The United States vs Billie Holiday
Sonja Hartl und Thomas Wörtche haben Lee Daniels‘ Film über Billie Holiday gesehen.

Seltsame Früchte
Eine Filmkritik von Sonja Hartl
Sie soll dieses Lied nicht singen. Es heize die Leute an, es führe zu Aufruhr, noch dazu wurde es von einem Kommunisten geschrieben. Aber Billie Holiday (Audra Day) kümmert das nur wenig, sie will Strange Fruit singen, will Stellung zu beziehen zu Lynchmorden an Schwarzen in den USA. In Lee Daniels Film The United States vs. Billie Holiday wird es lange dauern, bis die Zuschauer*innen dieses Lied das erste Mal in voller Länge hören. Aber wenn Andra Day es singt, ist es ein kraftvoller, ein unvergesslicher Moment in einem Film mit klaren Schwächen.
Der Kampf gegen Strange Fruits ist der Aufhänger dieses Films. Edgar J. Hoover will, dass sie aufhört, dieses Lied zu singen – aber selbst Regierungsbehörden verstehen, dass sie eine Sängerin nicht dafür verhaften können, welches Lied sie singt. Also nehmen sie Holidays Drogensucht als Angriffspunkt. Diese Aufgabe übernimmt Harry J. Anslinger (Garret Hedlund) zu gerne. Er setzt den Schwarzen FBI-Agenten Jimmy Flechter (Trevante Rhodes) auf Holiday an und hat schon bald einen ersten Erfolg. Aber Billie Holiday ist nicht so einfach kleinzukriegen.

Lee Daniels konzentriert sich in The United States vs Billie Holiday auf die letzten 12 Jahre der Sängerin – aber schon der Aufhänger mit Strange Fruit deutet an, dass dieser Film kein klassisches Biopic ist. Er basiert auf dem Sachbuch Drogen von Johann Hari, in dem Hari engagiert den war on drugs der US-Regierung beschreibt. Maßgeblich geprägt ist dieser Krieg von Harry J. Anslinger, der von 1930 bis 1962 das Federal Bureau of Narcotics – einem Vorläufer der DEA – leitete. Von Anfang an war die Drogenpolitik zutiefst rassistisch. Das zeichnet Hari in seinem Buch weitaus deutlicher als es der Film macht, aber es wird auch in Anslingers Feldzug gegen Billie Holiday deutlich: Die Drogensucht ist der vorgeschobene Grund, tatsächlich geht es ihm darum, eine Schwarze Frau kleinzukriegen. Billie Holiday ist an einer Leberzirrhose gestorben. Noch im Sterbebett hat das Federal Bureau of Narcotics sie verhaftet, nachdem sie ihr wohl vorher Heroin untergeschoben haben.
Lee Daniels macht sehr deutlich, wie persönlich, besessen, rassistisch und ungerecht dieser Kampf gegen Billie Holiday ist. Der war on drugs wurde schon immer benutzt, um rassistische Strukturen aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Dieser gesamtgesellschaftliche Gegenwartsbezug klingt in Daniels‘ Film allzu zaghaft an. Stattdessen verliert sich sein Film in einer Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, die mal großartig wie die bemerkenswerte Montage von Billie Holidays Europatournee sind. Aber auch schwach wie der gesamte Strang um den Undercover-Agenten Flechter, der vom Verräter zum Vertrauten wird. Er wird angedeutet als Retterfigur. Im Gegensatz zu Billie Holidays im Film austauschbaren Ehemännern, die allesamt gewalttätig und betrügerisch sind, will er ihr helfen. Er behandelt sie gut. Doch sie kann das nicht ertragen.
