„Begrüßung & nur ein paar Gedanken“
Das Ende des Kriminalromans … wie wir ihn kennen?
Thomas Wörtche hielt anlässlich des Kongresses über Kriminalliteratur – KrimisMachen 3, der Anfang September in Hamburg stattfand, die Eröffnungsrede. Lesen Sie eine Mitschrift:
Was soll KrimisMachen3?
Branchentreffen dienen üblicherweise pragmatischen Aspekten. In diesem Falle widmet es sich Schichten, die auf den ersten Blick nichts mit dem täglichen Geschäft zu tun haben – aber eben nur auf den ersten Blick … Auch wenn das Programm zunächst anmutet wie ein literatursoziologisches Seminar. Aber wir werden sehen …
Thema: Das Verbrechen
(Ein typisches Thema, wenn man nicht genau weiß, wo die Reise hingeht.) Deswegen: Das Verbrechen ist politisch! Die Literatur, die das als Kernthema hat, auch. Das ist evident.
An dieser Stelle erst einmal die Dimensionen des Politischen in der Kriminalliteratur (KL). Wobei nicht zu vergessen sei: KL ist NIE harmlos, egal wie sehr sie sich bemüht, den Eindruck, sie wolle nur „unterhalten“, zu entwickeln. Das wird klar, wenn man die Dimensionen des Politischen auffächert:
Inhaltlich: Politische Themen werden verhandelt. Polit-Thriller, inclusive Spy, Öko, Wirtschaft, OK & Politik, etc. Dies hat eine lange Tradition seit Hammett, ist immer schon da, und steht mal mehr oder weniger im Fokus (besonders auch in der Romania – Italien, Frankreich, SüdAmerika, Afrika, coming up in Asien, Australien …). Es zeigt sich im nordischen wie im deutschen Soziokrimi. Dabei werden oft die politischen Positionen der AutorInnen sichtbar. Per se „kritisch“ ist daran erst mal nichts, aber wir dürfen davon ausgehen, dass die „ideologischen Grundentscheidungen“, die dem Text voraus liegen und meistens nicht explizit in den Text eingeflossen sind, bereits gefallen sind.
Mikrostrukturell: Wer erzählt was? Wie sind die Figuren aufgestellt? Wie konsensual sind sie? Welche Gender-Rollen werden definiert, welche werden dementiert? Welches Verhältnis zu „Recht & Ordnung“ lässt sich definieren? Vigilantismus? Wie präsent sind welche Realitäten? Und welche sind signifikant NICHT vorhanden? (Das gilt vor allem für die Texte, die sich als „nur unterhaltsam“ ausgeben.)
Makrostrukturell: Welche Perspektive wird gewählt? (Perspektiven sind immer semantisch und diese Semantik hat politische Implikationen). Monoperspektivisch (z.B. bei hegemonialen Diskursen), auktorial, personal, polyphon (ist nicht gleichzusetzen mit polyperspektivisch.) Monologisch (autoritär), gebrochen, fraktalisiert? Komisch? (Was genau wird komisiert?) Intertextuell, dialogisch zu anderen Texten (Narrativen)?
Meaning oft structure?
Hier liegen die neuralgischen Punkte von KL. Wird das Verbrechen als grundsätzlich aufklärbar angesehen? Als wünschenswert? Welche Ordnung der Dinge hat welche politischen Implikationen? Das heißt, kann man politische Aspekte an den verschiedenen Erzählkonventionen anschließen? Zum Beispiel das Anti-Moderne an den Romanen des Golden Age? Die Obrigkeitsstaatlichkeit an die üblichen polizeifrommen Narrative? (So anscheinend problematisiert die daherkommen.) Und ist nicht das ganze Projekt KL eine letztlich naive, prämoderne Angelegenheit, das nicht in allerletzter Konsequenz auf Sinnhaftigkeit oder Erklärbarkeit der Welt abzielt? Und damit notwendigerweise – so oder so, gleichgültig ob noir oder blanc – ideologisch sein muss? Ich behaupte nicht, dass das so sein MUSS, man könnte aber mal in diese Richtung denken.
