geschrieben am 15. August 2018 von für Biografie, Crimemag, CrimeMag August 2018

Peter Münder über Harold Pinters „NUKE LONDON!“

41FEGZk11BL._SX301_BO1,204,203,200_US-Präsident befiehlt Atombombenangriff auf London, Gentlemen schwadronieren beim Sonnenbaden über Regenschirme

Über bisher unbekannte Sketche von Har0ld Pinter

Von Peter Münder

Sie wäre beinah in Ohnmacht gefallen, berichtete Harold Pinters Witwe Lady Antonia Fraser im letzten Herbst im Guardian, als sie beim Herumkritzeln auf einem alten  Notizblock des 2008 verstorbenen Dramatikers  herumblätterte und darin einen  Entwurf für einen kurzen Sketch entdeckte, den Pinter vor vielen Jahren fabriziert und dann vergessen hatte. „Nuke London“ war wohl als scharfe Kritik an Präsident Bush und den mit  aberwitzigen Lügenkonstrukten begründeten kriegerischen Interventionen  im Irak und Afghanistan gemeint, aber eigentlich sei dieser Sketch  ja die aktuelle Antwort auf die neuerdings immer wieder gestellte Frage: „Was hätte Pinter heute über Donald Trump gesagt“? Das erklärte Antonia Fraser in ihrem Bericht über den bisher unbekannten Sketch, den der Guardian abdruckte. „Nuke London“ lautet darin der Befehl eines völlig irrational agierenden US-Präsidenten, den er selbst telefonisch an einen Commander durchgibt. Als der Commander nach der tatsächlich durchgeführten Bombardierung  fragt, warum eigentlich London als Hauptstadt ihrer einzigen zuverlässigen Verbündeten von Atombomben vernichtet werden soll, ergibt sich ein kurzer Dialog,  der auch von Ionesco oder NF Simpson, dem britischen Meister grotesker Burlesken, stammen könnte:  

Officer: I am mildly surprised that it´s London

President: Those horizontal pricks. Those scumbags. An elephant never forgets.

Nor does a President.

O: But I thought they were on our side

P: Our side! Traitors. Stinkypoos. Can´t speak a damn word of English

O: They can´t speak English? Why not?

P: Because they´re French, you fool. They live in Froggy land. Well, the Froggy Circus is over. Jesus. I think I´ll have a drink. I know God won´t mind. He´s very fond of me.

O: London in England

P: What?

0: London is the capital of England. They are our allies. Our best friends. Our only friends.

P: London? What do you mean?

O: London is not in France. Paris is in France. Paris is the capital of France

P: I thought Paris was the capital of England

0: France

P: You mean I´m nuking the wrong place?

0: Afraid so

P: Call Charley. Tell him I revoke the order…They´re not going to get away with this. The bastards. Nuke Paris.

(copyright Fraser52 Limited 2017)

Was soll man von diesem Text halten? Liefert uns der Nobelpreisträger hier einen Ausblick auf Banalistan? Passt dieser Mix von Atombombengrusel und groteskem geographischen Verwechslungs-Klamauk überhaupt zusammen? Oder hätte ein  unberechenbarer egomanischer Präsident, der sich am liebsten auf den Bau eines mexikanischen Grenzzauns kapriziert, Konflikte mit Iran und Nordkorea riskiert und „America First“ als quasi kantianisches moralisches Gesetz internalisiert hat, dieses  plumpe Schmalspur-Niveau, mit dem er hier gewürdigt wird, nicht verdient?

51DKUR3ulQL._SX317_BO1,204,203,200_Wahrscheinlich schrieb Pinter den Text vor ca. zwanzig Jahren, als er in seiner militanten Anti-US-Phase Dutzende von Agitptop-Texten produzierte, Kriegsgerichtsverfahren gegen Bush und Blair verlangte und sich ausführlich mit der imperialistischen amerikanischen Interventionspolitik in Asien und Südamerika beschäftigte. Wenn er schon 1987 in einem Guardian-Beitrag forderte, den alles niedertrampelnden amerikanischen Elephanten endlich zu stoppen und die vernichtende Kritik des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag an militärischen und paramilitärischen US-Aktivitäten in Nicaragua zu akzeptieren,  dann war das auf ein LBJ-Zitat aus den 60er Jahren bezogen, als Präsident Johnson dem griechischen Botschafter in Washington klarmachte, dass sich der amerikanische Elephant nicht von einem lächerlichen griechischen Floh irritieren lässt – und zwei Jahre später war dann mit amerikanischer Unterstützung in Athen eine Militärdiktatur installiert worden.

