Geschrieben am 1. September 2019 von für Crimemag, CrimeMag August 2018, CrimeMag September 2019

Klassiker-Check: Anthony Price

Anthony Price – der Patriot. Beinahe ein Nachruf

                                               von
  Thomas Wörtche

Anthony Price ist am 30. Mai im Alter von 91 Jahren gestorben. Der Anlass für einen Nachruf auf einen Autor, den ich in den 80ern und frühen 90er gerne gelesen hatte, zumindest in meiner Erinnerung. Dann ist er irgendwie aus dem Fokus gerutscht, nur noch beim name dropping präsent, wenn es um britische Spionageromane ging, zusammen mit seinen „Zeitgenossen“ John le Carré, Ted Allbeury, Gavin Lyall, Len Deighton, Brian Freemantle etc. 

Ich habe in den letzten Wochen zehn Romane und ein Sachbuch von ihm noch einmal gelesen, eine Art binge reading.  Und dieses Re-Reading war aufschlussreich. Hinsichtlich meiner eigenen Parameter und deren Verschiebungen über fast vier Jahrzehnte (was nicht so interessant ist für andere Menschen), aber auch hinsichtlich der Haltbarkeit eines „Kanons“, über literarische und ideologische Implikationen, in einem Werk, die erst heute so richtig sichtbar werden. Über die Mechanismen von „Hype“ und von Paratexten, denen man nur allzu gerne aufgesessen ist (gerade, wenn man sich als „kritischer Geist“ fühlte). Dieser Punkt ist in Sonderheit ganz aktuell, weil Rezeptionslenkung heute mehr denn je ein Thema ist. Und das Re-Reading zeigt auch, warum und wie manche Autoren historisch werden können, oder besser: museal. 

Innovation?

Dabei gibt es durchaus gute Gründe, die sogenannten Dr. Audley-Romane (19 an der Zahl) zunächst einmal für exzeptionell zu halten. Wobei „Dr. Audley-Roman“ allerdings nur eine gröbste Bezeichnung für den Zyklus sein kann. Dr. David Audley vom „Department for Research and Development“ des MI6 (oder des „Außenministeriums“, wie es immer so vornehm heißt) ist der, von Roman zu Roman, unterschiedlich präsente Mittelpunkt der Romane. Manchmal im Zentrum, manchmal an der Peripherie, und wenn er, wie in „Aufmarsch der Esel“ selbst nicht auftreten kann (dieser Roman spielt im 2. Weltkrieg), dann ist er symbolisch durch seinen Vater vertreten.  Seine Biographie, vor allem seine Karriere im 2. Weltkrieg, wird („Aufmarsch der Esel“, „Die Chandos-Falle“) in Bruchstücken erzählt.

Audley ist von Hause aus Historiker, Spezialist für das (arabische) Mittelalter, und ansonsten Universaldilettant für sämtliche geschichtliche Epochen. Chef der Abteilung will er nicht sein, das überlässt er Leuten, die sich seinen Eskapaden fügen müssen, nolens volens. Auf der politischen Ebene des Geheimdienstgeschäfts mag man ihn nicht besonders, er hat zu oft recht mit seinen Einschätzungen, die nicht immer in die Großwetterlage passen. Er neigt zu Alleingängen, residiert auf einem schicken Landgut und ist, all at all, ein intellektueller Snob, notfalls auch von eisiger Brutalität und moralischer Indolenz. Um Audley herum gruppiert Price ein Figurenensemble von Zuarbeitern und Gehilfen, auch wenn sie in der Hierarchie höher stehen mögen. Colonel Jack Butler, ein ehrlicher, aufrechter Infanterist, der durch seine absolute Loyalität zur Krone an seinen Geheimdienst-Job gekommen ist, Commander Hugh Roskill, von der Royal Air Force detachiert, Paul Mitchell, ein karrierebewusster Zyniker, auf der Leiter nach oben steigend. Sir Oliver St. John-Latimer, Audleys Gegenspieler in der Behörde, die befreundeten (naja, manchmal) Mossad- und CIA-Residenten im UK und einige andere Figuren (hauptsächlich männlich, Frauen haben eher Nebenrollen, mit Ausnahmen wie etwa Elizabeth Loftus in „Das Vengeful-Komplott“, die sofort angeworben wird), die das Universum von Audley bevölkern.