Soweit die EXPLIZITEN, im Grunde evidenten politischen Bezüge. Es gibt aber zumindest noch einen weiteren Aspekt des Themas, der ein bisschen versteckter liegt, den ich aber für brisant halte: Und der hat mit dem Lesepublikum und dem aktuellen Leseverhalten zu tun. Wir beklagen gerne die Kassenerfolge der Mega-Seller eines Typus von KL, der dazu neigt, unterkomplex zu sein, aber deswegen sehr erfolgreich ist: Also die Rita Falks, K.-P. Wolfs, Nele Neuhause, Veit Etzolde & Co., die nie auf der FAZ-Krimibestenliste auftauchen, aber durchaus die Breitenwahrnehmung von KL dominieren. Wir hier sprechen – so unter uns, hier in Hamburg – ja eher von einer ARTHOUSE-Position aus. Aber eine gewisse (oft gar feindselige) Stimmung gegen Neues, noch nicht Bekanntes, Unkonventionelles, glaube ich schon feststellen zu können. Gewünscht scheint ein Mehr des Erwartbaren, ein Mehr dessen, was man innerhalb des „normalen“ Rahmens glaubt. So, als ob für breite Leserschichten Krimi eben Krimi bleiben soll – ungeachtet jeden feingeistigen Trivialitätsverdachts. Man kann schon von einer genre-internen E/U-Schere reden – die einerseits angesichts vielen Schrotts gerechtfertigt ist, aber dennoch m.E. nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
Versucht man, diese Schere ein bisschen genauer zu betrachten – dann geht die Tendenz dahin, dass KL, die sich als Diskurseinmischung beschreiben lässt, also ein deutliches politisches Programm expliziert, ein kleineres (mag es in Ausnahmefällen auch größer sein, es ist NIE riesig) Publikum hat. Dito solche Romane, die Erzählkonventionen verlassen (wir reden allerdings von Erzählkonventionen, die seit der Moderne außerhalb der KL schon längst erledigte Fälle und ihrerseits Konvention geworden sind), die all zu sehr mit Brechungen, mit Meta-Strategien usw. arbeiten – alles theoretisch wünschens- und begrüßenswerte Dinge, die aber dennoch als „elitär“ verstanden werden und somit Ressentiments produzieren. (Wobei wir beim Stichwort Ressentiments bei der ganz großen Politik wären).
Ich würde jetzt NICHT sagen wollen: Arthouse ist selber schuld. Aber wir können nicht umhin, diesen Umstand zu bemerken, denn die Kluft zwischen der „Normalausprägung“ und anderen Konzepten ist einfach da. Der Wunsch, dass der Schurke am Ende erledigt sei, hat ordnungspolitische Implikationen. Gerechtigkeit und „moralisches Empören“ (als Affekt) sind starke Rezeptionsfaktoren – auch wider besseres Wissen.
KL ist Teil der Populären Kultur?
Ich halte das für weiterhin sinnvoll. Sie muss deshalb noch lange keine „Industrienorm“ (sprich: formula fiction) sein. Im Gegenteil. Die Stärke Populärer Kultur war immer das Transponieren von „Zeitthemen“ in Action, in narrative Dynamiken, die diese Zeitthemen sozusagen „maskiert“ haben, sie irgendwie umgesetzt haben, verfremdet wie auch immer – deswegen ist es immer wieder und immer noch falsch, als „Gegenmittel“ – also auf einen Populismus den anderen zu setzen – „fortschrittliche Inhalte“ (die als per se die „richtigen“ verstanden werden) in alte Konventionen zu füllen. Gegenmittel sind problematisch (weil meistens die Gegenbildlichkeit zu schlechten und kritisierten Zuständen selber abscheulich sind – ich wollte jetzt Rousseau nicht zitieren: Aber seiner Aufklärungskritik „Sparta“ positiv entgegen zu stellen, war keine gute Idee, etc.). Auch ein politisch korrekt durchdesignter Whodunnit ist vermutlich ein Whodunnit, der seine Sünden – Aufklärbarkeit, das Erklärbegehren – genauso erfüllt wie der „reaktionärste“, und deswegen in letzter Konsequenz ideologisch wird. (Falls wir einen Whodunnit darauf reduzieren wollen.)
Auch programmatischer Realismus hat seine Tücken, wenn damit nicht nur circumstantial realism gemeint ist. Realismus (als künstlerisches Verfahren) ist kein All-Heilmittel, weil er sich aller Möglichkeiten beraubt, die Literatur (und Kunst) zur Verfügung stehen: Exzess, alle Formen des Absurden, Grotesken etc. Und natürlich des Komischen (nicht des Lustischen).
Und zum Ende wir können nicht NICHT bemerken, dass wir ein zunehmend irritiertes Publikum haben, das fragt: Ist das ein „Krimi“, ist das ein „Thriller“? Dass so eine Frage als „Kritik“ formuliert wird, ist eher ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Dagegen alte Muster, sprich: RETRO, zu setzen, hilft vermutlich nur sehr kurzfristig. Aber es zeigt, dass auch abseits – wir lassen mal „böse“ Marketingstrategien außen vor – etwas ungut geworden ist.
Das Ende des Kriminalromans
… wie wir ihn kennen? Wäre das schlimm? Immerhin thematisiert er in seiner Grundformel ein Ordnungssystem, das fragwürdig geworden ist – angesichts der Kontingenz, des Chaos‘ und der enormen Komplexität der Verhältnis, die das framing auch bestimmen.
Das heißt ja nicht, dass es Kriminalliteratur nicht mehr geben wird – sie sieht nur anders aus oder, bescheidener, modifiziert sich ständig … Ablösung von Paradigmen durch andere sind ja nichts Ungewöhnliches …
Deswegen müssen wir hier dringend über alle diese neuralgischen Punkte reden. Um nicht in benevolente Dogmatik zu verfallen, was denn nun „ein guter Krimi sei“, müssten wir uns mit Ludwig Wittgenstein auf das „Aspektsehen“ konzentrieren (PU, II, xi) – nämlich Aspekte bemerken, die den selben Gegenstand anders aussehen lassen, auch wenn es sich nur um ein Aufleuchten handelt …
Thomas Wörtche anlässlich von KrimisMachen 3 in Hamburg (Mitschrift der Eröffnungsrede)