Geschrieben am 1. März 2021 von für Crimemag, CrimeMag März 2021

Monika Geiers „Giftlabor“

Im November 2019 präsentierten wir Ihnen „Die Herbstzeitlose“ aus Monika Geiers Giftpflanzen-Kolumne. Aus der Beschäftigung mit den nicht ganz ungefährlichen Teilen unserer Flora ist nun daraus ein richtig schönes Buch geworden. Darüber freuen wir uns – und sind stolz, Ihnen mit Genehmigung von Autorin und Verlag zwei Text/Bild-Auszüge präsentieren zu können.

Monika Geier: Voll fiese Flora. Einheimische Giftpflanzen schwesterlich betrachtet. Mit 30 Illustrationen der Autorin. Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2021. Hardcover, 96 Seiten, 15 Euro.

Der Goldregen

Der Goldregen (die Pflanze) stammt aus dem Mittelmeerraum, genau wie die Idee, dass man mit Hilfe eines Goldregens (als solchem) eine Frau schwängern kann. Der alte Zeus, der ja ein Anrainer besagten Gewässers war, hat der Sage nach als goldener Regen die von ihrem Vater weg- gesperrte Danae beglückt, die daraufhin den Perseus gebar, der dann den Großvater vernichtete, welcher genau das eigentlich hatte verhindern wollen, indem er Danae einsperrte und sie später mit ihrem Kind in einer Kiste ins Meer warf.

So – und was können wir aus all dem lernen? Dass es nichts bringt, Frauen zu unterdrücken? Dass man mit Geld überall hinkommt? Wir haben es ja mit einer Heldenzeugung zu tun, darum ist das Gold vermutlich eher ein Sinnbild für ideelle Werte. Hier wird göttliche Essenz empfangen. Das, was nicht nur Leben erzeugt, sondern weiter erhält und vergoldet, der Funke Glück, der das Dasein erhöht und zum Mythos macht. Und ein Goldregen in voller Blüte ist ein wunderbares Symbol dafür. Er ist schön, duftet gut, er leuchtet in der Sonne, sieht aus wie eine offene Schatzkammer und hat diesen verheißungsvollen Namen. Dass er tödlich giftig ist, unterstreicht seine Botschaft nur, denn bekanntlich sind alle großen Ideale letzten Endes gefährlich. Und unerreichbar. Die Suche nach dem Glück schlägt darum zuweilen in Drogenkonsum um. Auch der Goldregen hat diese schäbige Seite. Tatsächlich drehte man früher aus seinen Blättern Zigaretten. Der Wirkstoff ist reizend und anregend und ein passabler Tabakersatz. Doch so giftig die Pflanze ist – dass Menschen ihretwegen sterben, kommt so gut wie nie vor. Denn bevor ein Goldregen tötet, erzeugt er Brechreiz und verlässt den Körper wieder. Das Ideal verteidigt sich selbst: Es bleibt unnahbar, verführt die Schwachen zu Dummheiten, ist letztlich tödlich, schafft es aber stets, den Glanz des Wahren, Reinen und Schönen um sich zu erhalten. Niemand stirbt durch einen Goldregen. Es kann nur passieren, dass einem davon furchtbar schlecht wird.

Die Tollkirsche

Sie ist eine sehr alte Weggefährtin des Menschen. Wir müssen ihr früh begegnet sein, denn wir sind eine früchteverzehrende Spezies, und sie sieht appetitlich aus und schmeckt süß. Außerdem ist sie ein Rauschmittel. Als solches kennen wir sie gut und lange, und darum wissen wir auch, was ihr Saft, ins Auge geträufelt, bewirkt. Von welcher anderen Pflanze weiß man das schon? Über sonstige Nachtschattengewächse sind derartige Details jedenfalls nicht bekannt. Von den amerikanischen Schwestern der Tollkirsche zum Beispiel kann man nur berichten, was man sich sowieso hätte denken können, nämlich dass sie geradezu unmäßig nutzbringend sind (Kartoffel und Tomate) und die Weltherrschaft anstreben (Tabak).

Die elegante Tollkirsche gibt sich für solch plumpes Profitieren nicht her. Sie wächst nur auf entlegenen Waldlichtungen und laboriert im Niemandsland zwischen Leben und Tod. In dieser Grauzone ist sie eine Heldin: Ihre Droge, das Atropin, wirkt so anregend, dass wir es benutzen, um Halbtote ins Leben zurückzureißen. Fatal wäre jedoch, sie ohne Not im Alltag einzusetzen. Zu nah liegt die tödliche Dosis neben der wirksamen, und die Liste der Opfer ist lang.

Aber was passiert jetzt, wenn man den Saft der Tollkirsche unter die Lider träufelt? Die Wirkstoffe der Pflanze weiten die Pupillen und signalisieren jedem, der so angesehen wird, tiefe Zuneigung. Ein hochwirksames Aphrodisiakum, wie man von echter Zuneigung weiß. Letztlich aber bleibt es ein Trick und riskantes Spiel, das nur der gewin- nen kann, der sowieso nichts mehr zu verlieren hat. Denn die Tollkirsche ist eine weit geöffnete Pforte in die Anderwelt, und mit der Liebe zu kokettieren war noch nie eine gute Idee.

Ich persönlich finde, das Schönste an der Tollkirsche ist der Platz, an dem sie wächst: die Waldlichtung. Dort spürt man ganz ohne Drogen, wie durchlässig die Grenzen in andere Welten zuweilen sein können. Und künstliche Aphrodisiaka braucht man im gegebenen Fall auch nicht.

Monika Geier, geboren 1970, hat bei Ariadne bislang acht Kriminalromane veröffentlicht. Außerdem schreibt und illustriert sie eine monatliche Giftpflanzenkolumne für die »Pirmasenser Zeitung«, aus der dieses Buch hervorgegangen ist. Ihre Leiden schaft für die Natur wurde früh von der Verwandtschaft geweckt (Waldexkursionen mit Opa) und sinnvoll genutzt (Garten arbeit bei Tante Sophie). Heute lebt sie in der Südwestpfalz und besitzt einen großen, wilden Garten, in dem sich mehrere giftige Gewächse angesiedelt haben.

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