Geschrieben am 1. Juli 2021 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2021

G’schichten aus dem Pinienwald

Hazel Rosenstrauch über Lutz Hachmeisters „Geschichte der Côte d’Azur“

Die Côte d’Azur ist bekanntlich nicht nur schön, sie ist auch geschichtsträchtig. Deshalb hatte ich mir dieses Buch besorgt und wohlwollend zu lesen begonnen. Lutz Hachmeister, u.a. ausgewiesen als Filmemacher, konzentriert sich auf den Ort Juan-les-Pins, greift allerdings weit darüber hinaus auf die umliegenden Städte, Menton, Nizza, Monaco, Cannes, und vor allem greift er tief in die Geschichte von Hotelbesitzern, Stars, Architekten, Künstlern, Aristokraten, Neurotikern, Alkoholikern, Selbstmördern und Großkotzen aller Nationen. 

Mir sind die Schönen und Reichen, die Mafiosi und Diktatoren, die an dieser Küste spekulieren, posieren und prassen, auch die Söhne arabischer und afrikanischer Potentaten und “ihre hochgetunten Lamborghinis und Bugattis” ziemlich wurscht. Ich war schon mehrmals in Antibes und umgebung, aber nie in einem Spielcasino. Wo ich gebadet habe, sah ich keine tollen Männer „mit gebräuntem nackten Oberkörper posiert“ wie dazumal Picasso oder Cole Porter. Hachmeister erzählt, wer sich umgebracht hat, wer an Magengeschwüren gestorben ist oder an den Spätfolgen einer Geschlechtskrankheit gelitten hat. 

Ich war noch nicht weit in diese Szenen eingetaucht, als eine Mail der Presseabteilung des Verlags eintrudelte und mich mit den Stimmen prominenter Rezensenten versorgte. Kann ich nun, wo ich Sätze voll des Lobs von geschätzten Autoren meinungsbildender Medien lese, noch bei meinem Eindruck bleiben, dass es in diesem hochgelobten Buch um gemischten Tratsch mit Vorliebe für Betrüger, Mafiosi und Affairen geht? Ist diese Zusendung der Zitate noch Information oder schon Manipulation? Mein kritischer Geist wehrt sich selbstverständlich gegen jegliche Beeinflussung, also lese ich weiter über den ersten und wichtigsten Bauherrn des “Hotel Provençal”, Frank Jay Gould, “eine sinistre Figur, der größte Schurke seiner Zeit”, er betrog seine Freunde, “wurde fett vom Bankrott der Aktionäre” und “erlangte mit Lügen und Bestechung eine Macht, die ihn über das Gesetz erhob”. Das noble Hotel ist eine Ruine, die Pinien wurden großteils abgeholzt. 

In der Danksagung auf Seite 211 – ich habe trotz Missvergnügens bis zum Schluss durchgehalten – lese ich, dass die Kapitel über die Zentralfigur Frank Jay Gould von einem Christian Wagener (HMT Produktion Berlin) geschrieben wurden. Woraus ich schließe, dass dieses Buch mal ein Film war, und hier Material aus den Recherchen verwertet wurden – das mag die Liebe zum Bunten und Schrillen erklären. 

Berühmt wurde die Küste durch Schriftsteller wie Hemingway oder Fitzgerald, und um auch den Stil dieses Werks zu würdigen, goutiere ich die hübsche Formulierung über die Konkurrenz zwischen den “beiden Anwärtern auf Platz eins in der schriftstellerischen Champions League” und über deren “aufmerksamkeitsökonomisches Verlangen, der stilistisch Beste zu sein, den größten literarischen Coup zu landen”. Hachmeister scheut sich nicht, saloppe Urteile über Berühmtheiten wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir zu fällen, die, “nicht mehr ganz jung” auf der Suche “nach intellektuell-romancierhafter Prominenz” vor dem Krieg aufkreuzen, oder über den Nobelpreisträger von 2014, Patrick Modiano, dessen Romane im Wesentlichen darin bestehen “lineare Geschichten in verschachtelte Erinnerungsmuster aufzulösen” – man könne das “auf die Dauer als etwas kaltes, mathematisch-konstruiertes Romanprinzip empfinden”. 

Ich lese von dem “zum mystischen Katholizismus übergewechselten Juden Sachs”, dem “jüdischen Premier Leon Blum”, wie ein paar Seiten später dem “weißrussischen Juden Mandel Szolnikoff, der in enger Kooperation mit der SS und dem SD zahlreiche Nobelhotels in Monaco und an der Côte aufgekauft hat. Die Formulierung “der Jude XY” erinnert mich, ach, was war das noch mal? 

Wir sind in der Nazi-Zeit, in der bekanntlich viele deutsche, französische und spanische Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle und gewöhnliche Nazigegner in der noch nicht von Deutschen besetzten Zone Zuflucht gefunden hatten. Hachmeister zitiert lange Passagen aus “entlegenen autobiographischen Erinnerungen” samt obskuren Details. Irgendwo steht, dass nur Kenner der Exilliteratur sich dafür interessieren. Weiter geht es mit Jachthäfen, Familienzwist der Goulds und “Elitepromis vom Format eines Ali Khan” und den nun nicht mehr aus dem Nahen Osten sondern auch aus China kommenden schwerreichen Besitzern. 

Aktueller Bezug ist der Verweis auf die vielen rechtsradikalen Wähler (wen wundert’s?). 

Was hier so alles zusammengesammelt wurde erinnert mich an die Wunderkammern des Barock, als Raritäten und Kuriositäten bunt zusammengewürfelt wurden, um damit anzugeben. Für die Wunderkammer als Flachware muss man kein Fürst sein. 

Ich lebe offenkundig in einer anderen Blase, in der Geschichten über das Exil tatsächlich mehr interessieren als die Information, dass Johnny Halliday seinen Führerschein dort erworben hat. Weshalb ich dieses Buch nicht angemessen würdigen kann. 

Lutz Hachmeister: Hotel Provençal. Eine Geschichte der Côte d’Azur. C. Bertelsmann, München 2021. Hardcover, 36 s/w Abbildungen, 240 Seiten, 22 Euro.

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