Keine Frage, Pinters politisches Erweckungserlebnis 1985 beim Türkei-Besuch (im Auftrag des britischen PEN) mit Arthur Miller, als beide  mit dem US-Botschafter in Ankara bei einem offiziellen Bankett im Clinch lagen und rausgeworfen wurden, war ein tiefgehender, radikaler Wandlungsprozeß. Die Konfrontation mit inhaftierten und gefolterten türkischen Intellektuellen hatte aus dem simplen Stücke schreibenden „Handwerker, der  vor allem am pünktlichen Aufziehen des Theatervorhangs interessiert“ war und politisch engagierte Dramatiker als „Seifenkisten-Redner“ verhöhnte (Hamburger Rede zur Verleihung des Shakespeare-Preises 1970), einen radikalen Kritiker des US-Imperialismus und seiner britischen Steigbügelhalter gemacht.  

41Cpxym9OvL._SX301_BO1,204,203,200_Als Harold Pinter 2005 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hatte der  75jährige Angry  Old Man das Stückeschreiben bereits endgültig aufgegeben: „29 Stücke sind genug“, lautete damals sein Fazit, aus dem schöngeistigen Elfenbeinturm war er bereits nach dem letzten, im Jahr 2000 aufgeführten  Stück „Celebration“ ausgezogen, um sich  voll auf antiamerikanische  Agitprop-Poeme zu kaprizieren. Nach dem von George W Bush mit fadenscheinigen Lügenkonstrukten begründeten Golf-Krieg und der Irak-Invasion, die vom beflissenen britischen Hilfs-Sheriff Tony Blair mit vorauseilendem Gehorsam begleitet und begierig unterstützt wurden, war Pinter dermaßen enragiert, dass er fast täglich nur noch seine als ritualisiertes Mantra abgesonderten Forderung nach einem gegen George W. Bush und His Master´s Voice Tony Blair durchgeführten Kriegsverbrecherprozeß absondern konnte. Präsident Bush bezeichnete er in seiner Nobelpreisrede folglich auch als „außer Kontrolle geratenes Monster“ und Premier Tony Blair als „verwirrten Idioten und Handlanger der USA“.

Pinter nahm an mehreren Protest-Demos gegen den Irak-Krieg teil und verfasste Agitprop-Verse, in denen mit drastisch-obszönen Ausdrücken mit dem brutalen, gewalttätigen imperialistischen Elephanten abgerechnet wurde, der ohne Rücksicht auf Verluste alles niederknüppelte und zertrampelte, was noch ein Minimum an Menschenwürde aufbrachte und Sympathie für unterdrückte Minderheiten empfand.

American Football

A Reflection upon the Gulf War

Hallelujah!

We blew the shit out of them.

We blew the shit right back up their own ass

And out their fucking ears.

It works.

We blew the shit out of them.

They suffocated in their own shit!

Hallelujah –

Praise the Lord for all good thimgs.

We blew them into fucking shit.

They are eating it.

Praise the Lord for all good things.

We blew their balls into shards of dust,

Into shards of fucking dust.

We did it.

Now I want you to come over here and kiss me on the

Mouth. (August 1991)

Da sich weder der Guardian, noch Independent, Observer oder London Review of Books zu einer Veröffentlichung dieser lyrisch angehauchten Blasphemie entschließen konnten, steigerte sich Pinters Furor und entwickelte sich zu einem fulminanten America-Bashing – den Stimmungsumschwung hin zur Wahl des liberaler gestimmten Barack Obama hätte er jedenfalls nie für möglich gehalten. Ein labiler, egomanischer und völlig durchgeknallter Immobilien-Tycoon als furioser Wüterich im Weißen Haus hätte dagegen seine Vorurteile über machtgeile, destruktive präsidiale amerikanische Psychopathen aufs Schönste bestätigt. Eigentlich wirkt der „Nuke London“ Sketch also wie eine Miniatur, in der ein rasender, imbeziler Präsident Donald Trump schon einige Jahrzehnte vor seiner Wahl porträtiert wird. Sogar der Atombomben-Kontext passt nach dem Treffen Trumps mit dem nordkoreanischen Diktator in dieses Bild.  

