Geschrieben am 1. September 2019 von für Crimemag, CrimeMag September 2019

Filmbuch „Anthony Mann“

Klarheit des Ausdrucks

Alf Mayer über das das Filmbuch „Anthony Mann. Kino der Verwundung“ von Ines Bayer

„Unverzichtbar für jeden, der wissen will, welche Sorte Jahrhundert das zwanzigste war, sind die Filme von Anthony Mann… Sie atmen das Klima des Existentialismus. Es sind schwarze Filme, und wie Hustons Noir-Filme sind auch sie Ausdruck eines furchtbaren Jahrhunderts.“ (Peter W. Jansen)

Es ist eine Schande. Eine Schande, zu wissen, dass solch ein vorzügliches Filmbuch – eben weil ein Filmbuch – in Deutschland wohl keine 500 zahlenden Käufer finden wird, dass kein Verlag und erst recht kein Autor damit reich werden wird und dass es deshalb solche Bücher eigentlich nicht mehr gibt. Umso mehr ist es eine Freude, solch ein exzellent illustriertes und in jeder Hinsicht qualitätspralles Buch in Händen zu halten. Es muss – bitte! – Preise dafür geben.

Max Annas, Thomas Wörtche und ich hatten seit Jahren die Absicht, zusammen ein Buch über den Filmregisseur Anthony Mann zu machen. Mit dem fulminanten Buch von Ines Bayer hat sich das erst einmal erledigt. Großes Kompliment. Besser geht es nicht. In seiner Filmkolumne „On Dangerous Ground“ hatte Max Annas über den Western „Devil’s Doorway“ bereits 2016 ausgiebig bei uns auf CrimeMag geschrieben. Nicht nur wir drei fanden und finden Anthony Mann einen sehr aufregenden und viel zu wenig bekannten Regisseur. Wim Wenders, ein früher Bewunderer, nannte ihn 2006 zum 100. Geburtstag einen „director’s director“: „Will sagen: Viele haben von ihm gelernt, aber niemand kennt ihn wirklich.“ (Der Mann aus dem Westen. Er glaubte an nichts als die Bilder, an Mythen schon gar nicht: Anthony Manns Filme zeigen, was ist, FAZ 1.7.2006, S. 57)

Ines Bayers Buch ist die erste deutschsprachige Publikation über den amerikanischen Regisseur, „sie beschreibt sein Leben und analysiert sein Werk auf höchstem Niveau“ konstatiert auch Hans Helmut Prinzler, Filmhistoriker und Publizist von Rang. Quer durch die Republik gibt es so sicher einige, die sich über dieses Buch freuen. Und auch eine Professorin und ein Professor können sehr, sehr stolz sein: Elisabeth Bronfen und Norbert Grob. Ines Bayer promovierte mit diesem Buch in Mainz, eigentlich muss ihr jetzt, wenn die Welt gerecht ist, die akademische Welt weit offenstehen.

All die üblichen Schwächen einer Diss hat dieses handfeste, glänzend geschriebene Buch nicht. Form und Inhalt, Thema und Zugriff entsprechen sich ideal. Wann konnte man zum letzten Mal über ein Filmbuch sagen, es sitzt so fest im Sattel wie die Figuren, die es beschreibt? Wann, dass in einer akademischen Arbeit kein Gramm Fett zu viel ist und kein Jargon-Geröll im Stiefel zwickt? Wann, dass eine Frau so über Männerfilme schreibt, dass jedem Kerl die Spucke wegbleibt, weil es da schlicht nicht einen Fatz zu meckern gibt? Wann, dass ein Filmbuch sein komplexes Metier so lässig meistert? 

39 Filme hat Anthony Mann zwischen 1942 und 1968 realisiert, darunter Western, Film Noirs, einen Film über Glen Miller und historische Epen. Im Alter von 60 Jahren ist er, viel zu früh, im Berliner Hotel Kempinski an einem Herzinfarkt gestorben.

