Geschrieben am 15. Februar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2018, Film/Fernsehen

Netflix-Serie: The End of the f***ing World

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serie noch dlZktkqTURBXy84ZmE4YWM1ZmExZjI0ZTNhYzY2ZmM2NWVhNDZlOTIyZS5qcGVnkZMCzQMmAA„Fuck. This. Shit.“ 

Britta Tekotte zeigt uns, wie in der aktuellen substanziellen Serie „The End of the f***ing World“ der ungewöhnlichste Road Trip zur Emanzipation der jugendlichen Reisenden führt.

Was ziemlich drastisch beginnt, wird zu einem nicht weniger unterhaltsamen Roadmovie und einer powerful-sweeten High-School Dramedy. Er, James, 17 Jahre alt, High-School-Außenseiter, sucht ein Opfer zum Töten. Sie, Alyssa, 17 Jahre alt, High-School-Neuling, sucht ein ‚Opfer’ zum Lieben. Das Motto ‚Gegensätze ziehen sich an’ ist hier zunächst eher für die Zuschauer*innen interessant: zwei Figuren, die extrem gegensätzlich sind und sehr Gegensätzliches wollen, begeben sich auf einen abenteuerlichen Road Trip.

serie the-end-of-the-f-ing-worldWie bei jedem Road Movie oder Road Movie-Roman finden sich auch bei „The End of the f***ing World“ Kernelemente einer solchen Geschichte. Diese sind, erstens, eine gewisse Lebensfrustration der Reisenden, zweitens Gefährten, die auf die Reise, freiwillig oder unfreiwillig mitkommen oder dazustoßen. Drittens ist das Gefährt, häufig ein Auto, immer defizitär. In den meisten Fällen wird das Auto zuvor gestohlen und wird im weiteren Verlauf durch einen Unfall unfahrbar. Viertens findet eine, positive oder negative, Entwicklung der Hauptfiguren statt. Fünftens ist das Ziel selten so wichtig wie die Reise oder der Weg selbst – wenn es überhaupt ein solches Ziel jemals gibt.

serie 180103-fallon-end-of-world-tease_tictyzBei „The End of the f***ing World“ sind alle genannten Merkmale etwas überspitzt: Die Lebensfrustration der Hauptfigur James ist gekennzeichnet durch seinen – falschen – Glauben, ein Psychopath zu sein. Die beiden Reisegefährten sind eine moderne Version von Bonnie und Clyde, jugendliche Ausbrecher aus einem Gefängnis der eigenen Familiengeschichte und Eltern. Wenn den beiden das erste Gefährt, das Auto, das James seinem Vater gestohlen hat, fahruntüchtig wird, hat es nicht nur beispielsweise einen Platten, sondern es explodiert mit einer riesigen Flamme. James’ Entwicklung ist ebenfalls extrem: von einem vermeintlich psychopathischen Vorhaben kommt er zu einem selbstlosen Akt der Liebe. Für die Hauptfigur James liegt das Ziel ohnehin, zumindest zu Beginn, nicht am Ende der Reise und hat nichts direkt mit der Reise zu tun und Alyssas zwischenzeitliches Ziel, bei ihrem Vater zu leben, stellt sich lediglich als ein Zwischenstopp heraus.

serie the-end-of-the-fucking-worldEine weitere Besonderheit dieser Serie sind die Dialoge, die häufig mit den inneren Monologen der zwei Hauptfiguren und mit der Realität im Widerspruch stehen. Zu Beginn der zweiten Folge stehen James und Alyssa vor besagtem Auto, das James zuvor aus Versehen gegen einen Baum gefahren hat. Die Kameraeinstellung wechselt von der Halbnahen, welche die beiden von hinten und das zerstörte Auto von der Seite zeigt, zu einer Halbtotalen der beiden Charaktere von vorn. James fragt: „Denkst du, es wird explodieren?“ Alyssa antwortet verächtlich: „Das ist doch kein Film.“ Die Kamera wechselt auf eine Nahe von Alyssa und man kann ihre Gedanken hören: „Wenn das ein Film wäre, wären wir wahrscheinlich Amerikaner.“ Danach explodiert das Auto. Dieser erzählerische Kniff, Divergenz zwischen Dialog und Innerem Monolog plus der Realität, denn das Auto explodiert ja doch, obwohl sie sich in keinem amerikanischen Film, sondern in einer britischen TV-Serie befinden, macht die Serie nicht nur spannend, sondern auch zu einer selbstreferentiellen Geschichte. Diese sogenannte Self Awareness der Serie zeigt sich auch in einigen weiteren intermedialen Bezügen. Alyssa fragt sich bei den Verbrechen, welche die beiden aus Überlebensgründen begehen, wie die Figuren in Filmen in einer derartigen Situation reagieren würden. Sie nutzt folglich Medien als Schablone für ihr Verhalten. Die Vorstellung, sie sei selbst nur in einem Film, hilft ihr, mit den schwierigsten Situationen gelassen umzugehen.

