Geschrieben am 1. September 2021 von für Crimemag, CrimeMag September 2021

Friedemann Hahn: Meine Noir-Malerei

Foresta Nera 2009, Öl auf Leinwand 120 x 160 cm © FH

Die verborgenen Bilder

In einer komprimierten Werkschau – und durch Corona leider in der öffentlichen Wahrnehmung eingeschränkt – war (und ist) jetzt im Museum für Neue Kunst Freiburg eine Auswahl von Bildern des Malers Friedemann Hahn aus den letzten neun Jahren zu sehen. Und wie so oft bei diesem Maler geht es um Abschied, um Leid und Tod. Exklusiv für uns schreibt er hier selbst über seine Bilder, eingerahmt wird sein Text von einem Essay von Alexander Sancho-Reichel über „Meister Melville“ und einer Betrachtung zweier Bilder, der Alf Mayer den Titel gegeben hat „Ich kann den Blick nicht von euch wenden…“ – Doch hier nun Friedemann Hahn selbst.

Der Katalog zur Ausstellung, bibliographische Angaben siehe ganz unten

Vom Dunkeln und Einsamen oder wie man sich Leid, Schweiß und Wahnsinn erspart … Of  darkness and the lonely, or how to spare oneself a lot of suffering, sweat and madness ist die Ausstellung überschrieben. Das hört sich so an wie: Male, dann geht es dir gut, oder besser: Befasse dich mit dem Schlimmsten, was dir passieren kann, dann musst du es nicht erleiden. Si vis pacem, para bellum … Wenn du den Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor. 

Leben und Kunst machen und nicht vor die Hunde gehen, das ist die Spur des Malers, die sich durch über fünf Jahrzehnte des Schaffens, des Malens und Schreibens zieht. The Black Dahlia (2010, Ölfarbe auf Leinwand, 80 x 60 cm). „Lametta“ überschrieb ich einen Text von 1976: Erst lange nachdem ich begonnen hatte, meine Bilder den Göttinnen und Göttern des Films zu widmen, enthüllte sich mir das Geheimnis der vollkommenen Schönheit und ließ mich die Wirklichkeit ihres Glanzes ahnen. Die Aura, die den Star umhüllt, ist wie ein kostbarer Mantel, gewoben aus dem Höchsten und Edelsten, was an erotischer und sexueller Attraktion aufzubringen ist. Die Leidenschaft wird zum Bild, und aus Schauspielern werden Wesen einer anderen Welt, die fern ihres wirklichen Geschlechts Träume von Weiblichkeit und Männlichkeit versinnbildlichen. Doch der Traum der vollendeten Erscheinung bleibt so geheimnisvoll wie die Wirklichkeit des Lebens.

Wie erreicht es nun der Künstler, den Glamour, diese unbeschreibliche Essenz charmantester Zauberei, diese hohe Kunst der Oberflächenbehandlung, dieses Make-up der Sinnlichkeit, auf die Leinwand zu bannen? Kurz, wie kriegt er’s hin, diesen Moment, wenn der paralysierende Blick der Sirene tief in die Eingeweide ihres Opfers dringt, unvergänglich und in seiner vollen Pracht, festzuhalten? „Technisch gesehen, entsteht der Glamour aus einem Helldunkel, dem Spiel des Lichts auf der Landschaft des Gesichts, der Wirkung des Hintergrunds, der Komposition, dem Einsatz geheimnisvoller Schatten in den Augen, um die Leere zu verbergen, der Aura des Haares und darin, alles das in einem flüchtigen Augenblick der Grazie einzufangen“, schrieb Josef von Sternberg, ein großer Meister dieser Kunst, 1963 im Esquire.

Wer mehr über dieses Mysterium erfahren will, über das Leid und das Glück, denen jene ausgeliefert sind, die sich der Macht des Glamours unterworfen haben, muss die gefahrenvolle Reise in die Gefangenschaft der totalen Künstlichkeit antreten. Da gibt es kein Entrinnen mehr – nur Erlösung oder Verdammnis. Als ginge es jeden Augenblick darum, zu lieben oder zu sterben (Jean-Luc Godard, alias Hans Lucas: Verteidigung und Darlegung der klassischen Einstellungsfolge, Cahiers du Cinéma, 15. September 1952). Was interessiert mich Lenin (von dem es fotografische Aufzeichnung seines Kopfes gibt, mausetot und frisch gehalten, als lebte er noch), wenn ich über Elisabeth Short nachdenken kann. WIKIPEDIA bringt es auf den Punkt: Elisabeth Short (July 29, 1924 – January 15, 1947), known posthumously as the „Black Dahlia“, was an Amerikan woman found murdered in the Leimert Park neighborhood of Los Angeles, California. Her case became highly publicized due to the graphic nature oft he crime, which included her corps having been mutilated and bisected at the waist.

