Geschrieben am 10. Januar 2019 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2019

Global Crime – Litprom-Literaturtage 25.-26.1.2019 in Frankfurt

litprom2019

Eine hochkarätige aktuelle Tagung in Frankfurt

Kriminalliteratur ist die meistgelesene Literatur der Welt, auf manchen Märkten macht sie bis zu 30% der Gesamtbelletristik aus. Kriminalität, Verbrechen und Gewalt sind konstitutiv für alle Gesellschaften und daher auch in allen Literaturen dieses Planeten zu finden. Deshalb widmet Litprom die Literaturtage 2019 dem Thema »Global Crime«. In den Blick gerückt werden soll dabei die Variabilität des Genres, sein »globaler Code« und sein kommunikatives Potential. Kriminalliteratur bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion, entlang jener Kraftfelder, die vom Realen ins Fiktive wirken und zuweilen auch in die Gegenrichtung. „Global Crime: Kriminalliteratur als globaler Code“ ist das Thema der Litprom-Literaturtage am 25. und 26. Januar 2019 im Literaturhaus Frankfurt. Thomas Wörtche hat das Programm kuratiert, die Besetzung ist hochkarätig:

Max Annas DEUTSCHLAND
Marcelo Figueras ARGENTINIEN
Candice Fox AUSTRALIEN
Chan Ho-kei HONGKONG
Jeong Yu-Jeong SÜDKOREA
Merle Kröger DEUTSCHLAND
Patrícia Melo BRASILIEN
Deon Meyer SÜDAFRIKA
Mercedes Rosende URUGUAY
Gary Victor HAITI

Ingrid El Sigal liest vor, es moderieren Sonja Hartl, Nele Hoffmann, Alf Mayer, Ulrich Noller, Thomas Wörtche. Yun-Chu Cho, Marianne Crux, Jutta Himmelreich, Heike Kirscher, Christin Kleinhenz, Isabel Meyke, Elisabeth Müller und Marcos Padotzke übersetzen. (Zu Programm und Anmeldung hier.)

literaturtage_webFünf Kontinente – ein literarischer Code?

Ein Streifzug von Thomas Wörtche

Gewalt und Verbrechen sind weltweite Themen von Literatur. Was als literarisches Sprachspiel angefangen hat (Poe), als originelle Zeichenoperationen, hat sich spätestens seit Dashiell Hammett zum probaten Instrument entwickelt, die „bösen Fragen“ an die jeweiligen Gesellschaften zu stellen – literarisch, ästhetisch, fiktional.

Es geht nicht um Abbildung (das erledigen andere, multimediale Narrative besser), sondern darum, mit literarischen Mitteln auf gesellschaftliche Dispositionen zu reagieren. Mit literarischen Mitteln indes, die die Erzählkonvention „Kriminalliteratur“ über nunmehr fast 150 Jahre entwickelt  und damit eine Art universalen Code etabliert hat, der weltweit für ein breites Lesepublikum (und für das Publikum der audiovisuellen Spinnoffs dieser Narrative, also Film, Serien, Graphic Novels etc.) verständlich und kommunikabel ist.

Trends und Entwicklungen brauchen Zeit – was in den 1980/90ern angefangen hat, die globale Vernetzung von Kriminalliteratur außerhalb nationalliterarischer Parameter und systematisiert durch forcierende Strukturen wie das Festival Semana Negra in Spanien oder die metro-Reihe im Schweizer Unionsverlag -, ist heute selbstverständlich geworden: Die Wahrnehmung von Kriminalliteratur als globales Phänomen. Auch wenn der oberflächliche Eindruck entstehen mag, man könne das Genre nationalliterarisch sortieren: Der deutschsprachige Kriminalroman, der nordische Kriminalroman, der schottische/irische Kriminalroman etc. Natürlich braucht (fast) jeder Kriminalroman sein spezifisches Setting, die local knowledge des Autors, aber daraus lassen sich keine aussagekräftigen Typologien konstruieren. Polizeikorruption, um nur ein Beispiel zu nennen, ist ein Thema, das für Südafrika (Mike Nicol), Australien (Peter Temple, Garry Disher, David Whish-Wilson) oder Lateinamerika genauso virulent ist wie für die USA, die Türkei (Celil Oker) Italien oder Frankreich. Abgesehen davon, dass sich darin ein transnationales Vertrauensdefizit in staatliche Ordnungsvorstellungen artikuliert (die deutsche, nordische und angelsächsische Polizeifrommheit in vielen Narrativen ist ein spezielles Thema) – interessant sind dabei die Bedeutungsschichten, die unter der resp. unter allen Plot-Oberfläche(n) liegen und den Reiz des Genres ausmachen.