413C59pP3tL._SX313_BO1,204,203,200_And now to something totally different: Umbrellas!

Noch ein Sketch, der lange vergessen war und dann zufällig wiederentdeckt wurde: „Umbrellas“ war 1960 im Rahmen eines Revue-Abends  in Nottingham nur einmal aufgeführt worden; der Text wurde erst 2011 von Ian Graves, dem NF Simpson-Archivar, entdeckt – Simpson hatte auch einige Sketche für die Revue fabriziert. Der Guardian-Theaterkritker und Pinter-Biograph Michael Billington hatte einen kurzen Kommentar zu „Umbrellas“ verfasst, den Pinter als 29-Jähriger fabrizierte. Billington fühlte sich bemüßigt, auf die zwölf Pausen hinzuweisen, die diesem Text sein Alleinstellungsmerkmal verleihen würden – weil Pinter ja der Meister theatralischer Pausen war.  Um diese ominösen Pinter-Pausen wurde ja immer schon ein mächtiges Gedöns gemacht – auch von Pinter selbst. Wenn Regisseure diese vorgeschriebenen Pausen aber in ihren Inszenierungen einfach ignorierten, hörte die Erde auch nicht auf zu rotieren. 

1960 war für Pinter jedenfalls eine enorm kreative Phase, in der er nach seinen Schauspielerjahren in Irland und in der englischen Provinz erste eigene Stücke und Hörspiele  geschrieben hatte und mit dem legendären „Caretaker“ (mit Donald Pleasance als Davies ) bekannt wurde. Wir würden Pinters kurzen Dialog zweier älterer Knaben über Regenschirme heute wohl als läppische Fingerübung betrachten: Die beiden sich im Liegestuhl sonnenden Männer A und B schwadronieren über die Vorteile und die enorme Bedeutung von Regenschirmen: „My house is full of umbrellas“, erklärt A, während B bedauernd zugeben muß: „I haven´t got one to bless myself with“ – so plätschert es noch in einigen Redundanzschleifen weiter, bis A zum Schluß kommt, so ein Regenschirm sei auch ganz praktisch – „When it´s raining, particularly“. Very British, bzw. kindisch, dieser Humor – egal, mit wie vielen Pausen er angereichert wird.

Dass nun zum zehnten Todestag des Meisters auch noch Reminiszenzen ehemaliger Freunde veröffentlicht werden, in denen Details über Pinters Affäre mit der BBC-Redakteurin Joan Bakewell erörtert werden, die Pinter längst in seinem (auch verfilmten) Stück „Betrayal“ verarbeitet hatte und Bakewell selbst 2003 in ihrem Rückblick „The Centre of the Bed“ ausführlich beschrieb, ist wieder eine andere Geschichte. Pinters Freund Henry Woolf, der für die BBC einige Pinter-Hörspiele und Stücke produziert hatte, stellte dem Liebespaar in den 1960er Jahren seinen Bedsitter in Kentish Town für ihre Schäferstündchen zur Verfügung – Pinter war damals ja  noch mit der Schauspielerin Vivien Merchant verheiratet, die von seiner Affäre keine Ahnung hatte. Wie Woolf  in seinen eigenen Memoiren („Barcelona is in Trouble“) schreibt, unternahm er damals stundenlange Exkursionen durch London, während sich Pinter und Bakewell in seiner Wohnung ein paar intime Stunden gönnten. Seine gründlichen Kenntnisse über unbekannte und exotische Ecken Londons hat Woolf sich jedenfalls während dieser turbulenten Eskapaden angeeignet: Trotz des beängstigenden  „Nuke London!“- Befehls können wir wohl doch das beruhigende Fazit ziehen: All´s well that ends well …

Peter Münder

LIT-INFOS:

Antonia Fraser: The US president nukes the world: Read Harold Pinter´s newly discovered play. The Guardian, Oct. 27th, 2017

Mark Brown: Harold Pinter´s forgotten sketch rediscovered after more than 50 years

The Guardian, Oct. 24th, 2011

Vanessa Thorpe: Harold Pinter´s best friend reveals playwright´s painful secrets

The Guardian, Oct. 15th, 2017

Joan Bakewell: The Centre of the Bed. An Autobiography. Sceptre Publ. London 2003

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