Durch die vielen Aspekte, die in dem Film anklingen, die vielen Momentaufnahmen fehlt ihm ein dramatisches Zentrum. Das hätte mühelos Andra Day als Billie Holiday sein können. Leider wird nicht erklärt, warum es ausgerechnet Billie Holidays Interpretation dieses Liedes war, die die Behörden erzürnt hat. Ohnehin werden – wie z.B. zuletzt auch in Ma Rainey’s Black Bottom – vor allem persönliche Traumata als Grund ihrer Musik angeführt. Aber ihre Art zu singen war einzigartig. Sie war eine der ersten Jazzsängerinnen, die sich als Teil des Ensembles verstanden hat, die ihre Stimme wie in Instrument gesehen hat. Deshalb singt sie ein Lied nicht jedes Mal gleich. Und hierin entfaltet der Film seine größte Stärke: Andra Day hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Billie Holiday – sowohl äußerlich als in dem Film auch stimmlich –, aber sie interpretiert jedes Lied für sich. Im Gegensatz zu allzu vielen Biopics, die eher auf Nachahmung denn Interpretation setzen, geht The United States vs Billie Holiday einen anderen Weg und überzeugt damit hinsichtlich Billie Holiday auf ganzer Linie. Die Auftritte von Andra Day als Billie Holiday sind unvergesslich – allesamt. Aber eines sollte man dennoch nie vergessen. Am Ende wird eine Texttafel eingeblendet, die klar macht, dass Lynchmorde in den USA noch immer nicht verboten sind. Im Jahr 2019 wurde der Emmett Till Antilynching Act Emmett-Till-Gesetz eingebracht, dass Lynchmorde verbieten soll. Aufgrund des Vetos des Senators aus Kentucky wurde es nicht beschlossen. Und daran sollte man auch jedes Mal denken, wenn man Billie Holidays unvergleichliche Stimme hört.

Warum Lee Daniels Billie-Holiday-Film gleichfalls gelungen und misslungen ist …
Ein paar Anmerkungen von Thomas Wörtche
Lee Daniels Film „The United States vs. Billie Holiday” hat eine klare Rahmung. Eingeblendet werden am Anfang und am Ende der Hinweis, dass es in den USA auch 2020 immer noch kein „Anti-Lynch“-Gesetz gibt, das es je durch die einschlägigen Institutionen geschafft hätte. Damit stellt sich der Film eindeutig auf die Seite der „Black Lives Matters“-Bewegung, die damit in ihrer historischen Kontinuität begreifbar gemacht wird. Denn die Handlung fokussiert sich auf einen Song, „Strange Fruit“, den Billie Holiday 1939 zum ersten Mal im Café Society vorgetragen hatte, und der zu ihrem „Markenzeichen“ wurde. Ein Song, basierend auf einem Text von Abel Meeropol, der sich später Lewis Allen nannte, der die entsetzliche Praxis des Lynchens vor allem in den Südstaaten thematisierte, bitter, anklagend, poetisch. Billie Holiday eignete sich das Lied derart an, dass sich Lewis Allen später gegen die Behauptung wehren musste, sie selbst habe das Lied geschrieben. Eine Behauptung, die allerdings in der ominösen Autobiographie „Lady sings the Blues“ (1956) aufkommt, die von dem Journalisten William Dufty verfasst wurde, und über deren Validität sich die Billie-Holiday-Philologie noch heute uneins ist. Tatsächlich ist „Strange Fruit“ der Song, den man damals wie heute sofort mit Billie Holiday verbindet, und der derart personalisiert ist, dass sich nur relativ wenige Künstlerinnen und Künstler an Coverversionen gewagt haben, auch wenn darunter Schwergewichte wie Nina Simone, Cassandra Wilson, Carmen McRea oder Lester Bowie sind.
Dieser eine Song, so der Film, habe das FBI, resp. das Federal Bureau of Narcotics und deren Chef Harry S. Anslinger derart auf den Plan gerufen, dass es mit allen Mitteln versuchte, den Song zu unterdrücken. Es gibt in dem Film mehrere Szenen in denen Billie Holiday bedeutet wird, dass alles okay sei, wenn sie nur aufhöre, „Strange Fruit“ zu singen. Ihre Drogenabhängigkeit wird zum Druckmittel für Anslinger, der sein brutales Vorgehen gegen Billie Holiday so als Teil seines „War on Drugs“ darstellen kann, obwohl es um grundsätzlichere politische Fragen geht. Gefragt, was er denn gegen das Lied hätte, antwortet Anslinger im Film „Mr Hoover says it´s unamerican“.