Perspektive

Das ist erzähltechnisch zunächst einmal sehr geschickt – jeder Roman wird von einer anderen Figur dominiert, manchmal auch von einer, die nur einmal auftaucht, wie der italienische Agent Boselli in „Oktobermänner“. Das eröffnet, theoretisch, die Möglichkeit, jeden Roman aus anderer Perspektive zu erzählen, jeweils unterschiedliche Wahrnehmungsmuster auf die Welt, unterschiedliche Wertungen des Erzählten, unterschiedliche Einschätzungen der handelnden Personen (also auch Audleys und seiner Leute) zu installieren. Das funktioniert prächtig, wenn man den üblichen Leserhythmus je nach Erscheinungstermin einhält, d.h. wenn mindestens ein halbes Jahr zwischen den Lektüren liegt. Das binge reading allerdings zeigt in gnadenloser Deutlichkeit die Defizite des Verfahrens: Price erzählt durchweg auktorial, auch wenn er aus den Köpfen der handelnden Personen erzählt. Innere Monologe der Figuren sind aber stilistisch und idiomatisch meistens (oder nur sehr selten nicht) der Price´schen Prosa angeglichen, sie weisen keine Differenzkriterien auf – keine anderen Sprachmilieus werden aufgerufen, keine anderen Soziolekte etc. benutzt. Auch agieren alle Figuren nach dem gleichen Muster: Ein Ereignis, eine Action-Sequenz, ein Dialog wird geschildert, danach folgt eine, als personal erzählt getarnte Analyse dieser Situation, die oft Antizipationen, Skepsis, Selbstreflexion oder andere reflektierende Elemente enthält, wobei die Erzählerstimme jedoch immer dominant bleibt. Das hört sich verzwickt an, ist aber im Grunde das Stilmittel, das die Romane gleichförmig macht, eine Art immer wiederkehrender Algorithmus, der zwar Multiperspektivismus gar Polyphonie verspricht, aber letztlich nur die Zentralperspektive in die unterschiedlichsten Personen hinein verlängert. Nun wissen wir, spätestens seit Michail M. Bachtin, dass der Zentralperspektive immer auch ein Moment des Autoritären, des Monologischen, des Dogmatischen innewohnt. Und dieser Aspekt ist für die Semantik des Gesamtwerkes nicht folgenlos. 

Anthony Price

Anthony Price war, all at all, ein sehr autoritärer Autor. Mit allen Implikationen. Auf allen möglichen Ebenen. 

Autorität oder autoritär?

Natürlich sind die Audley-Romane allesamt dem Kalten Krieg geschuldet. Das „Department for Research and Development“, für das Audley und seine Trabanten arbeiten, ist ein Instrument des Kalten Kriegs. Das ist nichts Besonders, das ist Standard für den Polit-Thriller jener Jahre, und reflektiert die politische Situation auf dem Planeten. Audley & Co. sind Troubleshooter, Spezialisten für alles, was außerhalb der geheimdienstlichen Routinen liegt. Sie agieren sozusagen antizipatorisch, sie sind darauf getrimmt, aus kleinsten Informationssplittern belastbare Patterns zu konstruieren, sie sind Virtuosen der Mustererkennung und seien diese Muster noch so raffiniert getarnt. Sie arbeiten klandestin, sie entschärfen oder eliminieren Konflikte oder potentielle Skandale, bevor diese überhaupt öffentlich sichtbar werden. Ihre Arbeit ist nicht nachweisbar, sie steuern Geschichte, bevor sie eine Chance hat, zu entstehen. Das ist, literarisch gesehen, sehr vorteilhaft: Das „Department for Research and Development“ entzieht sich so einem Realitätscheck, es ist, sogar per definitionem in der Binnenlogik der Romane, ein reichlich artifizielles Institut. Fiktion pur. Die Realismus-Frage stellt sich an keiner Stelle.  Stattdessen verlagert Price den „Realismus“ ins Historische, da, wo die Faktenlage anscheinend klar und belegbar ist.

