Geschrieben am 4. November 2015 von für Crimemag, Kolumne, News

Kolumne: Frank Göhre: Gelesen. Gehört. Gesehen (3)

Frank-Göhre-_FotoAuch eine Buchbesprechung.

Von Frank Göhre.

Es ist Freitagabend, es ist nach 23 Uhr, die Zeit also, in der im Verständnis der öffentlich-rechtlichen Sender dem Zuschauer auch schon mal was zugemutet werden darf. Ein Blick in die Abgründe der menschlichen Seele, zum Beispiel.

Bei Bettina und Bommes, der Talkshow live aus Hannover, sitzen in munterer Runde ein norddeutscher Fernsehkoch, eine depressive Stimmungskanone aus Köln, die singenden Akrobaten-Zwillinge Claudia und Carmen aus Dresden, zwei Hamburger Hip-Hopper, ein Tierfilmer mit seiner Hündin, ein Synchronsprecher, der sich zum Comedian berufen fühlt und …

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vielleicht können wir auch mal mit der Kamera ganz dicht ranfahren, dann kann jeder sich mal das Bild machen, wie von Ihnen solche Sätze überhaupt kommen können.

 Der Gastgeber Alexander Bommes, Ex-Handballer und auch medial kampferprobter Moderator der Quizshow Gefragt – Gejagt, liest im Off vom Blatt …

Die Mutter kriecht auf allen Vieren Richtung Tür. Blut schießt aus ihrem Hals. Kathi reißt ihr von hinten den Kopf hoch, packt sie am Kinn, so wie die Mutter es früher bei ihr gemacht hat, dreht das blutige Gesicht zu sich hin, die Lippen hängen in Fetzen herab, die Zunge liegt halb abgetrennt im Mundraum.

 Konfrontiert wird mit diesem, ihrem eigenen Text die Schauspielerin, Hörbuchsprecherin und Autorin Andrea Sawatzki, verheiratet und Mutter zweier Söhne im Alter von 16 und 13 Jahren. Wir sehen in Großaufnahme ihr schmales Gesicht, die glatte Stirn, die konzentriert blickenden Augen, den breiten Mund und sollen uns allen Ernstes fragen, wie passt das zusammen, eine so schöne Frau mit einem solch kranken Hirn. Denn das ist impliziert. Das soll greifen.

Klare erste Frage. Wie sind Sie denn drauf?

Bommes lacht munter, und auch aus dem Publikum sind bräsige Lacher zu hören. Keine Frage: Der Gastgeber selbst ist gut drauf. Er ist überzeugt, einen super Einstieg gebracht zu haben.

Andrea Sawatzki: Also es ist wirklich … das ist ne harte Szene. Also so ist nicht das ganze Buch …

 Die fast härteste, schiebt Bommes nach, will damit sagen, ich habe das Buch ganz gelesen, ich kenn mich aus, mir machen Sie nichts vor. Was nicht nur grundsätzlich zu bezweifeln, sondern primär eine dieser elenden Strunzereien ist, nach dem Motto, ich bin der Größte, ich bin der King in dieser Runde – weiß Bescheid.

Andrea Sawatzki: Ja, das ist die fast härteste. Ich habe ja mit meinem ersten Roman, der 2013 erschienen ist, das „allzu brave Mädchen“ bei Piper, dies ist ja jetzt bei Droemer …

 … wir sehen Alexander Bommes nur im Anschnitt von hinten, sehen nicht sein Gesicht, aber wir können davon ausgehen, dass die Nennung der Verlagsnamen ihm ein wenig zu weit geht. Denn das darf so nicht sein …

… hab ich mich damit beschäftigt, wie Kinder ein Trauma verarbeiten, ob Kinder im Heranwachsen in der Lage sind, ein Trauma, das sie in frühester Zeit erlebt haben, los zu werden …

 Jetzt ist Bommes im Bild. Er blickt leicht angesäuert.

… oder zu ignorieren. Also ob die das schaffen, ganz normal und unerkannt quasi unter Menschen, die eine glückliche Kindheit hatten, zu leben. Und im ersten Roman habe ich das Thema, wie ich finde, fragmentarisch mehr oder weniger behandelt und hab dann zwischendurch zwei Komödien geschrieben …

 sawatzki_800Und jetzt ist es ein Psychothriller, unterbricht Bommes aus dem Off, muss noch einmal beweisen, wie saugut er sich auskennt, der Lesefuchs!

