
Deutsche Beat- und Undergroundliteratur
Alle lasen Bukowski, viele Kerouac und wahrscheinlich kaum jemand mehr als ein paar Seiten Burroughs. Dass sich Bücher dieser drei Autoren in den 1970er Jahren dennoch nicht selten nebeneinander im WG-Regal fanden, verdankt sich einem kulturellen Phänomen, das der Germanist Simon Sahner in seinem Buch „Gegen die Fußgängermentalität. Deutsche Beat- und Undergroundliteratur“ untersucht.
Die deutsche Rezeption amerikanischer Beat-Literatur beginnt früh. Schon 1959 erscheinen Jack Kerouacs „On the Road“ (Unterwegs) und Allen Ginsburgs „Howl“ (Das Geheul) auf Deutsch, kurze Zeit später gibt es die ersten Lyrikanthologien und ab 1962 folgen William S. Burroughs‘ Romane „Junkie“ und „Naked Lunch“. Charles Bukowskis Kolumnensammlung „Notes of a Dirty Old Man“ (1969) bringt der Melzer Verlag nur ein Jahr nach der Originalausgabe unter dem werbewirksamen Titel „Aufzeichnungen eines Außenseiters“ heraus. Zum Dauerseller aber wird erst die Fischer-Taschenbuchausgabe. Denn spätestens seit 1975 genoss der deutsch-amerikanische Autor, der ziemlich wenig mit den Beat-Poeten gemeinsam hatte, Kultstatus, ein Verdienst seines Übersetzers und späteren Agenten Carl Weissner (1940-2012), der bereits Mitte der 1960er Jahre in seinem Literaturzeitschrift „Klactoveedsedsteen“ einschlägige Vertreter der amerikanischen Beat-Szene veröffentlicht hatte. Wie Weissner das deutsche Image Bukowskis als „literarischer Haudrauf“ nachhaltig prägte, ist eines der aufschlussreichsten Kapitel in Sahners Studie.

In deren Zentrum allerdings steht die Zeitschrift „Gasolin 23“ (1973–1986), von Weissner und seinen Weggefährten, Jörg Fauser (1944-1987) und Jürgen Ploog (1935-2020) als Statement gegen den etablierten, der ästhetischen Korruption verdächtigten Literaturbetrieb gegründet. Die „neue amerikanische Szene“, von der vier Jahre zuvor in der von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla herausgegebenen Anthologie „ACID“ die Rede gewesen war, sollte, nebst ihren hiesigen Adepten, in „Gasolin 23“ eine deutsche Heimstatt finden.
Dass zwischen der avantgardistischen Montageprosa eines William S. Burroughs und Bukowskis schnoddrigen Alltagsgedichten ein himmelweiter Unterschied bestand, interessierte wenig, entscheidender als die künstlerische Produktion schien der oppositionelle Habitus. Damit war „Gasolin 23“ nicht allein.

Literaturzeitschriften wie „Nachtmaschine“ (Basel) „Deutschheft“ (Kaufbeuren) und „Lichtspuren“ (Bern) setzten ebenfalls deutliche Signale. Dass sich die Hefte gemeinsam mit Publikationen zur ökologischen Landwirtschaft, gefühligen Lyrikbänden und esoterischen Programmschriften im Katalog des Literarischen Infozentrums wiederfanden, das der unermüdliche Josef Wintjes (1947-1995) in Bottrop betrieb, ist eine Ironie deutscher Alternativkultur. Und mit der war es spätestens 1986, als die ebenso populäre wie gern verspottete Szenepoetin Kristiane Allert-Wybranietz („Verschenktexte“) von einem Kleinverlag zu Heyne wechselte, vorbei.
Dass im selben Jahr die letzte Ausgabe von „Gasolin 23“ erschien, mag man für Zufall halten. Kulturhistorisch signifikant ist es allemal. Und das Ende eines spannenden, bislang wenig erforschten Kapitels in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur. Simon Sahners anregendes Büchlein, das aus einer Dissertation hervorging, dürfte erst der Anfang der wissenschaftlichen Aufarbeitung sein.
Simon Sahner: Gegen die Fußgängermentalität. Deutsche Beat- und Undergroundliteratur. edition text + kritik, München 2023. 139 Seiten, 24 Euro.
Joachim Feldmann gründete 1977 zusammen mit Freunden die Literaturzeitschrift „Am Erker“, die natürlich auch über das Literarische Infozentrum zu beziehen war. Dass in deren dritter Ausgabe ein parodistisch gemeinter Text mit dem Titel „Heizöl 51“ erschien, lässt sich vielfältig deuten.