Anthony Price war selbst praktizierender akademischer Historiker, so wie Dr. David Audley (der nur hin und wieder universitäre Verpflichtungen hat), und so scheint es zunächst folgerichtig, dass er eine Art Amalgam von modernem Spionageroman und historischem Roman vor Augen hatte: Das heißt für etliche seiner Romane, dass zeitgenössische Konflikte irgendwie rückgekoppelt sind an historische Vorgänge, was durchaus bis in die Römerzeit („Colonel Butlers Wolf“) zurückgehen kann. Auch die Romane, die im 2. Weltkrieg spielen („Aufmarsch der Esel“, „Die Chandos-Falle“, bei denen ständig auf der 1. Weltkrieg verwiesen wird), und die Familiengeschichte- resp. die Karrieregeschichte von Audley und Butler nachliefern, lassen diese beide Kriege als psychologisch-biographische Motivationsmaschinen für die Tätigkeit der Figuren im Heute erscheinen. Und die Konflikte des Kalten Krieges sind auch schon präfiguriert, die in den Jetztzeithandlungen fiktionalisiert werden. 

Herrschaftswissen

Das autoritative, oder besser: autoritäre Moment liegt in dem vorgeblichen Herrschaftswissen von Audley, resp. Anthony Price. Sie sind Historiker, also wissen sie Dinge, die andere Menschen nicht wissen, die Autorität ihrer Rede speist sich aus ihrer akademischen Position. Das begründet auch die Zentralperspektive, die Price wählt. Seine Erzähler-Persona (es spricht nie der Autor selbst, wir ersparen uns das an dieser Stelle) hat als Garant der Rede den „authentischen“ Anthony Price und seine akademische Qualifikation. Damit bekommen die Romane etwas Schein-Objektives, das erst bei näherem Hinsehen zerbröselt. 

Zum Beispiel: Während in den ersten Romanen tatsächlich noch ein aktueller Zeitbezug auf der Plot-Ebene vorliegt (der Nahost-Konflikt etwa oder die Nachwehen der Eroberung Berlins), werden die späteren Bücher schon beinahe manieristisch. Die Plots gründen auf historischen Petitessen, die man, recht besehen, eigentlich nicht braucht. Da spielt dann eine Menge Beeindruckungsrhetorik hinein – fatal allerdings, dass das „Spezialistenwissen“, das Price angeblich aufbietet, für jemanden, der sich zufällig in der einen oder anderen Epoche auskennt, eher an Trivial Pursuit erinnert.  Das wird schnell banal und hohl: Etwa der totgedroschene Kalauer über Waterloo – wie konnte Napoleon nur die Kavallerie dem Trottel Ney anvertrauen – topischer geht´s nimmer.

Oder zum Beispiel „Das Vengeful Komplott“, ein Roman, dessen historische Ebene davon ausgeht, dass Napoleon 1812 Großbritannien noch mit einer Invasion bedrohen könnte. Das ist grober Unfug, der „Landtyrann“ hatte um diese Zeit längst keine Ressourcen mehr für maritime Operationen, sein Aufmarsch gegen Russland, der niemandem verborgen geblieben war, war prekär genug, der Kriegsschauplatz Spanien („the Spanish Ulcer“, wie Napoleon richtig vermutete) ließ eher eine Invasion Frankreichs über die Pyrenäen wahrscheinlich erscheinen. Price wendet zwar vorbeugend und richtig ein, dass Geschichte ex post immer anders aussieht, als in der konkreten historischen Situation, aber das tut der der Abwegigkeit des Konstrukts keinen Abbruch. Ein Konstrukt, das Price aber für die Jetztzeit-Handlung braucht, um vor einer sowjetischen Infiltration des UK zu warnen. In diesem Fall könnte man sagen, Geschichte wird ex post tatsächlich auf Aktualisierung getrimmt, ob´s passt oder nicht. Natürlich darf Fiktion das tun, aber die autoritär-zentralperspektivische Erzählhaltung produziert an dieser Stelle durch lediglich behauptetes Herrschaftswissen Ideologie.  Und hier kommen die Paratexte ins Spiel, zumindest die der deutschen Ausgaben, die meistenteils bei Ullstein erschienen sind. 