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Jeong Yu-jeong (Foto: Unionsverlag)

Die „Literaturtage“ der LitProm werden im Januar 2019 in Frankfurt unter dem Titel „Global Crime“ versuchen, eine möglichst differenzierte Momentaufnahme dieses Phänomens sichtbar werden zu lassen.  Die eingeladenen Autorinnen und Autoren könnten unterschiedlicher nicht sein – Jeong Yu-jeong aus Korea, Chan Ho-Kei aus Hongkong, Candice Fox aus Australien, Marcelo Figueras aus Argentinien, Patrícia Melo aus Brasilien, Mercedes Rosende aus Uruguay, Deon Meyer aus Südafrika, Gary Victor aus Haiti sowie Merle Köger und Max Annas aus Deutschland. Alle Genannten sind – natürlich – den verschiedensten Erzählkonventionen des Genres verpflichtet, aber ihre Werke sind gleichzeitig mehrfach codiert. Die im Verlauf der Geschichte des Genres ausdifferenzierten Erzählkonventionen bilden dabei eineArt „Quellcode“, der sich von seinen angelsächsisch-französischen Mustern (obwohl als Folie immer noch vorhanden) derart emanzipiert hat, dass sein kommunikatives Potenzial die jeweils probate Ästhetik in unendlichen Variationen zulässt, ohne in die Falle des „Immergleichen“ zu geraten.

Zum Beispiel Chan Ho-Kei. Sein Roman „Das Auge von Hongkong“ hat eine schon fast parodistische Grundkonstellation. Er übernimmt das anscheinend rationale Muster der Deduktion (seit Poe und Conan Doyle ein topisches Verfahren), komisiert es, in dem er einen schon gestorbenen Detektiv deduktive Kunststückchen vollbringen lässt, besteht aber trotzdem auf der Praktikabilität der Methode, um „Aufklärung“ in den verwundenen und verschlungenenHongkonger Verhältnissen (das Wirken der Triaden, also des organisierten Verbrechens, das als systemübergreifend – von der Kronkolonie bis zur Sonderverwaltungszone – diagnostiziert wird) als erzählerisches Prinzip  obwalten zu lassen.  Auch wenn die geografische und kulturelle Distanz zwischen Hongkong und Haiti erheblich ist – die Geschichten, die Gary Victor um seinen versoffenen und gewaltaffinen Polizisten, Inspektor Dieuswalwe Azémar, erzählt, weisen erstaunliche strukturelle Parallelen zu Chan Ho-Kei auf. Auch Victor überzeichnet komisch seinen Helden, stattet seine Bücher mit einer Menge gebrochener Elemente (Suff und Halluzinationen, Surreales und Groteskes) aus, besteht aber auch auf der „Aufklärung“ in einer Gemengelage aus Korruption, politischem Machtmissbrauch und Chaos. Wobei das Insistieren auf „Aufklärung“ als manchmal utopisches Moment, nicht mit dem Glauben an grundsätzliche „Aufklärbarkeit“, gar „Besiegbarkeit“ von Gewalt und Verbrechen verwechselt werden darf.

Überhaupt ist dieses dialektische Verhältnis von Aufklärung und prinzipieller Aufklärbarkeit ein Subtext von „Global Crime“ und gleichzeitig dort, wo diese Dialektik nicht stattfindet, ein belastbares Trivialitätskriterium. Das gilt für die globalen „Industrieformate“ (Serial Killer, Forensik etc.) mit ihrem verordneten Glaube an die Besiegbarkeit des (metaphysisch gedachten) „Bösen“ genauso, wie für das geschichtsphilosophisch ebenso starre Prinzip des „Noir“, der das Prinzip Hoffnung auf allen Ebenen desavouiert.