Kontext

Das eröffnet einen Kontext, der im Film eher als Subtext präsent ist: Das Drehbuch von Suzan-Lori Parks (und die Credits sagen es auch) basiert auf Johann Haris breitangelegter Ideologiegeschichte „Chasing the Scream“, die sich mit den politischen Implikationen, Intentionen und Funktionalisierungen des „Krieges gegen die Drogen“ beschäftigt, der nie um der Sache selbst willen geführt wurde und wird. Das Kapitel Anslinger vs Billie Holiday nimmt bei Hari ca. 40 von 300 Seiten ein. Bei Hari fungiert „Strange Fruit“ als Initialzündung für die Verfolgung der Sängerin, zumal der Erstaufführungsort, das Café Society in New York, das ausdrücklich schon 1939 schwarze und weiße Gäste hatte, als Ort kommunistischer Umtriebe galt – sein Gründer und Besitzer Barney Josephson wurde später von McCarthy ruiniert. Der erhebliche Vernichtungswille Anslingers und seiner widerlichen Handlanger richtete sich gegen die schwarze Ikone Billie Holiday, gegen ihren stolzen Lebensstil, ihre schicken Klamotten und Autos, ihren Schmuck – eben gegen alles, was in ihren Augen einer Person of Colour nicht zusteht (1964 wurde der Ferrari-fahrende Miles Davis von weißen Polizisten anlasslos zusammengeschlagen) und was dem weißen Amerika Angst machte. Von einem Deal mit Billie Holiday – Streichung von „Strange Fruit“ aus dem Repertoire gegen die Aussetzung von Verfolgung – ist bei Hari nicht die Rede. Und auch nicht bei dem schwarzen FBI-Agenten Jimmy Fletcher, der im Film nach einer Saulus-Paulus-Wende beinahe zur Erlöserfigur für Billie Holiday wird (da kriegt der Film gerade noch die Kurve).

Für Spezialisten: Fletcher gab es wirklich, aber das Meiste, was wir von ihm wissen, wissen wir von den Interview-Tonbändern und anderem Material, die die Journalisten Linda Lipnack Kuehl für eine Lady-Day-Biographie angelegt hatte; eine Biographie, die nie geschrieben wurde, weil Linda Kuehl sich vor der Vollendung des Buches 1979 umgebracht hatte. Das Material verschwand in einem Archiv und wurde von Julia Blackburn für ihr Billie-Holiday-Buch ausgegraben und ausgewertet. Haris Passagen beziehen sich substantiell auf Kuehl/Blackburn und fließen somit auch in Parks Drehbuch ein. Bemerkenswert ist an dieser Stelle nur, dass bei Fletcher von einem Deal nirgends die Rede ist.
Kein Biopic
Aber: „The United States vs Billie Holiday” ist kein Biopic, historische Akkuratesse ist nicht Aufgabe des Films. Zwar gibt es Passsagen, in denen historisches Material einmontiert ist, und s/w-Passagen, die historische Authentizität insinuieren, aber das sind deutlich Authentizitätsfiktionen, die seit jeher zur kinematographischen Basis-Grammatik gehören. Ob sie in unserem Fall immer sinnvoll eingesetzt sind, darüber lässt sich diskutieren. Im Gegenteil: Lee Daniels verzichtet ganz explizit auf den Anspruch von historischem circumstantial realism. Auf mehreren Ebenen: Cassandra Monique Batie, die sich aus Verehrung für Billie Holiday Andra Day nennt, kopiert in den Gesangsnummern niemals die echte Lady Day (und mir wäre wohler, wenn sie den diesjährigen Oscar bekommen hätte; nichts, aber auch gar nichts gegen Frances McDormand, never ever, aber dass gerade die beiden Oscars für die besten Hauptdarsteller an zwei nicht-PoC-Menschen gingen, relativiert den allgemeinen Jubel über die neue Diversität der Academy schon ein wenig; Andra Day wäre die nächstliegende Option gewesen). Sie interpretiert das musikalische Material ganz und gar auf ihre eigene Weise, originell, virtuos, großartig. Auch bei dem ganzen musikalischen Kontext achtet der Film streng auf Distanz: Der Film-Louis-Armstrong hört sich eher an wie Miles Davis (sinnvoll, weil die Stimme und Phrasierung Billie Holidays später als Echos der Coolness bei Miles Davis hörbar sein werden), der Film-Lester-Young hat mit dem echten Lester Young nichts, aber auch gar nichts zu tun (dazu unten mehr), die opulent inszenierten Big Band Passagen, man könnte fast sagen: im Stil von Revue-Filmen, haben mit den Bands von Count Basie oder Artie Shaw (mit denen Billie Holiday eher problematisch und kurzfristig zusammengearbeitet hat) ebenfalls nichts zu tun. Auch das Casting setzt nicht auf Historizität. Billie Holiday hatte ein völlig andere Physis als Andra Day, Harry Anslinger war kein smartes, urbanes Kerlchen wie Garrett Hedlund, sondern eher ein grobschlächtiger Redneck, und Billie Holidays Mutter Sadie war äußerlich ganz und gar das Gegenteil, der bedrohlich aufragenden Gestalt, die wir in einem Flashback in Billie Holidays Kindheit sehen – wobei das wiederum geschickt gemacht ist: Die kleine Billie Holiday hört, um das Elend in dem Puff, in dem sie im Film aufzuwachsen scheint, zu vergessen, eine Platte von Bessie Smith, für sie eine musikalische Leitfigur zeitlebens. Ihre Mutter, die dort anschafft, erscheint als große, stämmige, beeindruckende Frau, die deutlich der üblichen Bessie-Smith-Ikonographie nachgebaut ist.