Paratexte

Der Hauptpitch: „Anthony Price verknüpft in seinen Spionageromanen Geschichte und Gegenwart. Er ist Historiker.“ Solche Pitches gehören zum Geschäft, sie sind völlig okay. Sie sind, man kann das sehr schön in Gérard Genettes Studien zu Paratexten nachlesen, natürlich nicht objektiv, sondern dienen der Rezeptionslenkung (so wie Autoreninterviews, Selbstaussagen von Autoren, Blurbs etc.). An solchen Stellen „Authentizität“ zu erwarten, ist absolut naiv und unbedarft. Ein solches Instrument zur Rezeptionslenkung sind auch Nachworte. Im Falle Anthony Price hat Ullstein damals für die meisten Bände den Journalisten Frieder Middelhauve engagiert, der für das Lesepublikum die Fakten der historischen Themen und Subthemen ausfaltet oder zusammenfasst oder kontextualisiert, also die Autorität von Price noch einmal diskursiv beglaubigt. Auch das ist völlig okay, liefert Mehrwert oder Surplus für das Publikum, bleibt aber logischerweise Teil einer persuasiven Strategie. Und selbst wenn Historie gebeugt wird, wie im Fall des „Vengeful Komplotts“ verstärken die Paratexte das behauptete Wissen von Price, das sich in seinen Romanen in bestimmten Werten, Weltanschauungen und Gewissheiten manifestiert.

Die großen Narrative

Es sind im Grunde drei Großnarrative, die Price immer wieder artikuliert, schildert, an Beispielen durchexerziert und historisch zu belegen sucht.

