Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Lucky Luke, Band 99: „Fackeln im Baumwollfeld“

Kaum Zeit zum Luftholen

Markus Pohlmeyer bespricht für uns den neuesten Band der Reihe

Wie schon oft von mir bemerkt: Lucky Luke entwickelt sich immer mehr zu einem Zitatenuniversum. So auch der neue Band Nr. 99: „Fackeln im Baumwollfeld“. Vermutlich ist mir ein Großteil der Anspielungen auf die US-amerikanische Geschichte entgangen. Schon beim Titel dachte ich an die Serie „Fackeln im Sturm“ (ab 1985). Lucky Luke wird zum Erben einer Baumwollplantage in Louisiana; und wir, die Leser und Leserinnen, reisen mit ihm in eine befremdliche Welt, die Jolly Jumper am Ende nur als „Grausam!“[1] beschreiben kann. Dieser Band ist nicht lustig, dieser Band ist für diese Comic-Reihe ungewöhnlich hart und schonungslos. Das Grauen liegt auch in der Sprache, in dem, was gerade nicht gezeigt wird (und in einer Art Teichoskopie doch präsent ist). Auf einer Gartenparty erklärt beispielsweise eine Dame der höheren Gesellschaft dem Cowboy: „Ich finde es unerträglich, wenn gelyncht wird. Das hält immer so schrecklich lange auf.“ Neues Bild, Fortsetzung: „… neulich hatten wir im Bahnhof Charleston drei Stunden Aufenthalt, nur weil jemand spontan aufgeknüpft wurde.“[2] Zwar wurde die Sklaverei abgeschafft, Rassismus und Diskriminierung setzen sich aber trotzdem nach dem Bürgerkrieg fort. 

Der geerbte (antikisierende) Prachtbau ist voller Lucky Luke-Devotionalien – hier wird der Cowboy noch zu seinen Lebzeiten als popkulturelles Phänomen installiert, fast am Rande der Heiligenverehrung: Statuen und Bilder von ihm; geradezu eine Historisierung seiner Comic-Laufbahn – bis hin zum Strohhalm statt der Zigarette.[3] Und die Polster der Sitzmöbel im Dalton-Sträflings-Look. Die Daltons spielen auch hier eine besondere Rolle: Während Lucky Luke Empathie zeigt und versteht, verstehen Sie in der Südstaaten-Welt rein gar nichts (und brechen somit das Bild vom edlen „Wilden Westen“). Sie fliehen aus dem Gefängnis (sie wollen nämlich Lukes Erbschaft), und zwar diesmal sehr originell, nämlich in einem Bibliothekswagen. Gefängniswärter: „Die Daltons flüchten sich in Literatur! Wer hätte das gedacht?“[4] 

Natürlich irritierend, was die Daltons da alles finden, z.B. „Onkel Toms Hütte“[5]. Aber auch hier wieder Zynismus: „Unsere Lehrerin hatte echt recht, als sie sagte, dass man durch Bücher dem Alltag entfliehen kann.“ „Ich bereue fast, dass ich zu Beginn des Schuljahres meinen Colt auf sie leer geballert habe.“[6] Joe: „Gibt’s hier ein Buch, das einen umhaut?“ „‘Die unendliche Substanz bei Spinoza‘.“[7] Na ja, Missverständnis; Joe braucht das Buch, um den Kutscher … „BONK!“[8] Er hat „Die Räuber“ (Schiller) eingesetzt. Auf ihrer Flucht verirren sich die Daltons in den Sümpfen. Dort trifft Averell auf einen älteren Herrn: „Mon Dieu. Welche Maringouin hat dich denn gestochen, Kretin?“ Anmerkungssternchen: „Spricht im Original Cajun-Französisch.“[9] Averell versucht nun eine Kontaktaufnahme mit dem Eingeborenen – fast schon eine Karikatur des going native: „‘Quakokikeriki?‘“[10]

Exkurs

Die Anführungszeichen markieren, dass Averell sich hier selbst zitiert, und zwar aus dem Band „Tortillas für die Daltons“. Wieder auf dem Flucht landen die Daltons bei einem mexikanischen Banditen, der sie bei einer der ersten Begegnungen fragt: „CUANDO SE COME, AQUI?“ Hierauf Averell, mampfend und imitierend: „Quakokikeriki… Quakokikeriki… das ist leicht!“[11]

Lucky Luke möchte seine Plantage den ehemaligen Sklaven übergeben, was natürlich viel Widerstand hervorruft, vor allem von QQ, einem anderen Plantagebesitzer und Anführer des Ku-Klux-Klans. Gespenstische Szenerie in der Nacht: Der entführte Lucky Luke und eine ehemalige Sklavin sollen hingerichtet werden. Sie sind schwarz gezeichnet. Ein brennendes Kreuz wirft rotes Licht auf eine Schar von Vermummten. Gelber Untergrund.[12] Und nun die Daltons – wie ein antiker deus ex machina – stürmen die Szene: „Er [Lucky Luke; Anm. MP] ist Indianern in die Hände gefallen.“ „Seltsam! Laut Reiseführer sind die hiesigen Indianer absolut friedfertige Leute.“ Joe nun auf den verkleideten QQ zu: „Indianische Brüder Cowboy nicht verbrennen! […]“ „Bist du sicher, dass er uns versteht, Joe?“ (Averell): „Quakokikeriki?“[13]