Sinnvoll auch, dass die ganzen üblen Kerle in Lady Days Leben, die sie ausgeplündert, misshandelt, prostituiert, verraten und auf jegliche Art nicht respektiert haben, zu einer Art Kollektivschurke „Louis McKay“ amalgamiert werden, mit Ausnahme ihres weißen Managers Joe Glaser, der keine Probleme hatte, schmutzige Deals mit Anslinger einzugehen, um Billie Holiday „vor den Drogen zu retten“, was angesichts der Verflechtung von Glaser ins Organisierte Verbrechen ziemlich bizarr ist. Der für rüdeste Geschäftsmethoden notorische Glaser, by the way, war auch der Agent von Louis Armstrong, auch der ein „Produkt“ der Kulturindustrie, und sicherlich eine Schlüsselgestalt in der noch zu schreibenden Geschichte: The birth of jazz out of the spirit of organized crime.

Morgan) © Paramount Pictures, Takashi Seida
Auch Fletcher hat mit dem historischen Fletcher eher wenig zu tun, er ist hier eine eher „filmische Funktion“. Ungeschickt eingeführt in einem Dialog mit seiner Mutter, wird er bei Daniels zu einer Art Beschützerfigur für Billie Holiday, die ihn aufgibt, weil er „zu gut“ für sie ist. An dieser in mildes Licht getauchten Abschiedsszene versinkt der Film knietief im Kitsch, wobei Andra Days Spiel in der Szene, in der Billie Holiday und Fletcher das erste Mal Sex haben, unfasslich grandios ist: Ihr blankes, gar ängstliches Erstaunen darüber, dass Sex etwas anderes sein kann als rohes Gerammel ist ein berührendes Highlight. Beide Szenen zusammengenommen markieren aber die ganze Unentschiedenheit des Filmes, der auch ein Film der verpassten Chancen ist.