  1. Der unerschütterliche Patriotismus, der fest an das große Gemeinschaftserlebnis des 1. Weltkriegs („The Great War“) glaubt. Dort zeigte „die Nation“ alle ihre besten Tugenden: Opferbereitschaft, Kampfesmut, pro patria mori (auch wenn Price nirgends behauptet, das sei dulce und decorum, irgendwie sinnstiftend ist es doch), wobei jede Klasse – an der Klassenstruktur der britischen Gesellschaft rüttelt Price nicht – ihre jeweiligen Tugenden miteinbringt, der einfache Soldat wie der Master Sergeant und der Offizier. Deswegen ist die verächtlichste Figur der Verräter an der nationalen Sache, so problematisch die auch sein mag.
  2. Soldaten sind Werkzeuge der Politik, und insofern auch „Missbrauch“ ausgesetzt. Das gilt auch für die Soldaten der Gegenseite, bei Price meistens die Deutschen in den beiden Weltkriegen. Sie sind Feinde, aber ehrenhafte. Lediglich die SS hat ein bisschen ungehörig gerüpelt („Aufmarsch der Esel“, „Die Chandos Falle“). Der Mythos von der im Grunde anständigen Wehrmacht ist keinesfalls ein rein deutsches Narrativ. Und Anthony Price ist hier auch nicht sonderlich originell. Der Beitrag der britische Historiographie zu diesem zeitweise sehr populären Narrativ (nicht, dass es keine Gegenstimmer gegeben hätte), fängt grob gesprochen 1950 mit Desmond Youngs Rommel-Biographie an (Young wurde als Brigadegeneral von Rommel gefangen genommen): Rommel, als der ehrenhafte, geniale Gegner (also musste Monty letztendlich noch genialer gewesen sein), war sowieso die Lieblingsfigur der Wehrmacht gut/SS böse-Fraktion.  Sir Basil Liddell Hart, den Price resp. Dr. Audley gerne und oft zitieren, hatte mit seinem Standardwerk „Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ von 1970  (gerade wieder aufgelegt, siehe die non fiction-Chops) die Illusion genährt, man könne Militärgeschichte nur aus militärischen (und höchstens noch wirtschaftlichen) Parametern erzählen, ohne die jeweilige ideologischen Grundlagen mitzudenken, als ob es sich um rationales Handwerk auf beiden Seiten gehandelt habe, das die einen eben besser als die anderen beherrscht haben. Price schreibt diese Tradition fort, und damit sickert – möglicherweise erst subkutan – der Gedanke ein, dass möglicherweise der 2. Weltkrieg der falsche Krieg war, oder nur das Präludium zu einem viel wichtigeren Final Stand – dem Kampf gegen den Kommunismus.  (PS: Die Annahme einer moralischen  Äquivalenz der Kriegsgegner begegnet uns auch im Fall des Amerikanischen Bürgerkriegs – in „Spione am Kreuzweg“, wo zum Beispiel von den taktischen Künsten eines Nathan Bedford-Forrest die Rede sein kann, ohne zu erwähnen, dass dieser Mann einer der Gründer des Ku-Klux-Clan war, Kavallerietaktik ohne Kontext. Kann man machen, wenn man weiß, was man da macht).
  3. Wenn die Menschheitskatastrophe namens 2. Weltkrieg nur der Auftakt zu einem viel größeren „großen Spiel“ (Kipling findet sich bei Price überall) war, dann ist der Kommunismus die weitaus größere Gefahr. Das Trauma der Cambridge Five sitzt tief. Auch wenn Dr. Audley manchmal zu realpolitischer Verständigung mit dem KGB kommt („Hinterhalt“ „Labyrinth“, „Unser Mann in Camelot“, „Colonel Butlers Wolf“, „Gunner Kelly“) ist er, wie Price auch, besessen davon, dem KGB sei es wieder oder immer noch gelungen, Teil der britischen Eliten, vor allem die aus Oxbridge, zu rekrutieren und zu korrumpieren. Auch um dieses Milieu, das Price als besonders gefährdet einstuft, besser im Auge behalten zu können, gibt er Audley einen akademisch-historischen Hintergrund. Als, im Gefolge von 1968, in den 1970ern auch im UK eine Antiatomkraft- und eine Friedensbewegung aufkommt, die Jugend und vor allem die Studenten „rebellisch“ werden und an den Wertesäulen rütteln, ist für Audley und Co. klar: Der KGB hat überall seine Finger im Spiel, er räumt selbst unter den eigenen Leuten auf, die nicht linientreu sind („Oktobermänner“). Zu diesem Behuf erfindet Price das Projekt „Debreczin“, benannt nach einer fiktiven hochgeheimen KBG-Schulungseinrichtung in Ungarn, wo Langzeitschläfer ausgebildet werden, die die Führungseliten des Westens infiltrieren sollen, wenn sie auf gesellschaftlichen Machtpositionen angelangt sind. Besonders perfide ist „Debreczin“ (das durch mehrere Bücher geistert, besonders deutlich in „Spione am Kreuzweg“), weil MI6 und CIA (bei allem gegenseitigen Misstrauen durch die „westlichen Werte“ verbunden) von dem Projekt wissen und bei ihren Hexenjagden auf Schläfer auch ganz beiläufig unschuldige Menschen vernichten, wenn die nur ein Hauch des Verdachts trifft. Diese Tendenz macht Audley zwar ein paar periphere Bauchschmerzen, aber die Bedrohung rechtfertigt eben auch massive Abwehr; ein Szenario, das uns seltsam bekannt vorkommt.

Patriotismus

Diese drei Großnarrative bilden das stahlharte, erzkonservative Rückgrat von Prices Werk (Spuren davon finden sich auch in seinem Sachbuch über Fregatten des 18. und 19. Jahrhunderts, „The Eyes of the Fleet“, eine ziemlich brillante Studie über maritime Kriegsführung, bei der britischen Chauvinismus überall durchscheint, aber immerhin sachlich gepuffert ist und, in Person der literarischen Figur Horatio Hornblower, die durchweg wie eine nichtfiktionale Person behandelt wird, ein ironisches Spiel mit der Fiktionalisierung von Realität treibt). 