serie end of the f world MDQtNWE0Yy00OTJiLTlmYjgtNWU1MmVkYTVlYWVhXkEyXkFqcGdeQXVyNjEwNTM2Mzc@._V1_SY1000_CR0,0,675,1000_AL_Dieses Road-Movie stellt auch eine Coming of Age-Geschichte dar: Unmittelbar um James’ 18. Geburtstag, seiner Volljährigkeit, ändert sich sein Gemütszustand. Bei einem Verteidigungsakt, um Alyssa vor einem Serienmörder und einer Vergewaltigung zu retten, wird er tatsächlich zum Mörder, aber aus Verteidigung und Liebe, und merkt, dass er keinerlei Befriedigung darin findet, einen Menschen zu töten. Er versteht außerdem, dass er keine Schuld am Selbstmord seiner Mutter hat, den er als kleiner Junge gezwungenermaßen miterleben musste. Dass Alyssa ihm zu dieser Erkenntnis und seiner persönlichen Weiterentwicklung verhilft, macht die weibliche Hauptfigur zur Heldin, eine Beschreibung der Wirklichkeit, die in der Serienlandschaft immer noch unterrepräsentiert ist und die Serie deshalb so wichtig macht. Bei den charakterlichen Zuschreibungen der Hauptfiguren wird deutlich, dass die Serie keinen Wert auf stereotype Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder legt. Alyssa erhebt ständig ihre Stimme. Sie erhebt sie vor James’ Vater, der erleichtert ausruft „Ich dachte immer, er sei schwul“, als er Alyssa kennenlernt und vermutet, dass sie James’ Freundin ist. Alyssa erwidert achselzuckend, dass James vielleicht auch bisexuell sein könne. Bei einer amourösen Begegnung mit einem jungen Mann aus der Nachbarschaft, dem sie zunächst Sex verspricht, gibt sie ihr gutes Recht, sich auch währenddessen umentscheiden zu können, lautstark und selbstbewusst kund. Die Serie hat keine Scheu davor, Stereotypen und Grenzen zu hinterfragen. Sie scheut nicht einmal den auch positiven Umgang mit der Thematik psychischer Krankheiten als Teil unseres Aufwachsen, als Teil unserer Gesellschaft. Im Gegenteil, „The End of the f***ing World“ schafft es, mit Humor, Coolness und Stärke einen Umgang damit zu finden und aufzuzeigen, dass Liebe alles schaffen kann, oder mit James’ Worten: „Ich bin gerade 18 geworden. Und ich glaube, ich verstehe, was Menschen einander bedeuten“. Und dann rennt er weiter. Und so bleibt zu hoffen, dass die Serie dies auch noch tun wird.

serie comic the-end-of-the-fucking-worldUnd apropos „Keep on Running“ von The Spencer Davis Group ist der Song, den James und Alyssa in ständiger Wiederholung in einem gestohlenen Auto hören können, die CD spielt nur diesen ab. Und wer sich in die intermedialen musikalischen Bezüge prinzipiell verguckt hat: Der Soundtrack zur Serie ist soeben auf Platte erschienen.

„The End of the f***ing World“, seit 5. Januar 2018 auf Netflix.
Staffel 1: 8 Episoden, 18–22 Minuten. Geschrieben von Charles S. Forsman (nach seiner gleichnamigen graphic novel) und Charlie Covell, Regie: Jonathan Entwistle (5 Folgen) und Lucy Tcherniak (3 Folgen), mit Jessica Barden (als Alyssa), Alex Lawther (James) u.v.a. Weitere Credits bei IMDB.

 

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