

Miniversum. Thesen zu Spur 7
Markus Pohlmeyer über die Liebe zur Modelleisenbahn – Philosophie der Modelleisenbahn (2)
Märklins „Mini-Club“ Spur Z (1:220) feierte 2022 das fünfzigjährige Jubiläum. Normalerweise war ich seit meiner Kindheit mit Märklin HO sozialisiert worden. Dann kam die Corona-Krise. Nicht mehr in meinem Büro an der Universität sein zu können, war unter anderem nun auch ein Raumproblem. Meine Modelleisenbahnplatte zu Hause wurde zum Bücherstapeln umfunktioniert und als Korrekturfläche verwendet. Die Lokomotiven und Waggons verwandelten sich von technisierten Mitbewohnern zu musealen Objekten im Regal und müssen nun ihren Platz mit Stegosaurus, Spinosaurus und T-Rex teilen. Eine Buchreihe mit ihren weißen Einbänden bildet da einen wunderbaren Hintergrund für manches rollende Schmuckstück.
Irgendwo stand aber im Flur noch was von Z rum, irgendwann antiquarisch erworben, unscheinbar irgendwie. Und dann denk’ ich mir: könnte auf meinen Küchentisch passen. Siehe da, zwei Gleisovale, viele Weichen, zwischen Lego-Modellen, lateinischen Dichtern und meinen Müsli-Schalen. Ich muss nur aufpassen, dass diese filigranen Zauberdinge nicht aus Versehen von einem Taschenbuch begraben werden. Zudem wacht ein Klingonisches Schlachtschiff aus Klemmbausteinen über meine kleine Anlage. Doch nun:
Einige Thesen zu Spur Z:
- Du baust dein eigenes Miniatur-Universum und hast auch noch den kompletten Überblick darüber. (Du bist ein Mythopoet des Industriezeitalters.)
- Eine kleine Apologie. Um eines klar zu stellen: Es geht mir nicht um Weltherrschaftsphantasien.[1]
- Das utopische Moment: Meine Züge kommen immer pünktlich an. (Selbstkompetenz)
- Das ganze System ist in einer verantwortlichen Hand (Sozialkompetenz) – und wird nicht durch Aktien infrastrukturell ausgeblutet. Also, was ersetzt werden muss, wird ersetzt; was repariert werden muss, wird repariert.
- Kleiner geht das technisch nimmer, glaub’ ich, sonst würde die Quantenwelt tangiert.
- Digitalisierung? Minimal. Einfacher Trafo ran, dat Ding läuft, vorwärts-rückwärts, braucht nicht fliegen, hupen, rattern oder Samba tanzen können. Und ohne dass du vorher einen Supercomputer mieten musst. (Fachkompetenz)
- Auf kleinstem Raume werden phantastische Details geschaffen und somit der mittlerweile langsam, aber sicher ans Absurde heranreichenden Nachbau-Abbildwut-via-Modell Grenzen gesetzt. Gut so. Hinter der fragmentarischen Realität muss immer ein unerreichbares Ideal hervorleuchten, dem wir uns z.B. spielend und spielerisch immer wieder nähern können, nur um wieder von vorne anzufangen.
- Die neuen Sammlermodelle aus Bronze und Platin: statt noch mehr Details, was kaum geht, nun wertvollere Materialien (okay, auch hier ein Hauch von Luxus …). Doch sie haben keinen Realitätsanspruch, sondern ‚vergolden‘ den Traum.
- Pragmatik: Ich ahne, dass allein meine us-amerikanische Big Boy-Lokomotive (HO) mehr wiegt als meine gesamte Z-Sammlung. (Warnung: Bitte niemals nur Big Boy in eine Suchmaschine eingeben, wie das eine Bekannte tat, immer irgendwie mit Zusatz, z.B. Modelleisenbahn!)
- Spur Z, auch antiquarisch, ist durchaus nicht unerschwinglich. Aber ganz ehrlich: seit Jahren fehlen die richtigen coolen Startpackungen der alten Zeit. Hier nun die Erfahrung eines unwiederbringlichen Verlustes.
- Z macht Spass. (Selbstironiekompetenz)
PS: Ich denke über Spur I nach, um in meinem Uni-Büro leichter Kekse und Schokolade zu transportieren (… dafür ich bräuchte sonst bei gewissen Quantitäten vermutlich Tausende von Z-Waggons).
Markus Pohlmeyer, Dichter und Essayist, lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Texte und Gedichte bei uns hier.
Zum Weiterlesen
Märklin. 50 Jahre Mini-Club. Alles über Spur Z. Jubiläumsbuch, 164 Seiten, 1. Aufl. 2022. Siehe dort beispielsweise S. 155: Verrückt, nicht nur Küchentische, sondern auch Zigarettenschachteln, U-Boote und Raumfähren sind für Spur Z geeignet.
[1] Burkhard Spinnen merkt betrübt an, die öffentliche Meinung vertrete „[…] zynisch grinsend die Auffassung, daß der erwachsene Mann, der sich zur Modellbahn bekennt, im besten Falle ein infantiler, egomaner, unsozialer und verklemmter Volltrottel und im schlimmsten Fall ein dämonischer, kryptofaschistischer Psychopath ist. […] In gewissen Kreisen, und die sind fast überall, fällt es entschieden leichter, sich zu Leidenschaften zu bekennen, denen nachzugehen lebensgefährlich ist oder gar unter Strafe steht, als sich einen überzeugten Modellbahner zu nennen.“ B. Spinnen: Modelleisenbahn. Kleine Philosophie der Passionen, 2. Aufl., München 1999, 47.
© Fotos: Rolf Barkowski