Als die Bücher peu à peu erschienen, fand ich sie durchaus auf Augenhöhe mit den damaligen UK-Cracks der Zeit: Mit John le Carré, Ted Allbeury, Len Deighton, Gavin Lyall, Brian Freemantle oder Patrick Ruell (das Polit-Thriller-Pseudonym von Reginald Hill, zu dessen Gesamtwerk es bei Anthony Price eine Menge Parallelen gibt, vom mäandernden, vieldeutig raunenden Erzählen bis zur barocken Überfigur Dalziel, der ein naher Verwandter von David Audley sein könnte, aber das wäre einen nächsten Text wert.) Vielleicht war, in meiner damaligen Perspektive, Prices Kunst der mehrdeutigen Dialoge, der verblüffenden Wendungen, der undurchdringlich erscheinenden Geheimnisse zu blendend – was natürlich eine hohe Qualität ist – um zu den Kernen vorzudringen. Klar, dass er kein Autor war, der maliziöse Subversion betrieben hat, wie etwa Brian Freemantle mit seinen Charlie-Muffin-Romanen (Komik und Price: Fehlanzeige) und auch nicht die literarische Wucht erreichte wie le Carré oder den ätzenden Pessismus von Gavin Lyall – geschenkt.  Und vielleicht bin ich deswegen heute, jetzt, wo ich diesen Text schreibe, erschrocken, welche Implikationen sich beim binge reading offenbaren. Die Gefahr, diesen Schock nun wiederum mit reaktiven Ungerechtigkeiten zu sublimieren liegt nahe, mea culpa, in diesem Fall. 

Jetzt ist dieser Text kein klassischer Nachruf geworden, de mortuis und so. Anthony Price (16 August 1928 – 30 May 2019) hat mich nach mehr als dreißig Jahren noch einmal in eine Auseinandersetzung getrieben, auch wenn ich mich im Dissens von ihm verabschiedet habe. So viel Ambiguitätstoleranz muss schon sein. Und damit auch Respekt.

Thomas Wörtche

Die meisten bei Ullstein

Die Dr David Audley and Colonel Jack Butler Romane:

1970: The Labyrinth Makers (dt.: Labyrinth, 1986)
1971: The Alamut Ambush (dt.: Die Bombe, 1973; NA 1986 als Hinterhalt)
1972: Colonel Butler’s Wolf (dt.: Colonel Butlers Wolf,1986)
1973: October Men (dt.: Oktobermänner, 1978)
1974: Other Paths to Glory (dt.: Umwege zum Ruhm, 1977)
1975: Our Man in Camelot (dt.: Agent für König Artus, 1980); NA 1987 als Unser Mann in Camelot)
1976: War Game (dt.: Ein Spiel für Profis, 1984)
1978: The ’44 Vintage (dt.: Die Chandos-Falle, 1979)
1979: Tomorrow’s Ghost (dt.: Geister von morgen, 1986)
1980: The Hour of the Donkey (dt.: Aufmarsch der Esel, 1986)
1981: Soldier No More (dt.: Kein Platz für Krieger, 1987)
1982: The Old Vengeful (dt.: Das Vengeful-Komplott, 1987)
1983: Gunner Kelly (dt.: Gunner Kelly, 1987)
1984: Sion Crossing (dt.: Spione am Kreuzweg, 1987)
1985: Here Be Monsters (dt.: Unter Ungeheuern, 1988)
1986: For the Good of the State (dt.: Im Namen der Nation, 1989)
1987: A New Kind of War (dt.: Auf blutigem Boden, 1989)
1988: A Prospect of Vengeance (dt.: Wer zuletzt rächt … ,1991)
1989: The Memory Trap 

non fiction:
1980: The Eyes of the Fleet: A Popular History of Frigates and Frigate Captains, 1793–1815

Ein Interview mit ihm auf Existential Ennui hier und hier.

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