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Mercedes Rosende (Foto: Unionsverlag)

Für die Sorte Kriminalliteratur, die andere Interessen hat als reinen Kommerz, eröffnen sich allerdings ganz andere Möglichkeiten, die mit ihrer oben angesprochenen Mehrfachcodierung zu tun haben:  Die lateinamerikanischen Autorinnen Claudia Piñeiro, Patrícia Melo oder Mercedes Rosende betten feministische Aspekte dergestalt in ihre Kriminalromane ein, dass die Texte dennoch nicht als programmatisch feministische Traktate denunzierbar sind. Und damit wesentlich wirkmächtiger. In Rosendes Roman „Krokodilstränen“ etwa sind Frauen das Agens der Handlung, als Täterin und als Ermittlerin gleichermaßen, ausgestattet mit inneren Plausibilitäten, die nicht allein als „Anti-Programm“ zu männlichen Genderklischees gelesen werden können. Ebenso geschickt  dekonstruiert Patrícia Melo das Männerensemble ihrer diversen Romane – mit leisen Spott und einem kalten Blick auf die Lächerlichkeiten einer Muchomacho-Welt, die allerdings nicht mehr als hermetische Gegenbildlichkeiten, die gestürmt werden müssen, herhalten, sondern schon a priori als „erledigte Fälle“ gehandhabt werden. Natürlich ist das ein Reflex auf eine misogyne, von sexueller Gewalt gegen Frauen geschüttelten Gesellschaft, aber auch eine literarisch inszenierte Abwehr von „Opfer“-Klischees. Und somit, im globalen Vergleich, parallelisierbar mit Candice Fox´s Täter/Opfer-Zwitterwesen: Eden, die Heldin der sog. „Hades-Trilogie“ verwandelt ihren „Opfer-Status“ (den ihre Kindheit verursacht hat) in aktiven Vigilantismus, sie wird zur Täterin im klassischen Sinn, ohne die ebenfalls klassischen Moralkonventionen mitzuschleppen. Amanda Pharell, Fox´ andere Hauptfigur, ist zur Mörderin geworden, eine von ihr akzeptierte Rolle (auch ihre Gefängnisstrafe versteht sie nicht als „Opfer“), auch sie hat reaktiv getötet, als sie selbst zum Opfer werden sollte. Analog etwa zu Lisa Sandlins (USA) Hauptfigur Delpha Wade in „Ein Job für Delpha“. Solche Analogien, die man schwerlich wegen ihrer geographischen, ästhetischen und biographischen Distanz als „intertextuell“ oder „dialogisch“ beschreiben kann, ergeben dennoch ein globales Geflecht an Bezügen, das zu beobachten hochspannend ist. Dass nebenbei alle genannten Frauen mit ihren Texten männliche Domänen und damit auch literaturhistorische Traditionen dekonstruieren, ist evident: Die drei Lateinamerikanerinnen bestreiten, ohne es je explizit sagen zu müssen oder zu wollen, die Dominanz des Überparadigmas Jorge Luis Borges – einfach by doing. Ebenfalls by doing verdreht Lisa Sandlin die Geschlechterrollen des klassischen Privatdetektivromans und Candice Fox montiert Topoi (Killer, Cops, Gangster) zu neuen Relationen untereinander. Alle verlassen herkömmliche Diskurse und eröffnen dadurch neue, wohlgemerkt mit literarischen Mitteln. Und natürlich könnte man dieses in der Tat globale Dreieck zwischen Lateinamerika, USA und Australien noch mit anderen Beispielen aus anderen Weltgegenden anreichern.

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Patricia Melo

Global ist auch die Akzentuierung des Politischen im Kriminalroman zu beobachten. Nicht dass der Kriminalroman nicht schon immer und per se politisch war (wegen seiner grundsätzlich intrinsischen Ordnungsvorstellungen), aber die rezeptive Fixierung auf andere Elemente wie die Protagonisten haben den Blick auf die Texte oft im Eindimensionalen gehalten: Hammett galt lange wegen seiner Detektivfiguren und nicht wegen seiner radikalen Kapitalismuskritik eher als ein Vertreter der hardboiled school unter anderen, was ihm nur sehr partiell gerecht wird. Das Politische ist heute expliziter geworden: Ob bei Yasmina Khadra aus Algerien, James Grady aus den USA, Max Annas und Merle Kröger aus Deutschland, Dominique Manotti und Jerome Leroy aus Frankreich, Deon Meyer aus Südafrika oder Marcelo Figueras aus Argentinien, genauso wie bei Ryū Murakami aus Japan – sie alle haben die Enklaven des „Polit-Thrillers“ à  la Ambler und Le Carré und des französischen Néopolar verlassen, und ihre politischen Themen in neue Erzählformen, die nicht selten Hybride sind, verankert. Deon Meyers Polizeiromane aus Südafrika sind, wie die seiner Kollegen Andrew Brown und Mike Nicol, zudem ohne ihre historische Dimension so wenig zu verstehen, wie Marcelo Figueras´ Auseinandersetzung mit der südamerikanischen Schriftsteller-Ikone Rodolfo Walsh („Das schwarze Herz des Verbrechens“), die zudem eigensinnig auf der Linie zwischen Fiction und Non-Fiction tanzt wie Merle Krögers Mittelmeer-Drama „Havarie“ und Dominique Manottis minimalistische „Wirtschaftskrimis“, ohne dass dabei der konventionelle Begriff des „True Crime“ geltend gemacht werden könnte.  Ähnlich politisch aufgeladen sind weltweit utopisch/dystopische Entwürfe, Max Annas´ „Finsterwalde“ ist so ein Fall, Ryū Murakamis „In Liebe, Dein Vaterland“, mit positiveren Vorzeichen Jérôme Leroys „Die Verdunkelten“. Auch hier ist eine Spannweite von Asien bis Europa zu beobachten, die man jederzeit auf andere Kontinente ausdehnen kann.

