Geschrieben am 1. August 2021 von für Crimemag, CrimeMag August 2021

KickAss von Felix Hofmann: Kleiner Nachtrag zur Fußball-EM

Man staunt, wenn man sieht, daß die totalitäre Regierung eines osteuropäischen Landes völlig frei bestimmen kann, in welchen Farben ein Fußballstadion in einer ganz tollen und großartig weltoffenen deutschen Millionenstadt nicht angestrahlt werden darf, während gleichzeitig diese demokratisch regierte deutsche Millionenstadt öffentlich sagt, man könne dagegen nichts machen, die international abgeschlossenen Sportverträge seien nun mal so.

Was für Verträge sind das, die solche irren Macht- und Befehls-Konstellationen beinhalten bzw. erzeugen? Was für geniale Typen sind das, die solche Verträge formulieren und aufsetzen? Was für Trottel sind das, die solche Verträge unterschreiben? Und was für Ober-Trottel sind das, die sich an solche Verträge tatsächlich halten?

Überall auf der Welt weiß man, daß es Grenzen der Ertragbarkeit und Hinnehmbarkeit von politischen, staatlichen und juristischen Widerlichkeiten gibt. Man nennt das manchmal: etwas darf nicht sittenwidrig sein, und wenn doch, ist ein Vertrag, eine Vereinbarung, ein Abkommen, was auch immer, ungültig, zumindest mit guten Gründen anfechtbar. Daß man einem europäischen Land offen sagt, es trete ganz eindeutig gegen europäische Werte auf, wenn es Menschen- und Minderheitenrechte einschränkt oder gar nicht erst zuläßt, ist garantiert nichtsittenwidrig. Daß dieses Land in seiner Reaktion auf den Vorwurf es schafft, solche berechtige Kritik an seinen staatlichen Maßnahmen durch simpel inszenierte Drohgebärden auszuhebeln und eine öffentlich-symbolische Bekräftigung von geltenden Menschen- und Minderheitenrechten nicht nur im eigenen Land sondern auch in dem der Kritiker zu verhindern — das ist sittenwidrig. Es ist sogar mehr als das, es ist obszön.

Wenn man eine Sache ernst meint, dann tritt man selbstverständlich dafür ein. Genau das tut der totalitäre osteuropäische Staat, dem es äußerst ernst ist, gegen bestimmte Menschenrechte und gegen bestimmte Minderheiten vollkommen unmißverständlich Stellung zu beziehen. Ich sehe allerdings nicht, daß die ganz tolle und großartig weltoffene deutsche Millionenstadt es tatsächlich ebenfalls ernst meint mit dem unmißverständlichen Eintreten für Menschenrechte und für Minderheitenschutzrechte bei sich zuhause. Denn würde sie das tun, dann würde sich auch eine Vertragsverletzung (es handelt sich um einen Vertrag mit einem läppischen Fußball-Interessenverband) inklusive der anschließenden läppischen juristischen Auseinandersetzungen (mit genau diesem läppischen Interessenverband) souverän und unaufgeregt in Kauf nehmen.

Der kleine totalitäre osteuropäische Staat haut der EU seit Jahren eine Vertragsverletzung nach der andern um die Ohren und wird mit diesen kümmerlichen, schlappen Europa-Memmen locker fertig. Aber die ganz tolle und großartig weltoffene deutsche Millionenstadt traut sich nicht, einen albernen Vertrag mit einem affektierten und bornierten Fußball-Interessenverband zu verletzen, aus Angst, man könnte vielleicht einen Rechtsstreit damit riskieren?

Was für armselige Waschlappen sind das, die diese Stadt regieren und verwalten?

Ganz allgemein gesprochen: wenn ein Gesetz sich als falsch herausstellt, dann übertritt man es; wenn eine Regel sich als dumm erweist, dann ignoriert man sie; wenn eine Vorschrift mehr schadet als nützt, dann setzt man sich über sie hinweg; wenn eine Abmachung Ungerechtigkeiten nach sich zieht, dann hört man auf, sich daran zu halten, wenn ein Konsens von bescheuerten Beteiligten vereinbart wurde, dann verzichtet man auf seine Umsetzung. Es gibt Dinge und Verhaltensweisen, die kann man nicht durchgehen lassen, auch dann nicht, wenn der Gegner irgendein Vertragsrecht oder irgendwelche juristischen Spitzfindigkeiten auf seiner Seite hat.

Solche Einsichten sind weit verbreitet auf der Welt, nicht so in Deutschland. Die Deutschen haben ein Unterwürfigkeits-Gen. Das tritt bei so gut wie allen inländischen Obrigkeitsmaßnahmen in Aktion, und sogar die Obrigkeiten selbst praktizieren diese Unterwürfigkeit gegenüber anderen Obrigkeiten, die ein paar Millimeter höher stehen als sie selber.

Es gibt einige Länder auf dieser Welt, die durchgeknallten Fanatikern in die Hände gefallen sind, das weiß man. Und darunter sind auch welche, die ihren Leuten in Stadt und Land mit aller Gewalt irgendwelche angeblich gottgegebenen Körpernormierungen aufzwingen wollen. Ob sich die Bevölkerungen dieser Länder das gefallen lassen oder nicht, ist deren Sache. Die Bevölkerungen und Regierungen anderer Länder muß das nicht besonders interessieren, man kann diese ebenso arroganten wie irrelevanten Fanatiker ja mit ein paar einfachen Maßnahmen aus dem eigenen Leben und der eigenen Politik raushalten. Aber so ist es nicht gelaufen während dieser unsäglichen Fußball-Europameisterschaft.

Man hat sich – zumindest in der ganz tollen und großartig weltoffenen deutschen Millionenstadt – von diesem politischen Grobzeug Vorschriften machen lassen, die den eigenen Überzeugungen strikt zuwiderlaufen. Man hat sich ohne Gegenwehr verhöhnen lassen.

Die Deutschen gehorchen jedem Arsch, der sie anscheißt. Manchmal kriechen sie durch die Scheiße hindurch sogar hinein.

© 2021, Felix Hofmann

Ein überarbeiteter Beitrag aus „Die Frist – Journal für chronisches Denken„, das Felix Hofmann seit Jahresbeginn bei www.getidan.de führt. Seine Texte bei uns hier.

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