Geschrieben am 15. September 2016 von für Comic, Crimemag

Graphic Novel: Sebastian Rether: Foc – Feuer

foc_feuer-168723Weniger ist hier deutlich mehr

Alf Mayer gibt einen Hinweis auf eine bibliophil gemachte, im besten Sinne minimalistische Graphic Novel.

Wenn Totgesagte länger leben, ist das manchmal eine richtig große Freude. Mit der Büchergilde Gutenberg ist das so. Immer mal wieder. Jetzt gerade mit gleich zweien ihrer Buchprojekte. Das eine ist die hier besprochene Graphic Novel „Foc – Feuer“ von Sebastian Rether, das andere die demnächst erscheinende Wiederauflage von Karel Capeks Klassiker der Absurden Moderne, „Krieg der Molche“, illustriert von Hans Ticha.

Dem 1924 gegründeten traditionsreichen Unternehmen mit der damaligen Generalaufgabe „Arbeiterbildung“ – von Hitler schon einmal beinahe vernichtet – wäre es 1998 im Sanierungswahn der sich mit allerlei Geschäften überhobenen Gewerkschaftsholding BGAG beinahe endgültig an den Kragen gegangen. Die ewige Schande wurde vermieden durch eine Herauslösung aus dem Gewerkschaftsgeflecht und den Verkauf an fünf vormalige Mitarbeiter unter der Leitung des heutigen Geschäftsführers Mario Früh.

Als „Kulturinstitution der Werktätigen“ hatte die Büchergilde Gutenberg immer schon sozial engagierte Texte moderner Autoren wie B. Traven, Oskar Maria Graf, Jack London und Mark Twain im Programm. Antikriegsliteratur hatte hier ein Haus. Helmut Dreßler, der Sohn des Gründers, nahm nach 1945 den Faden wieder auf. Einer seiner Freunde war Karl Anders, Gründer des Nest-Verlages und Verleger der Krähen-Bücher, wo Hammett, Chandler und Ambler erstmals einem deutschen Publikum präsentiert wurden. Der Krimi-Pionier Karl Anders (der unter anderem 1953 Fritz Wölckens bahnbrechende Untersuchung „Der literarische Mord“ veröffentlichte, 2015 wiederaufgelegt bei CulturBooks) machte seinen Einfluss geltend, dass die Büchergilde bald auch schon schöne Ausgaben guter Kriminalromane brachte.

foc-8-unspecifiedGroße buchhandwerkliche und buchkünstlerische Tradition

Es gibt heute immer noch viele Büchergilde-Partnerbuchhandlungen in Gewerkschaftshäusern, aber auf die Gewerkschaften alleine muss sich die Büchergilde nicht mehr verlassen. Dafür sorgt auch der  2002 gegründete, eigenständige Verlag Edition Büchergilde. Dafür sorgt eine tolle Herstellerin und Gestalterin: Cosima Schneider. Dafür sorgen tolle Bücher. Wie kaum ein anderer Verlag in Deutschland hat die Büchergilde eine große buchhandwerkliche und buchkünstlerische Tradition, dies durchgängig. Bis in die Gegenwart hinein zeugen davon zahlreiche Prämierungen und Auszeichnungen für Buchgestaltung.

Ein großer Kandidat für solch einen Preis ist das ziemlich einzigartige „Foc – Feuer“ von Sebastian Rether. Es kommt so selbstbewusst daher wie sein Verlag – nämlich anders. Zuallererst ist dieses stattliche Buch eine haptische und optische Überraschung. Es ist weitgehend weiß. Sehr weiß. Dazu schwarze Bindung und ein ultradünnes schwarzes Lesebändchen. Der Umschlag hat eine raue, an zusammengeknülltes Seidenpapier erinnernde Struktur. Innen dann radikaler Minimalimus. Viel Mut zur leeren und hier so umso aussagekräftigeren weißen Fläche. Dies ist ein Buch, in dem die Gedanken und Empfindungen seiner Leser viel Platz haben.
Mit der Erinnerung, gar den persönlichen Erinnerungen an den Krieg, ist es so eine Sache. Das gibt es viel Leerraum, viel Ausgespartes. Und im Kollektiven dann vieles, was wir schon wissen, wieder und wieder gesehen haben. Der Hamburger Künstler und Illustrator Sebastian Rether (Jahrgang 1985), der an der  Hochschule Konstanz Kommunikationsdesign und an der HAW Hamburg Illustration studierte, ist mit den Kriegserinnerungen seines Großvaters einen eigenen Weg gegangen. „Foc – Feuer“ entstand zunächst als Unikat im Rahmen seines Bachelor Abschlusses. Die Auflage betrug sechs Exemplare. 2011 erhielt die Arbeit den Designpreis der Hochschule Konstanz, 2012 wurde sie auf die Shortlist des Förderpreises für junge Buchgestaltung der Stiftung Buchkunst gewählt. Dann holte Cosima Schneider das Projekt zur edition Büchergilde – und nun ist es für uns alle da. Gezeichnet ist die Geschichte mit einem Zeichentablett (Vektoren in Illustrator, konsequent 0,25 pt).

