Geschrieben am 1. Mai 2020 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2020, News

Marcus Müntefering: „Broken“ von Don Winslow

Sich Neuland erschreiben

Anders als vielen anderen Krimischriftstellern kann man Don Winslow eines nicht vorwerfen: dass er permanent Variationen des im Kern immer Gleichen schreibt. Winslow experimentiert, tastet sich vor, verändert sich. Und deshalb gehört er seit bald drei Jahrzehnten zu den wichtigsten und interessantesten Genreautoren. Absolute Ausnahmen sind völlig misslungene Romane wie „Missing. New York“ (über dieses Buch und den Nachfolger „Germany“, beide in den USA nicht erschienen, redet Winslow nicht gern, wie ich bei meinem vorletzten Interview erfahren musste – als ich mehrmals nachhakte, wurde die Stimmung merklich kühler), fast ebenso selten ist Mittelmäßiges wie „Corruption“. Dafür hat Winslow gleich eine ganze Reihe Romane geschrieben, die jetzt schon zum Krimi-Kanon gehören (sollten): „Frankie Machine“, „Pacific Private“, „Savages“, „Tage der Toten“…

Auch mit „Broken“ erschreibt sich Winslow wieder Neuland, zunächst einmal in formaler Sicht: Der Band enthält sechs novellas, also Erzählungen oder Kurzromane, abgeschlossene Geschichten, je zwischen 70 und 100 Seiten lang. Und alle völlig unterschiedlich. Inhaltlich und in Hinblick auf ihre Qualität. Zweimal Mittelmaß, dreimal richtig gut, einmal herausragend. Und allesamt verfilmbar: Als ich mit Winslow vor einigen Wochen für den SPIEGEL telefonierte, erzählte er unter anderem, dass die Missachtung Hollywoods für seine Vorlagen, ihn sogar schon fast zum Aufhören getrieben hatten – bis er seinen Agenten, den Drehbuchautor Shane Salerno kennenlernte, der Winslow zum household name machte. Wer jemals die abysmale Verfilmung von „Bobby Z“ gesehen hat, kann gut nachvollziehen, was Winslow so frustriert hat – auch „Savages“ von Oliver Stone ist alles andere als ein Meisterwerk. Und das war es dann auch mit Winslow-Verfilmungen, für einen Top-Bestsellerautoren, der er spätestens seit „Corruption“ in den USA ist, eine eher bescheidene Bilanz. Auch wenn sich das jetzt (bzw. nach der Corona-Krise) ändern soll: „Corruption“ ist in Präproduktion, aus der „Kartell“-Trilogie soll eine TV-Serie werden. Eine interessante Anekdote hatte Winslow zu der lange geplanten und dann geplatzten Verfilmung von „Frankie Machine“ zu erzählen: Scorsese und DeNiro wollten den Film machen, aber dann bekam DeNiro, um sich auf die Rolle vorzubereiten, die Mafiakiller-Bio „I heard you paint houses“ in die Hand gedrückt – und war schockverliebt. Daraus wurde dann „The Irishman“…

Zurück zu „Broken“: Die gleichnamige Auftaktgeschichte liest sich wie eine Studie zu „Corruption“, ist also nur für wahre Winslow-Afficionados von Interesse. Besser wird es mit der zweiten Erzählung „Crime 101“, die Winslow einem seiner Lieblingsschauspieler widmete: Steve McQueen – Sam Peckinpahs „Getaway“ ist einer von Winslows Lieblingsfilmen, und wir waren uns im Gespräch einig, dass es gut war, dass Peckinpah das Höllenende aus Jim Thompsons Romanvorlage weggelassen hat. „Crime 101“ ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen einem Gentleman-Verbrecher (klar fährt er einen Mustang) und einem müden Cop und macht richtig Spaß, weil volle Dröhnung California Cool.

Nicht viel zu sagen gibt es zu „San Diego Zoo“, der dritten Geschichte in „Broken“, eine Elmore Leonard gewidmete Krimigroteske (ein Affe mit einer Knarre spielt eine zentrale Rolle), die sich zu einer Romanze entwickelt – und auf keiner Ebene zu überzeugen weiß.