Vollends für die Autorin eingenommen hat mich, dass sie – nachdem sie 38 Filme analysiert hat und uns dabei den Regisseur und sein Arbeitsethos näherbrachte – „anstelle eines Fazits“ den Kriegsfilm „Men in War“ als Schlusskapitel setzt. Es ist der konzentrierteste, zurückgenommenste, schnörkelloseste Film in Manns Œu­v­re und einer der geschlossensten, zugleich bittersten Kriegsfilme überhaupt. Es gebe „nichts Überflüssiges“ in diesem Film, so François Truffaut,  „dafür aber eine feste, solide, unerbittliche Erzählweise“, summiert Ines Bayer. Drehbuch: Ben Maddows, Front: Phil Yordan, weil Maddows auf der Blacklist stand, was Mann nicht von einer Zusammenarbeit abhielt. Über Manns Haltung in der Zeit der Kommunistenhatz in Hollywood hätte ich gerne mehr gelesen, das ist ein wenig zu sehr in die Fußnoten verlagert.

Wie eine Miniatur stehe „Men in War“ für das Werk Anthony Manns: für seinen filmischen Stil und Ausdruck, seine Einsichten in die Menschen, seine Sicht auf die Welt. Es folgen acht Seiten weiterer Analyse. Hier die drei letzten Sätze des Buchs: „Und was zeigt der Film, alles zusammengenommen? Männer am Boden. Dies ist Anthony Manns Weltsicht, einfach und klar.“

Winchester 73

Das größte Kapitel des Buches hat an die 60 Seiten, überschrieben ist es mit „Körper-Variationen: Mann of the West“. Der Western war die ideale Form für Manns Verständnis vom Film, entwickelt Ines Bayer: Standardsituationen voll Dynamik und Spektakel, wilde Landschaften, ikonische Körper. Mann fühlte sich am wohlsten, wenn er draußen drehte. Seine Schauspieler ließ er körperlich arbeiten, in der Wüste, in den Bergen, bei Wind und Wetter. „You throw them against the elements“, erklärte er, „and the elements make them much greater, because they have to shout above the wind, they have to suffer, they have to climb mountains.“ Mann hatte ziemlich etwas von einem John Ford in sich, scheute nicht den Ruf, auch ein Schinder zu sein. Er galt durchaus als Tyrann und war wenig zimperlich mit Nebendarstellern. Bei „Spartakus“ soll es Erleichterung am Set gegeben haben, als Mann durch Kubrick ausgetauscht wurde. Der, dachte ich immer, habe seinen Darstellern doch viel abverlangt. Man lernt dazu  – viel dazu – in Ines Bayers Buch. Der Kritiker Manny  Faber nannte Mann einen „tin-can de Sade“.

Wie der von ihr porträtierte Regisseur packt auch Ines Bayer zu und ist pointiert. Bringt auf den Punkt. Sie hat eine Gabe, Bildsprache und Montage, Darstellung und Ideenebene zu charakterisieren, kann Szenen exzellent beschreiben. Manns zehn Western der Fünfziger Jahre werden so charakterisiert (und natürlich wird das ausgeführt und begründet): Die Geschundenen, Lernen durch Leiden, Der Westerner als Hiob, Die Hysteriker, Hysterie in Vollendung, Tyrannei der Zivilisation, The real villain is history, Gender-Trouble (vor allem in „The Furies“), Schemen und Gespenster. 

Eigentlich hieß er Emil Anton Bundsmann, ab April 1941 und vier Wochen nach Ankunft in Hollywood und Anstellung bei Paramount wurde es konsequent der Künstlername Anthony Mann. Er war drei Mal verheiratet. Künstlerisch kam er vom Theater, er machte Schauspielerfilme – keine Starvehikel.  Er hatte ein Misstrauen gegen das Wort, in seinen Geschichten suchte er stets den visuellen Ausdruck. Den Cahiers du cinéma, wo er früh gefeiert wurde, erklärte er: „A film must be visual, too much dialoge kills it.“ Seinem langjährigen Drehbuchautor und Freund Philip Yordan sagte er einmal: „Phil, I’m not that concerned about the dialogue. Nobody listens, they look, they watch …“

Anthony Mann hat Filme gemacht. Keine Hörspiele. Schön, dass es jetzt dieses Buch über ihn gibt. Und Respekt für diesen Verlag.

Alf Mayer

  • Ines Bayer: Anthony Mann. Kino der Verwundung. Band 30 der Reihe „Deep Focus“. Verlag Bertz + Fischer, Berlin 2019. Viele Schwarzweißabbildungen in hervorragender Qualität sowie 16 Farbseiten. 304 Seiten, 36 Euro.

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