Lester Young
Deswegen noch einmal zurück zu Lester „Prez“ Young. Abgesehen davon, dass der Film-Prez (Tyler James Williams) nicht im Entferntesten so aussieht und viel jünger und frischer rüberkommt wie der echte große Tenorsaxofonist, und als Erkennungsmarke nur das berühmte Pork Pie Hütchen trägt („Good bye, Pork Pie Hat“ von Charles Mingus, y´know) und auch nicht im Film den einzigartigen Lester-Young-Ton hat, sondern eher klingt wie ein Ben Webster (The Brute gehörte auch zu der Riege eher problematischer Liebhaber von Lady Day) an einem serenen Tag (oder doch eher wie Tom Scott?) und abgesehen davon, dass der Film-Young eher „normal“ redet und nicht wie das historische Vorbild, der eine oft surreal anmutende Privatsprache benutzte – der Terminus „Lady Day“ stammt übrigens von ihm -, abgesehen von all dem, tut Lee Daniels so, als ob Lester Young nur ein Begleitmusiker von Billie Holiday gewesen wäre, und nicht ein musikalisches Genie sui generis, dessen Bedeutung für den Jazz viel weiter über diese eine Kooperation reicht, weil Lester Young eine ganz neue Art des Saxophonspiels entwickelt hatte (ich will jetzt nicht mit Details langweilen), die Generationen und Abergenerationen von Musiker´*innen beeinflusst hat, weit über die Handhabung des Saxofons hinaus. Da verschenkt der Film eine Chance, nicht weil Jazz-Fans über die schiefe und völlig unangemessene Darstellung eines Co-Genies beleidigt sein könnten, sondern weil Lester Young genauso fies von den Behörden behandelt wurde, wie Lady Day – und wie Lena Horne, Louis Armstrong und viele, viele andere. Lester Young wurde von sadistischen Vorgesetzten in der Army (eingezogen und ohne Ansehen seines Ranges als Künstler schikaniert, gedemütigt, psychiatrisiert und eingesperrt) zerbrochen und physisch und psychisch ruiniert. Er starb 1959 ein paar Wochen vor Billie Holiday, immerhin darauf wird auch im Film hingewiesen. Die vertane Chance liegt darin, an einer Figur wie Lester Young im Kontext Billie Holiday das systemische Vorgehen des FBI zur Repression einer als gefährlich, weil sich möglicherweise emanzipierenden Minderheit eingeschätzten Bevölkerungsgruppe aus dem Blick gerät. Beinharte Rassisten wie Anslinger, Hoover und später McCarthy, die gegen alles prügelten was nicht den Maßstäben einer bigotten, ängstlichen moral majority entsprach, also nicht „normal“ war (eine unschuldige Verwendung dieses Wortes gibt es nicht) hassten natürlich alles, was Billie Holiday verkörperte, weil es ihre White Supremacy bedrohte und, Black Lives Matter, immer noch bedroht.
Billie Holiday
Es ist natürlich filmisch absolut legitim, eine solche Geschichte „exemplarisch“ zu erzählen, zumal, wie ich aus etlichen Gesprächen mit ansonsten gut informierten Menschen weiß, wenig darüber bekannt zu sein scheint. Kino als Geschichtsunterricht. Überhaupt: Wie bekannt ist Billie Holiday einem breiten Publikum noch? Und was weiß man über ihren Stellenwert? In Sally Placksins bahnbrechender Studie „ American Women in Jazz“ von 1982 ist Billie Holiday sozusagen als selbstverständlich gesetzt und muss im Gegensatz zu Ma Rainey, Ida Cox und vielen anderen, gar nicht mehr extra behandelt werden. Aber heute? Was kann man mit ihrer Kunst noch anfangen? Für mich ist sie seit sicher 50 Jahren „Lebensmusik“ wie sonst nur noch Miles Davis – ein Umstand, der bei jungen Menschen in meiner Umgebung eher auf Spott und Hohn trifft. Insofern wäre sie dringend neu zu entdecken, als Sängerin, als Poetin des Gebrochenen, der Ambivalenzen des Lebens, als radikale Künstlerin.
Irritationen
Aber ein paar Irritationen bleiben bei „The United States vs Billie Holiday“. Was zum Beispiel soll uns die Rahmung der Rahmung, dieses merkwürdige Tonbandinterview mit einem merkwürdig undefinierten Interviewpartner von Billie Holiday? Auch wenn diese interviewende Person von der Kultfigur Leslie Jordan mit dem verwirrenden Rollennamen Reginald Lord Devine (krieg ich da einen Inside-Joke nicht mit?) dargestellt wird, fällt mir nicht Plausibles zu diesen im Raum hängenden Szenen ein. Eine verklausulierte Hommage an Linda Kuehl, obwohl die Billie Holiday selbst nie interviewt hat? Oder eine Reverenz an Studs Terkel, der mit seinen Radiointerviews ab 1952 maßgeblich zum Verständnis des Zusammenhangs von Jazz und emanzipatorischer Politik beigetragen hat? Und gerade weil der Film ganz explizit kein Biopic ist, warum dann die Flashbacks, und die eher halluzinogenen Szenen, in denen Billie selbst den Schauplatz eines Lynchmordes betrachtet, als ob ihre Empörung darüber einer unmittelbaren persönlichen Erfahrung bedürfte? Da klappert die Didaxe. Auch die Einführung der Figur Tallulah Bankhead, eine Ikone der lesbischen Community, die letztlich auch Verrat an Billie Holiday beging, als die ihren Nimbus verloren hatte, ist nicht unbedingt schlüssig. Auch wenn sie an einer Schlüsselszene beteiligt ist: Bankhead will Billie in einem schicken New Yorker Hotel mit auf´s Zimmer nehmen, aber der schwarze „Liftboy“ zwingt sie, den Lastenaufzug zu nehmen, eine Episode, die tatsächlich passiert ist, aber eben ohne Tallulah Bankhead, die dann wieder, bis auf ein paar weitere Sekunden, aus der Handlung verschwindet. Da ist eine deutliche Unwucht zu spüren.