„Sunset“ ist dann das erste echte Highlight – eine Variation von und Hommage an Raymond  Chandlers Klassiker „Der lange Abschied“ (wie Winslow mir ausführlich erzählte, sein absolutes Lieblingsbuch – auch das von Michael Connelly –, und, auch da waren wir uns einig, die Kinoversion von Robert Altman ist die mit Abstand beste Chandler-Verfilmung), nur im Surfermilieu angesiedelt. Winslow ist in lässiger Höchstform und macht das, was kaum einer so beherrscht wie er: luftig, aber gleichzeitig spannend zu erzählen, witzig, aber mit einer unterschwelligen Melancholie. Und vor allem: „Sunset“ ist kein Chandler-Pastiche wie etwa Benjamin Blacks alias John Banvilles Retro-Orgie „Die Blonde mit den schwarzen Augen“ (was der überaus talentierte Lawrence Osborne in „Only To Sleep“ aus Chandler und Marlowe gemacht hat, werde ich demnächst überprüfen, mehr dazu hier im Crimemag). „Sunset“ ist auch: ein  Aufeinandertreffen alter, lange vermisster Winslow-Figuren, darunter Daniel Boone aus den beiden Surferkrimis „Pacific Private“ und „Pacific Paradise“ und Neal Carey aus den ganz frühen Winslows. Aber auch hier: keine Spur von Nostalgie. Genau wie bei Story No. 5: „Paradise“. Hier treffen die Dealer Ben, Chon und O aus „Savages“ auf Bobby Z und Franke Machine. Spaßig und cool. Mehr nicht. Aber mehr braucht man manchmal auch gar nicht.

Eine andere Nummer ist „The Last Ride“, die Erzählung gehört zum Besten, das Winslow je geschrieben hat. Ein Spätwestern aus dem texanisch-mexikanischen Grenzgebiet, ein Abgesang auf die (nicht nur) US-amerikanische Einwanderungsverhinderungspolitik, in dem ein Grenzschützer (und desillusionierter Trump-Wähler) ein Flüchtlingsmädchen zu seiner Mutter bringen will, egal zu welchem Preis – und der wird hoch sein. Doch anders als etwa in der „Kartell“-Trilogie verwandelt sich Winslows Wut auf die USA (Trump, Drogenpolitik…) in „The Last Ride“ nicht in eine Gewaltorgie, sondern in eine tieftraurige Ballade (um noch einmal Peckinpah heranzuziehen: Die „Kartell“-Romane sind „The Wild Bunch“, „The Last Ride“ ist „The Ballad of Cable Hogue“). Winslow selbst lebt unweit der Grenze zu Mexiko (bei San Diego), und man merkt, dass ihm diese Geschichte am wichtigsten war, was er im Gespräch auch bestätigte: „Sie haben sicherlich bereits gemerkt, wie wütend mich viele Dinge in meinem Land machen. Aber nichts macht mich wütender als eine Politik, die Kinder von ihren Eltern trennt und sie in Käfige sperrt. Das widerspricht allen Werten, die wir als Nation und als Menschen haben sollten. Ich lebe auf einer alten Ranch mit Vieh und Pferden lebe und bin von Cowboys umgeben. Sie alle sind Konservative, die für Trump gewählt haben. Aber trotzdem sind es anständige Menschen, die alte Cowboy-Werte hoch halten, und dazu gehört unter anderem, dass man die Schwachen schützt.“ 

Das Interview, das ich mit Don Winslow geführt habe, könnt ihr beim Spiegel lesen (allerdings im Plus-Bereich), einen „Director’s Cut“ gibt es eventuell später im Jahr hier bei CrimeMag.

Mehr über Winslow und Hollywood hier und hier.

Marcus Müntefering bei CrimeMag hier.

  • Don Winslow: Broken – Sechs Geschichten (Broken, 2020). Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann, Joannis Stefanidis, Peter Friedrich, Kerstin Fricke. Harper Collins, Hamburg 2020. 512 Seiten, 22 Euro.

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