Kleine Hymne
auf Robert Silverbergs „Science Fiction Hall of Fame 2“.
Es hält sich das Gerücht, Science Fiction sei das (post)moderne Genre, was Religion am nächsten stehe. Man lese nur die Titel der in diesem Band versammelten Kurzgeschichten – in Auswahl: Die Suche nach dem Heiligen Aquin[1], Die neun Milliarden Namen Gottes[2] oder Dem Prediger der Rose[3]. Der Reihe nach: die erste Überschrift spielt auf den mittelalterlichen Scholastiker Thomas von Aquin an und zeigt die Suche – ja nach was? – eines Christen unter den Bedingungen einer Verfolgungssituation (die durchaus an jene während der römischen Antike erinnert) in einem technokratischen Zeitalter und wie wunderbar Religion zu manipulativer Politik mutieren kann. Der zweite Titel hat ein buddhistisches Setting (siehe bitte unten!). Und der dritte ist wunderbares postmodernes Patchwork, nicht nur an der Oberfläche, sondern es baut sich auf eine Variationenreihe über Rilke und Rosen, Dichtung und Tanz, Messias und Erlöserkind, über die Illusion von Liebe, über einen Mein-Vater-war-Prediger-Komplex und über den Verlust von allem (um alles zu gewinnen). Und im Grunde scheint das Ganze eine Rezeption von Kohelet (AT): Nichts Neues also unter der Sonne bzw. auf dem Mars.
„… und was für Festmähler wir haben!“
Diese Geschichte, auf S. 345-389, bräuchte eine sehr umfängliche Kommentierungen. Zum Beispiel hier nur eine Kleinigkeit, wenn die Hauptfigur – ein Dichter, der eine untergehende Marskultur dokumentieren soll, indem er ihre Sprache erlernt – so spricht: „Schön, haltet mich für einen Snob, ich bin auch einer, in meinem Himmel ist kein Platz für euch, das ist ein privater Club, wo Swift, Shaw und Petronius Arbiter meine Gäste sind. Oh, und was für Festmähler wir haben! Wir sezieren dort die Trimalchios […]. Und bis wir zur Suppe kommen, sind wir mit denen fertig!“[4]
Nach dem römischen Historiker Tacitus wurde Petronius von Kaiser Nero als „elegantiae arbiter“[5] herangezogen: als Schiedsrichter in Sachen extrem exquisiten Geschmacks. Später von dem Irren zum Selbstmord gezwungen; ein Echo: auch diese Geschichte wird mit dem Versuch eine solchen enden. (Und Petrons „Cena Trimalchionis“ ist durchaus nicht unbekannt.[6])
Was Science Fiction kann, zeigt die wenige Seiten umfassende Story Menschenkind[7]: wir Leser und Leserinnen müssen einen bestürzenden Aufbau erlittener, auswegloser Fremdheit mit-rekonstruieren, hoffnungslos gefangen in der Ich-Erzählperspektive. Eiskalte Gleichungen[8] zwingt in ein ethisches Dilemma, durch das ein Raumschiffpilot schuldlos schuldig wird – und ein junges Mädchen unschuldig schuldig, aber dies nur auf einer rein menschlichen Ebene. Auf der Ebene von Physik und Mathematik dagegen greift nur eine unaufhaltsame Logik – gespenstisch. Blumen für Algernon[9] lebt erzählerisch von der Rechtschreibung: „Fordschridsberichd 2 – 6. Märtz. Heude machden sie einen Test mid mir.“[10] Später: „Die Hypothese, die hier bewiesen wird, kann ganz einfach auf folgende Weise beschrieben werden: Die künstlich gesteigerte Intelligenz verfällt in einem Tempo, das sich zur Quantität der Steigerung direkt proportional verhält.“[11] Und am Ende „Ich weiß nich warum ich jetsd wieder dumm bin oder was ich falsch gemachd hab aba vielleicht hab ich mich nich genug angestrengd.“[12]
Ein neurologischer Eingriff verwandelt einen Menschen von einem Clown, den alle verachten, in ein Genie, das alle fürchten. Aber diese Story ist ungleich mehr: eine Meditation über Freundschaft, Einsamkeit und Liebe, über den Umgang mit ‚Anderen‘, über Empathie und Verantwortung der Wissenschaften. Bitter die Reduktion: wir beobachten, wie die befreiende Ermächtigung einer Selbstbeschreibung ihrem unaufhaltsamen, tragischen Verlust weichen muss. Vielleicht, vielleicht ein wenig romantisch (auch das kann Science Fiction!) die folgende Beschreibung aus Der Himmel auf dem Mars[13]: „Das Schiff kam aus dem Weltall herab. […] Jetzt verlangsamte es mit metallener Effizienz in den oberen Schichten der Marsatmosphäre. Noch immer war es schön, stark. Es hatte die Mitternachtsmeere des Alls durchschwommen wie ein blasser Leviathan; am uralten Mond war es vorbeigezogen und hatte sich vorwärtskatapultiert in ein Nichts, auf das immer ein nächstes Nichts folgte.“[14]
Die Namen Gottes aufzuzeichnen …
Und was für ein Juwel: Die neun Milliarden Namen Gottes[15]! Ein Lama möchte mit einen Computer das 15. 000 Jahre-Projekt seines Klosters verkürzen, nämlich alle Gottesnamen aufzulisten: „Die vielen verschiedenen Namen für das höchste Wesen – Gott, Jehova, Allah und so weiter – sind nur vom Menschen erfundene Bezeichnungen.“[16] Zwei Techniker und die Maschine werden nun in den Himalaya transportiert. Am Ende der Berechnungen wird die Begründung für das Vorhaben referiert: „Also, die sind davon überzeugt, dass Gottes Wille erfüllt ist, wenn sie alles Namen Gottes aufgeschrieben haben – und sie schätzen, dass es ungefähr neun Milliarden davon gibt. Dass dann die Menschheit vollendet hat, wofür sie geschaffen wurde, und dass wir und die Welt und alles sonst danach überflüssig sind.“[17] Aus Angst, der Lama könnte mit seiner Weltuntergangsprophetie als gescheitert dastehen, fliehen die Techniker zum Flugzeug. Auf ihrem Weg durch den Himalaya: „»Ob der Rechner inzwischen mit dem Programm durch ist? […]« Chuck antwortete nicht, deshalb drehte George sich nach ihm um. Er konnte eben noch Chucks Gesicht erkennen, ein helles Oval, das dem Himmel zugewandt war. »Schau«, flüsterte Chuck, und nun blickte auch George zum Himmel auf. Irgendwann tut man alles zum letzten Mal. Über ihnen erloschen die Sterne.“[18]
Man munkelt: Science Fiction habe etwas mit Religion zu tun?[19] In diesem Band findet sich kaum eine Geschichte, die nicht irgendwie ethische und/oder religiöse Fragen behandelt. Mag sein, dass es banal klingt: aber die Menschheit nimmt all ihre Größe und Tragik mit in die Zukunft und zu den Sterne. Oder die Zukunft und die Sterne sind nur eine neue Bühne alter Menschheitsthemen? Wie dem auch sei: „Aber dies hat Science-fiction zum Gegenstand: die Zukunft in der Gegenwart und das Ende des Menschen, nicht das Reisen mit der Zeitmaschine, auch nicht das Eindringen in den Weltraum, höchstens, soweit sie die genannten Themen symbolisieren.“[20]
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Essays bei uns hier.
Robert Silverberg (Hg.): Science Fiction Hall of Fame 2. Die besten Storys 1948-1963, Golkonda Verlag, München – Berlin 2018. 420 Seiten, gebunden, 19,90 Euro.