Strange Fruit
Und da ist dann eben noch der zentrale Song, „Strange Fruit“, von Andra Day sehr eigen und genau deswegen sehr intensiv interpretiert – Billie Holiday selbst hat ihn eher lakonischer gehalten. Das Pathos ist aber nur logisch, wenn er im Film als das Skandalon, als Aufruf zum gefährlichen Widerstand inszeniert wird. Tatsächlich haben viele Zeitgenossen ihn genauso verstanden – als Gründungsdokument der Bürgerrechtsbewegung, wie Leonard Feather oder Ahmet Ertegun bemerkten. Während Billie Holidays Förderer und Mentor, der Millionenerbe und Produzent John Hammond – von heute aus gesehen bitter ironisch – in diesem Song den Anfang vom Ende der Karriere Billie Holidays sah. Allerdings nicht aus den politischen Gründen, die uns der Film nahelegt. Hammond meinte, Billie Holiday sei damit zu einer sentimentalen Chanteuse geworden, die sich an in linkes, intellektuelles, urbanes Publikum anwanze, (das sich also durch let´s go slumming selbst nobilitiere) und deswegen keine Jazz-Sängerin mehr – Billie Holiday hat ihm das sehr übelgenommen, denn auch sie selbst rationalisierte die Hexenjagd der Anslingers & Co. auf sie als Verfolgung wegen diesem einen Lied, zumindest legen das beglaubigte Aussagen von ihr nahe.
Die Problematik von „The United States vs Billie Holiday“ liegt aber genau hier: Einerseits ging es Anslinger und dem FBI durchaus darum, den unbequemen Song aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen und dafür wurde Billie Holidays Drogenabhängigkeit funktionalisiert. Das ist widerwärtig und schlimm genug und wird im Film mit aller Deutlichkeit als inhuman (besonders widerlich gelungen sind die Szenen am Sterbebett Billie Holidays als Anslinger immer noch versucht einen Deal zu machen und dann die Sterbende ans Bett kettet und angemessene medizinische Hilfe verweigert) gegeißelt. Anderseits verwischt der Film die systemische Dimension, mit der der „Krieg gegen die Drogen“ zur Kriminalisierung von Minderheiten aus rassistischen und ökonomischen Gründen erfunden und betrieben wurde, das zu zeigen wäre im Sinne von Johann Haris Buch gewesen, wenn sich das Drehbuch schon darauf explizit bezieht. Und so dominiert, möglicherweise sogar contre cœur, doch wieder das alte, bekannte Narrativ von der schwarzen Sängerin mit schlimmer Kindheit, schlimmen Lebensumständen und gebrochener Biographie, die sich mit ihrer Haltung gegen das Establishment gestellt und deswegen grausam bestraft wurde, weil sie einen nützlichen Angriffspunkt geboten hatte. Und das ist mir angesichts des Formats der großen Künstlerin Billie Holiday dann doch zu wenig. Oder zu lau..
The United States vs Billie Holiday ist auf DVD erschienen. Sprache / Ton – Deutsch HD-DTS MA 5.1, Englisch/Italienisch/Deutsch HD-DTS MA 5.1
Bildformat: 2,39:1 (1080p). Untertitel: Deutsch. Laufzeit: 130 Minuten. Bei IMdB
Johann Hari: Drogen – Die Geschichte eines langen Krieges (Chasing the Scream. . Übersetzt von Bernhard Robben. Fischer Taschenbuch 2017. 448 Seiten. 12,99 Euro.
Julia Blackburn: Billie Holiday. Übersetzt von Barbara Christ. Berlin Verlag 2006. 356 Seiten. Antiquarisch erhältlich.