Andrea Sawatzki: Und dies ist jetzt ein Psychothriller, der sich wieder mit diesem Thema beschäftigt. Wie schafft es ein Mensch, der Schreckliches erlebt hat, mit dieser Erfahrung umzugehen. Ein Mensch, der versucht, sich einzugliedern in die Gesellschaft und der aber aufgrund der Umgebung dann doch irgendwann dazu getrieben wird, das hervorzuholen, was er … ja, die Vergangenheit eben.

 „Der Blick fremder Augen“ ist der Titel. – Das darf und muss jetzt doch klar und deutlich gesagt werden. Denn das ist nun mal der eigentliche Grund, warum die Schauspielerin und Autorin bei Bettina und Bommes zu Gast ist. Das ist der Deal. Aber maliziös lächelnd fährt Bommes fort: Ihr viertes Buch in zwei Jahren (!), und vielleicht können Sie den Plot noch mal ein bisschen beschreiben …

 Das kann sie, wenn auch ein wenig umständlich, weil sie im Prinzip schon gesagt hat, um was es in ihrem Roman geht. Die anderen Talkshowgäste interessiert das ohnehin nicht mehr sonderlich. Der Tierfilmer schiebt ein Käsehäppchen ein, der TV-Koch nimmt einen kräftigen Schluck Wein. Nur Bommes muss penetrant noch weiter auf der eingangs zitierten Textpassage herumreiten …

Lesen Ihre Söhne das? Lippen halb abgefetzt und Zunge und so …

 Die Schauspielerin versucht, ihn zu beruhigen. Der Dreizehnjährige liest das nicht, der Große allerdings möchte es schon ganz gerne lesen …

Aber der ist auch erst Sechzehn!

 Ja, der ist Sechzehn, aber der schafft das. – Sie glaubt, damit sei das leidige Thema nun durch und darf tatsächlich ein wenig über das Schreiben und die Annäherung an ihre Figuren plaudern.
Doch Bommes gibt keine Ruhe …

Woher kommt denn nun das Böse in Ihnen? hakt er nach und hat noch ein paar weitere, ihm unheimlich erscheinende Sätze auf die Spickzettel: Die Toten sehen aus wie entrückt. Sie wissen mehr als die Lebenden. Sie haben es hinter sich.

 Da kann auch die allzeit frohgemute Gastgeberin Bettina Tietjen nicht mehr an sich halten …

Ich stelle mir gerade vor, wenn man so was schreibt, dann gehen ja die Gedanken – wahrscheinlich vertieft man sich ja auch total da rein, wenn man sich solche Sätze ausdenkt, und dann kommen gerade die Kinder aus der Schule und wollen was zu essen gemacht haben, es wird laut, irgendwo läuft Musik. Können Sie da so hin und her switschen oder brauchen Sie absolute Abgeschiedenheit …?

 Schreibende Hausfrau und Mutter also oder Thomas Mann.
Das ist hier die Frage. Und auch auf die wird geantwortet, bringt aber letztlich nichts. Denn von Anfang an war klar – klare erste Frage – hier wird jemand, eine prominente Schauspielerin, die als Autorin möglicherweise ein inhaltlich und stilistisch schwaches Buch veröffentlich hat, auf einen vermeintlich spektakulären Aspekt ihres Schreibens reduziert und dabei subtil vorgeführt.

Dennoch das Angebot: Wenn Sie in die Runde gucken, Andrea, wer wäre in Ihrem nächsten Psychothriller – wer würde sterben müssen, wer wäre Täter, wer wäre wie angelegt?

Keine Frage. Nach einer solchen Sendung wüsste ich es.

Frank Göhre

Andrea Sawatzki: Der Blick fremder Augen. Roman. Droemer Verlag, München 2015. 303 Seiten. 19,99 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch hier. Zur Internetseite von Andrea Sawatzki hier.

Zur Homepage der Sendung hier. Foto Bettina und Bommes: NDR Mediathek.

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