foc-10-unspecified

foc-1-unspecified

foc-2-unspecified

Die Rekruten sind zu dressierende Hunde

„Foc – Feuer“ ist eine grafische Geschichte, heißt es im Vorwort, die sich mit den Kriegsjahren von 1939 bis 1945 auseinandersetzt. Sie erzählt die Erlebnisse eines jungen Soldaten aus Siebenbürgen, Rumänien. Das Inhaltsverzeichnis besteht aus dem gezeichneten Umriss Europas. Die Seitenzahlen sind von ganz östlich (der damaligen deutschen Ostfront) bis zur Bretagne (der Westfront) und Norditalien verstreut, sie sind die Stationen jener Kriegsodyssee, die Sebastian Rethers Großvater durchlebte, der als junger Soldat am 1. März 1939 den Wehrdienst in der rumänischen Armee trat und dann in Hitlers Kriegsmaschinerie geriet.
Schon mit Kapitel 2 (Rekrutenzeit) transformiert sich diese Geschichte in ein allgemeingültiges Narrativ über die Verheerungen des Krieges. Wir sehen keine gezeichneten Menschen, der Krieg ist eine „Farm der Tiere“ im Orwellschen Sinne. Kampftruppen sind Schildkröten, die Rekruten zu dressierende Hunde, Soldaten sind Schweine oder Pferde oder andere Tiere. Alle sind sie gequälte oder quälende Kreatur. Krieg eben. Aber so, dass man wieder hinschaut. So, dass minimalste Striche auf einer Doppelseite genügen, um einen Raum für Reflexion zu schaffen.

Es ist ein reiches und wirkungsmächtiges Buch. Bravourös gezeichnet und gemacht. Klar steht es in der Tradition großer Anti-Kriegs-Comics, aber ehrlich gesagt hat es ästhetisch wenig bis nichts mit den in manchen Rezensionen herbeizitierten Großwerken des Genres zu tun, mit dem titelgleichen „Feuer“ (Fuochi, 1986) etwa von Manotti, oder mit „Elender Krieg von Jean-Pierre Verney und Jacques Tardi.Sebastian. Auch nicht mit Art Spiegelmans „Maus“. Rether steht auf eigenen Füßen. Man darf gespannt sein, was er als nächstes vorlegen wird.

locarno-frank-wisbar-hunde-wollt-ihr-ewig-leben-dif

Nur eine einzige Panzerattrappe auf einem Traktor

Am ehesten gibt es vielleicht eine Nähe mit einem Film, nämlich Frank Wisbars Stalingrad-Drama „Hunde, wollt ihr ewig leben“ von 1959, der mit bescheidenen Mitteln in und um Göttingen entstand. Die Außenaufnahmen waren weitgehend montiertes Archivmaterial, die Kampfszenen in der Stadt, bei denen scharf geschossen wurde, entstanden im Studio. Es gab lediglich eine einzige, auf einen Traktor montierte Panzerattrappe – und authentische Kriegsversehrte als Statisten. Um den dokumentarischen Charakter zu betonen, hatte der Film keinen Abspann. Stattdessen wurden  nach der Aufführung Zettel mit den Namen von Darstellern und Team verteilt.

Bei „Foc – Feuer“ steht darauf ganz oben die Buchgestalterin und Herstellerin Cosima Schneider, die dem Werk als Geburtshelferin beigestanden ist. Bei Eichborn war sie einmal für rund 50 Bände der prachtvollen Reihe „Die Andere Bibliothek“ verantwortlich. Bei der Büchergilde holte sie die Produktion von China nach Deutschland zurück und gab und gibt der Gestaltung viel frischen Wind. „Ich finde, das Buch muss wieder viel mehr dürfen“, sagte sie einmal in einem Porträt. „Foc – Feuer“ nimmt das beim Wort. Und traut sich was.

PS. Ein ungewöhnliches Buch, für das Cosima Schneider als Herausgeberin verantwortlich zeichnet, ist „Shangri-La. Das Museum hinter der Brücke/ Museo dopo il ponte“ aus dem modo Verlag, 2015. Ein Bildessay über ein Museum mit 2,7 Millionen Objekten der Alltagskultur, in einem kleinen Tal des Piemonts versteckt. Weitere Informationen.

Alf Mayer

Sebastian Rether: Foc – Feuer. Graphic Novel. Edition Büchergilde, Frankfurt 2016. Fester Einband mit strukturiertem Papier, extra schmales Lesebändchen, Format 17 x 24 cm. 364 Seiten, 24,95 Euro.
Verlagsinformationen. Internetseite von Sebastian Rether.

Buch-Fotos: (c) Martin Mascheski – mit herzlichem Dank.

Tags : , , ,