Geschrieben am 1. Juni 2019 von für Crimemag, CrimeMAg Juni 2019

Iris Tscharf: Tess Sharpe „River of Violence“

Wenn von Männern unterschätzte Frauen die Macht übernehmen

Von Iris Tscharf

So langsam kriechen sie heraus. Die Frauen, die in Krimis und Thrillern meist nur die Opferrolle überhaben – oder vielleicht mal als Ermittlerin agieren, die übernehmen jetzt auch schon mal ganze Drogenkartelle wie in „Lola“ von Melissa Scrivner (Suhrkamp Verlag, 2018). Auch Harley, das kleine McKenna-Mädchen aus „River of Violence“ von Tess Sharpe (dtv, 2019), zieht inzwischen die Strippen eines Drogen- und Waffenschmuggelclans. Nur weiß das noch niemand, was auch gut ist, denn Harley schlägt einen ganz anderen Weg ein als ihr Vater, der längst im Sterben liegt.

Keine Angst hat man um das Mädchen, das mittlerweile 22 ist. Harley wurde von ihrem Vater darauf abgerichtet, in dieser Gangsterwelt zu überleben. „Ich bin acht, als ich zum ersten Mal erlebe, wie mein Daddy einen Mann umbringt.“, erzählt sie. Sie hat mitangesehen, wie ihre Mutter in Rauch aufging, weil die Fehde zwischen den McKennas und den Springfields buchstäblich explodierte. „Leben gegen Leben“so lautet das erste Gebot der McKenna-Erziehung. Und für die Mutter ist noch kein feindliches Blut geflossen, denn Springfield ist nach der Haft untergetaucht.

Tess Sharpe legt mit „River of Violence“ ihr Romandebüt hin und stülpt das Machtgefüge gleich mal um. Sie lässt die Frauen raus aus der Opferrolle treten, denn nicht nur Harley behauptet sich zwischen all den Drogen kochenden Dealern und frauenprügelnden Schlägern, sondern auch die misshandelten Frauen setzen sich gegen ihre gewalttätigen Männer zur Wehr. Ja, Sharpe selbst drängt sich mit diesem Thriller in eine Männerdomäne, denn die meisten Kartellthriller stammten bisher fast ausschließlich aus männlichen Händen.

Das US-Hardcover

„Ich bin zwölf, als ich zum ersten Mal auf einen Menschen ziele.“ Die Ich-Erzählerin wechselt die Zeiten, so dass der Leser erst nach und nach ein Gesamtbild der Entwicklung von der Hauptfigur und dem Erziehungsdrill bekommt. In ihrem Herzen prallen zwei Welten aufeinander, die erbarmungslose Welt eines Patriarchen und die hilfsbereite Seite ihrer mütterlichen Wurzeln. Doch nach dem Tod ihrer Mutter steckt Harley fest in der Welt ihres Vaters, in der das Crystal-Meth-Geschäft boomt. Immer mehr merkt sie, dass sie genug von dieser Welt hat, in die sie hineingeboren wurde, die geprägt ist von blutigen männlichen Händen und finsteren Herzen. Als dann ihr Vater auf dem Sterbebett seinen letzten Wunsch äußert, hat Harley längst beschlossen, diese zerstörerische Welt zu ändern. Doch dazu muss sie selbst zerstörerisch vorgehen, und das bald, denn der Tod des Patriarchen würde einen Kartellkrieg heraufbeschwören. Sie sieht nur einen Ausweg: „… dass es nur einen Weg in die Freiheit gibt: nämlich alles in Schutt und Asche zu legen.“

Sharpe zeigt in diesem Thriller eine junge Frau, die trotz Drill die Welt ein bisschen besser machen möchte. Auch wenn das für sie heißt, gegen die Prinzipien ihres eigenen Familienclans zu handeln und sich als Frau gegen eine ganze Horde machtgeiler, gewalttätiger Männer zu stellen. Der erste Schritt in eine gewaltfreie Welt funktioniert wenigstens fiktional beeindruckend. Gerne mehr davon.

Iris Tscharf

  • Tess Sharpe. River of Violence (Barbed Wire Heart, 2018). Aus dem Englischen von Beate Schäfer. dtv bold, München 2019, , 512 Seiten, 14,90 Euro.

Iris Tscharfbei CrimeMag hierZu ihrem Schurkenbloghier.

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