In der deutschen Fassung wird der Tod eher wage auf das Datum „vermutlich 14. oder 15. Januar 1947“ eingeordnet. Wer will es auch genau wissen? Das Opfer ist ermordet, der Mörder (es wird bei der Betrachtung der Einzelheiten der Tötung wohl nur ein Täter, man möchte an einen Wahnsinnigen aus einem Film der englischen Hammer-Produktionen denken, gewesen sein, oder ein Befehlshaber und ein Knecht) ist wohl ebenso nicht mehr unter den Lebenden. Was bedeutet es, das Polizeifoto eines Kopfes einer toten Frau zu malen? Es zu malen in Brauntönen, die Haare in Schwarz mit Indigo, die Lippen, die Augen, die Nase schwarz mit Indigo, die Gesichtszüge zu überhöhen mit Himmelblau, etwas Rot mit einem kleinen Schwung in Weiß im Haar, hellgelbe Tupfen über das Gesicht zu sprenkeln … was bedeutet das?

Lange habe ich mir überlegt, ob ich die tote Elisabeth Short malen soll, malen kann, und wenn ja, dann wie? Ich habe ein Bild „Großer L.A. Mord“ gemalt, zwei kleine „L.A. Mord“, dann das tote Gesicht sehr graphisch, fast wie eine Comic-Zeichnung und ein Bild nach einer Fotografie von Man Ray, das auf einen möglichen Täter, einen wahnsinnigen Musiker, Kunstliebhaber und Chirurgen, über den ich in einer nächtlichen TV-Aufzeichnung etwas erfahren hatte, verweisen sollte. Ich habe dem toten Gesicht Leben zurückgegeben, Leben eingehaucht mit der Liebe der Farben. Jetzt lebt sie weiter, die wohl berühmteste Tote, die im Tode endlich das geworden ist, was sie zu Lebzeiten nicht erreichen konnte. Elisabeth Short ist jetzt ein Star, ein Filmstar, ein Star der Literatur, der Malerei, ein Star auf ewig. In ihr vereinen sich der tragische Tod, Qual, Leid, Marter und Folter und ein ekstatisches Leben vor und nach dem Tod. Es erscheint beinahe versöhnlich, wenn sie heute zur Ikone des Lebens geworden ist, als wollte sie widersprechen, dass nach dem Tod alles vorbei sei, als wollte sie der Behauptung, dass es ein „auferstanden von den Toten“ gibt, zur Wahrheit verhelfen. Sie ist das Bild geworden, das sagt, es geht jeden Augenblick darum zu lieben oder zu sterben.

     Ich hatte meinem Text von 1976 noch einen Nachsatz angehängt: Es ist wieder Nacht und unzählige Sterne leuchten ohne Technicolor in ganz natürlichem Licht über dir und mir und über Hollywood und den Gräbern der Unsterblichen. Und ich wundere mich nicht, wie sich mir der Sternenhimmel entfremdet, und die Vorstellung von ihm zu einem Gefühl wird. Als ginge es jeden Augenblick darum, zu lieben oder zu sterben.

Ausstellung: MNK Museum für Neue Kunst, Freiburg im Breisgau vom 1. April bis 29. August 2021; Lesebuch zur Ausstellung: Hrsg. Christine Litz MNK Freiburg im Breisgau, mit Texten von Christine Litz, Lisa Bauer-Zhao, Heike Gfrereis, Frank Göhre, Friedemann Hahn, Hans Dieter Huber, Alf Mayer, Alexander Sancho-Rauschel, 10 Euro. 

Die Internetseite von Friedemann Hahn.
Das Nachwort von Alf Mayer zum Roman „Foresta Nera“ hier: Schwärzer kann der Tann nicht sein

Klaus Theweleit dazu: Pechschwarzes Aktionsgelände krimineller soldatischer Männer