Exkurs 

Joe glaubt hier, bei den vermeintlichen Indianern ihre vermeintliche Sprache nachzuahmen zu müssen. Dazu eine Selbstreflexion dieser Comic-Serie – Lucky Luke: „Sagt mal, könnte ihr nicht normal reden? Ewig die Artikel zu verschlucken und alle Verben in den Infinitiv zu setzen, das geht mir langsam auf den Senkel.“ Häuptling: „Wir Indianer drücken uns eben so aus, um der Unterhaltung etwas Lokalkolorit zu verleihen. Das gefällt den Touristen.“[14]

Und dann der Auftritt des heimlichen Helden dieser Geschichte: Bass Reeves. Wilde Schießerei, Getümmel, die befreiten Sklaven eilen zur Unterstützung, bis ein Hurrikan alles durcheinander, auseinander wirbelt. Die Arbeiter wollen die zerstörte Plantage wieder aufbauen. „Und wenn wir zur Abwechslung Tabak anbauen?“ „Pst! Lucky Luke hat mit dem Rauchen aufgehört!“[15] Und der Bösewicht: „Von Qunicy Quarterhouse hingegen hat man nie wieder etwas gehört… Seine ‚Zivilisation‘ wurde vom Winde verweht…“[16] Und dann die Kinder: „Ich will später Marshal werden wie Bass Reeves!“ „Ich Präsident der Vereinigten Staaten!“ „Und ich Journalistin!“ „Oprah und Barack haben eine blühende Fantasie.“[17] Aus Martin Luther Kings berühmter Rede von 1963 – erschreckend, von welcher ungebrochenen Aktualität: „We can never be satisfied as long as the Negro is the victim of the unspeakable horrors of police brutality.“[18] Und dennoch bleibt die Hoffnung: „I still have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed – we hold these truths to be self-evident, that all men are created equal.”[19]

Der neue Lucky Luke-Band, oft erschreckend und nachdenklich stimmend, gut gezeichnet und von heftigen Dialogen – kaum Zeit zum Luftholen –, ein bitterer, immer noch aktueller Kommentar, enthält am Ende auch ein Schwarz-weiß-Foto von Bass Reeves und eine Erläuterung: 

„Es war das bestgehütete Geheimnis des Wilden Westens und bis vor Kurzem hat sich niemand ernsthaft damit beschäftigt: 25 % aller Cowboys waren Schwarze (und ein Großteil ihrer Kollegen Hispanics)! Die Hollywoodwestern haben diesen Teil der Geschichte immer unter den Teppich gekehrt und stattdessen die Legende vom blonden, blauäugigen Cowboy geschaffen. […] Unter all den in Vergessenheit geratenen Persönlichkeiten nimmt Bass Reeves einen besonderen Platz ein. Er wurde als Sklave geboren und war der erste Schwarze, den man westlich des Mississippi zum Hilfsmarshal ernannt hat.“[20]

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Essays – neulich war es der hunderste – bei uns hier.


[1] Lucky Luke, Bd. 99: Fackeln im Baumwollfeld, übers. v. K. Jöken, Berlin 2020, 46. Schriftart bei allen Lucky Luke-Zitaten hier von mir geändert.

[2] Lucky Luke (s. Anm. 1), 30.

[3] Lucky Luke (s. Anm. 1), 32.

[4] Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[5] Von Harriet Beecher Stowe. C. Bartlau, in: GEO Epoche, Nr. 60: Der Amerikanische Bürgerkrieg, 42: „Auch den amerikanischen Präsidenten beeindruckt die Autorin. Angeblich lädt Abraham Lincoln sie ins Weiße Haus ein und begrüßt sie mit den Worten: ‚Sie sind also die kleine Frau, die diesen großen Krieg ausgelöst hat.‘“

[6] Beide Zitate Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[7] Lucky Luke (s. Anm. 1), 11.

[8] Lucky Luke (s. Anm. 1), 11.

[9] Beide Zitate Lucky Luke (s. Anm. 1), 23.

[10] Onomatopoetische Frage – erkennbar am Satzzeichen.

[11] Lucky Luke, Bd. 28: Tortillas für die Daltons, übers. G. Penndorf, Stuttgart 1981, 11.

[12] Siehe dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 36.

[13] Zitate von Lucky Luke (s. Anm. 1), 38.

[14] Lucky Luke, Bd. 75: Der Kunstmaler, übers. v. K. Jöken, Berlin 2006, 16. 

[15] Lucky Luke (s. Anm. 1), 44.

[16] Lucky Luke (s. Anm. 1), 45.

[17] Zitate von Lucky Luke (s. Anm. 1), 45.

[18] Martin Luther King: I have a dream, in: American Political Speeches, hg. V. K. Stüwe – B. Stüwe, Stuttgart 2005, 72-81, hier 77.

[19] Martin Luther King (s. Anm. 18), 78.

[20] Lucky Luke (s. Anm. 1), 47.

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