Verfolgt man diese hier nur beispielhaft und fragmentarisch dargestellten Bezüge quer über die Kontinente, dann rücken auch Weltgegenden in den Fokus, in deren autochthonen literarischen Traditionen Kriminalromane keine große Rolle gespielt haben, insbesondere Asien. Japan hat seit Edogawa Rampo (1894-1965) noch die längste Tradition und ist mit Autorinnen und Autoren wie Masako Togawa, Keigo Higashino, Fuminori Nakamura, Iori Fujiwara oder Hideo Yokoyama etc.  hierzulande schon beinahe etabliert, aber es entwickeln eben auch Länder wie Süd-Korea eine eigene Kultur des Kriminalromans, der global funktioniert, ohne einer globalen Formel zu folgen – Jeong Yu-jeongs Roman „Sieben Jahre Nacht“, der keinem bekannten Format folgt, ist ein solcher Fall, der auch die nötige Kraft haben könnte, um als traditionsbegründender Text zu funktionieren. Ein schneller Blick nach Indien oder Pakistan, nach Ägypten oder Subsahara-Afrika zeigt ebenfalls alle Anzeichen aufblühender kriminalliterarischen Kulturen, die sich vom Re-Writing traditionell westlicher Muster entfernen zu scheinen, aber einen erheblichen Anspruch auf globale Gültigkeit haben.

Kein Wunder, Gewalt und Verbrechen bestimmen, wider allem statistischen und grundsätzlich wünschenswertem Optimismus von Steven Pinker, die Lebensrealität sehr vieler Menschen auf diesem Planeten, mal mehr oder weniger massiv, mal mehr oder weniger subtil. Die Skandalisierung als „Abweichung“ und die Stilisierung als „cause célèbre“ funktionieren allzu offensichtlich nicht mehr (das schaffen nur Ideologen) – diese Verhältnisse schreiben sich notwendigerweise in die globale Literaturproduktion ein. Dabei verändern sich, ebenso notwendigerweise, auch die tradierten Genre-Konventionen, an denen festzuhalten als ob sie in Marmor gemeißelt wären, sowieso regressiv wäre. Global Crime eröffnet den Blick auf globale literarische Bezugssysteme, die unter dieser spezifischen Perspektive sichtbar werden. Und das ist faszinierend.

 © 10/2018 Thomas Wörtche; der Text erschien zuerst in den Literaturnachrichten 4/2018 von Litprom. Zu dieser Ausgabe hier.
Ein Interview im Börsenblatt zur Tagung hier.

Veranstalter
Litprom e.V. Braubachstr. 16 | 60311 Frankfurt | 069 2102-113 oder -143

Veranstaltungsort
Literaturhaus Frankfurt | Schöne Aussicht 2 | 60311 Frankfurt

Eintrittspreise
Einzelveranstaltung: 8 € | ermäßigt 6 €
Kombiticket: 28 € | ermäßigt 19 €

In Zusammenarbeit mit
Literaturhaus Frankfurt, ARTE

Drei der im aktuellen „Weltempfänger“ genannten Autoren – Patricia Melo, Mercedes Rosende und Chan Ho-Kei  – sind bei den Litprom-Literaturtagen „Global Crime: Kriminalliteratur als globaler Code“ am 25. und 26. Januar im Literaturhaus Frankfurt live zu erleben.

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