Geschrieben am 1. November 2020 von für Crimemag, CrimeMag November 2020

Nachruf auf Rhonda Fleming (1923-2020) – von Robert Zion

Promotion-Foto für SPELLBOUND (dt: ICH KÄMPFE UM DICH, Regie: Alfred Hitchcock), Selznick International Pictures/Vanguard Films/United Artists, 1945. – Alle Fotos: Filmhistorisches Archiv Robert Zion.

Aschenputtel in Hollywood

Von Robert Zion

Ihre Geschichte sei wie die Aschenputtels gewesen, wie sie es in späteren Jahren immer wieder betonte, wie jenes Märchen, das von der Vorwegnahme künftiger Möglichkeiten einer Frau handelt. Geboren am 10. August 1923 als Marilyn Louis in – tatsächlich – Hollywood, wurde sie als 15-Jährige von Henry Willson auf ihrem Weg zur High School entdeckt. Doch zunächst zog sich Aschenputtel die passenden Schuhe noch nicht an – sie rannte vor Willson auf der Straße in ihren Strümpfen davon.

1943 unterschrieb sie dann schließlich doch bei der 20th Century Fox als „Marylin Lane“, wo sie jedoch, wie so viele andere Starlets auch, nur „um die Tische gejagt“ wurde. Eigentlich hatte sie eine Ausbildung in leichter Oper erhalten, wollte, wie ihr großes Idol Deanna Durbin, Musical-Sängerin werden. Aber Henry Willson hatte sie nicht vergessen, er entdeckte sie gewissermaßen ein zweites Mal und diesmal vermittelte er sie an keinen Geringeren als an David O. Selznick. Noch 1943 unterzeichnete sie exklusiv bei Selznick, als erste überhaupt ohne Screentest, und es war Willson, der ihr dort gemeinsam mit Selznick ihren Kino-Namen verlieh: „Rhonda Fleming“. Das Ausleihen seiner Jungstars an andere Studios war das Geschäftsmodell Selznicks. So spielte sie zunächst kleinere Rollen, in denen sie vor allem durch ihre physische Präsenz beeindruckte, in ICH KÄMPFE UM DICH (Spellbound, Alfred Hitchcock – 1945), DIE WENDELTREPPE (The Spiral Staircase, Robert Siodmak – 1946) und GOLDENES GIFT (Out of the Past, Jacques Tourneur – 1947).

JIVARO (dt: DER SCHATZ DER JIVARO, Regie: Edward Ludwig), Paramount Pictures, 1954

1949 schaffte Rhonda Fleming an der Seite von Bing Crosby unter der Regie von Tay Garnett in dem Film-Musical RITTER HANK, DER SCHRECKEN DER TAFELRUNDE (A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court) den Durchbruch und erhielt ihr Image als „Queen of Technicolor“ quasi über Nacht, so beeindruckend wirkte sie in Technicolor. „Plötzlich waren meine grünen Augen grün-grün. Mein rotes Haar war feuerrot. Meine Haut war porzellanweiß. Plötzlich war alle Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie ich aussah, anstatt auf die Rollen, die ich spielte.“ Als Freelancerin kämpfte sich Rhonda Fleming im folgenden Jahrzehnt durch die Männerwelt des Studiosystems Hollywoods, hatte dabei selten Glück mit ihren Agenten, entwickelte dabei dennoch ihre unverwechselbare Leinwand-Persönlichkeit, zumeist für die B-Picture-Abteilungen der großen Studios oder für Produktionen mit mittlerem Budget. Vorwiegend in Abenteuerfilmen, Western, Film Noirs und erotischen Burlesquen wurde sie zu einer allseits begehrten „Glamour Queen“ und einer der „Top Leading Ladies in Hollywood“, wie John Payne sie einmal beschrieb.

Plakat von WHILE THE CITY SLEEPS (dt: DIE BESTIE, Regie: Fritz Lang), Bert E. Friedlob Productions/RKO Radio Pictures, 1956.

Allein 1951 verdiente sie mit fünf Filmen etwa $2 Millionen (auf heute umgerechnet). Insgesamt spielten ihre Filme (nur die Hauptrollen) den Produktionsfirmen etwa $1 Milliarde an den Kinokassen ein (ebenfalls auf heute umgerechnet), etwas weniger als die Marilyn Monroes. Die herausragendsten unter ihnen sind vielleicht: DIE SCHLANGE VOM NIL (Serpent of the Nile, William Castle – 1953), TODESFAUST (Tennessee’s Partner, Allan Dwan – 1955), DIE BESTIE (While the City Sleeps, Fritz Lang – 1956) und STRASSE DES VERBRECHENS (Slightly Scarlet, Allan Dwan – 1956). Rhonda Fleming wurde hiermit in den 50er Jahren tatsächlich eine der beliebtesten und bestbezahlten Hollywood-Schauspielerinnen. Was es aber letztlich gewesen ist, dass ihren Aufstieg in den ersten Rang der Stars verhindert hat und sie stattdessen zur „Queen of the B’s“ hat werden lassen? Tatsächlich gab es für diese einmalige Verbindung von solch gegensätzlichen Polen femininer Körperlichkeit – beeindruckende Schönheit, Sex Appeal und ein sehr sinnliches Spiel, gepaart mit Unabhängigkeit, einer starken Physis (die meisten ihrer Stunts machte sie selbst) und einer sich stets ihrer selbst bewussten, würdevollen Haltung – in den Großproduktionen Hollywoods für sie einfach keine Rollen. Starke, selbstbestimmte Frauen in einem umfassenderen Sinn waren in den 50er Jahren eigentlich nicht vorgesehen. So begrenzte man ihre als zu einnehmend empfundene Präsenz in großen Filmen entsprechend, so wie John Sturges in ZWEI RECHNEN AB (Gunfight at the O.K. Corral – 1957), ihrem einzigen A-Western und einer der größten Enttäuschungen ihrer Karriere (bei dem Sturges ihre Rolle auf 9 Minuten zusammenschnitt). 

GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL (dt: ZWEI RECHNEN AB, Regie: John Sturges), Wallis-Hazen/Paramount Pictures, 1957.

Aufgrund von Komplikationen nach einer Aspirationspneumonie ist Rhonda Fleming am Mittwoch, den 14. Oktober im Alter von 97 Jahren in Santa Monica friedlich entschlafen. Sie hatte bereits seit Jahrzehnten ein vollständig anderes Leben geführt, nachdem sie sich Anfang der 60er Jahre zunehmend aus Kinofilmen zurückgezogen und für das Fernsehen gearbeitet hatte (das sie nicht wirklich mochte). Ihr letzter Wunsch war es, keine Blumen zu schicken, sondern für Hilfsorganisationen zu spenden, denen sie beinahe ihr gesamtes späteres Leben widmete, für Obdachlose, missbrauchte Kinder, an Krebs erkrankte Frauen. In seinem Nachruf auf der Seite der Kritiker-Legende Roger Ebert schrieb Dan Callahan drei Tage darauf: „Das Denkwürdigste an Fleming auf der Leinwand ist die Art und Weise, wie sie sich bewegt, wie sie sich selbst trägt, als ob sie voller Reichtümer wäre und sich daher etwas langsamer mit ihnen bewegen müsste.“

Promotion-Foto mit ihrem dritten Ehemann Lang Jeffries für LA RIVOLTA DEGLI SCHIAVI (dt: DIE SKLAVEN ROMS, Regie: Nunzio Malasomma), Cinematografica/C.B. Films S.A./Ultra Film, 1960.

Das Besondere ihrer Leinwand-Persönlichkeit, diese enorme Präsenz, das immer etwas zurückgenommene, kontrollierte Spiel, legt den Schluss nahe, dass sich Rhonda Fleming bereits in ihrer großen Zeit als Queen of Technicolor und Leading Lady der 40er und 50er Jahre sehr bewusst gewesen sein muss, dass sie nur eine Art Besucherin in Hollywood war. Ein vorrübergehender Gast in der Glitzerwelt der Traumfabrik, den Film-Kolumnen und Klatschspalten.

Tropicana, Las Vegas, 1957

Die Reichtümer, die sie nach Dan Callahan in sich trug – der Drang nach Unabhängigkeit, die Fähigkeit zur Selbstbehauptung, einen tiefen, religiös-spirituell geprägten Sinn für das Humane und, ja, auch eine atemberaubende Schönheit –, es ist ihr gelungen, all dies auch auf der Leinwand zu verewigen. Bereits als Hollywood-Star hat sie das erfüllt, was sie einmal über ihr späteres umfassendes philanthropisches Engagement sagte: „Das Leben ist es einfach nicht wert – wir müssen etwas zurückgeben.“ Für sie war dies „die Fähigkeit zu lieben, Liebe zu haben, Liebe zu geben, Liebe zu teilen, Liebe zu fühlen.“

Mit Dennis Hopper bei der Verleihung des „CineVegas Film Festival’s Centennial Legend Award“ (Las Vegas, 2005), CineVegas Film Festival, 2005.

Und es gibt tatsächlich keinen einzigen Film mit Rhonda Fleming, in dem nicht zu sehen ist, dass sie bereits als Aschenputtel in Hollywood etwas von diesem Reichtum ihres Lebens zurückgeben konnte.

Robert Zion

Anmerkung: Eine umfangreichere Fassung dieses Nachrufs erscheint im Dezember in der Ausgabe #40 von 35 Millimeter – Das Retro-Film-Magazin.

Robert Zion ist Autor der weltweit einzigen und dazu noch vorzüglich ausgestatteten Rhonda-Fleming-Monografie – ein leidenschaftlich vom Kino begeistertes, altmodisch schönes und informatives Filmbuch mit Bildern in bester Druckqualität. Robert Zion hat bereits exquiste Bücher über Roger Corman, Vincent Price, William Castle und Dario Argento veröffentlicht. Rhonda Fleming ist, da stimmen wir ihm zu, einer der Gründe, warum das Kino überhaupt erfunden wurde. 

Robert Zion: Rhonda Fleming – Queen of the B’s. fusées – Schriften zur Kultur, Gesellschaft und Politik, 2020, BoD. Softcover, Fotobrillant-Druck. Filmografie, Diskografie, Film-, Personen-, Sach- und Songregister. 332 Seiten, 236 Abbildungen (davon 90 in Farbe) 29,99 Euro.

Zu Robert Zions Filmblog geht es hier. Sein nächstes Projekt hat mit dem Licht im Film Noir zu tun.

While the City Sleeps – Fritz Lang, 1956