Geschrieben am 3. November 2019 von für Crimemag, CrimeMag November 2019

Monika Geiers Giftpflanzen-Kolumne

Zeichnung © Monika Geier

Die Herbstzeitlose

Sie kommt als Letzte zur Party, und sie will was erleben. Wenn die Vernünftigen längst einpacken und heimgehen, wenn die Stimmung ins Unwirkliche kippt und das Licht Aureolen um die schmutzigsten Dinge zaubert, dann betritt eine kleine Diva die Bühne der Natur: die Herbstzeitlose. Sie schmeißt sich ins ganz große Lila und stellt sich mitten in die kalten Herbstnebel, um – im Grunde bloß das zu tun, was alle wollen: blühen. Nur ihr ist es todernst. Ihr starkes Gift ist organschädigend und löst Krebs aus, ein ungemein fieses Zeugs. Wen es nicht sofort umbringt, macht es krank. Das wussten schon die alten Griechen, und die haben der Herbstzeitlosen darum zur Warnung einen Schmähnamen verpasst: Colchicon.

Den Namen trägt sie als Colchicum autumnale noch immer, die Warnung dagegen ist im Lauf der Jahrtausende verblasst, obwohl sie drastischer nicht hätte sein können. Sie bedeutet: Achtung! Mutter aller Gifte!, und bezieht sich auf DIE Bedrohung aus der Kolchis, einer eigentlich beschaulichen Landschaft am Schwarzen Meer. Aus jener Gegend aber sickerte ätzendes Gift in die antiken Patriarchate, personifiziert in der mythischen Medea. Die war – anfangs – nur eine kleine kolchische Prinzessin, die was erleben wollte. Sie brannte mit einem griechischen Helden durch und versuchte, in einer Familie mit ihm zu leben. Gleichberechtigt. Doch das war für eine Frau unmöglich,und darum musste die Sage sie strafen. Der Held verließ sie in schönster Selbstverständlichkeit für eine bessere Partie. Darauf brachte sie die gemeinsamen Söhne um und wurde zur schauerlichsten Bestie ihrer Zeit.

Die alten Griechen müssen unglaubliche Angst vor ihr gehabt haben. Nicht vor Medeas Morden, die haben sie schließlich selbst erfunden. Nein, Angst hatten sie vor ihrer Geschichte, die das Potential besaß, anderen Frauen den Weg in die Freiheit zu weisen. Denn diese Geschichte erzählt davon, was Medea zu Recht gewollt hatte: blühen. Wie ihre Schwester, die Herbstzeitlose. Wie wir alle.

Monika Geier

Jeden ersten Samstag im Monat schreibt Monika Geier für die Pirmasenser Zeitung einen Beitrag über Giftpflanzen. Mit Zeichnung! – Einen davon dürfen wir hier veröffentlichen.

Monika Geiers Internetseite finden Sie hier. Zuletzt erschienen: „Alles so hell da vorn“, CulturMag-Besprechung von Anne Kuhlmeyer hier. Monika Geiers Heldin Bettina Boll ist eine echte Polizistin, eine KK, Kriminalkommissarin. Sie arbeitet beim Ludwigshafener K11, der Abteilung für Kapitalverbrechen.

Tags : , ,