
Ute Cohen und Werner Fuld sehen das neue Buch von Simone Buchholz ganz gegensätzlich
Ziemlich tricky
„Alligatoren jagen in New Yorker U-Bahn-Schächten, das ist mein Plan!“ „Alligatoren, aber …“ „Laber nicht, willst du oder willst du nicht? Gib mal die Bong rüber!“ „Quatsch mich nicht so blöd an, Alter, schon mal was von Frauenbewegung gehört?“ „Na klar, Frauenbewegung ja, aber schön rhythmisch muss sie sein.“ (Gegacker) „Sag mal, ist das ‚Schwarzer Afghane‘?“ (nickt dreimal im Zeitlupentempo). „Oh, nee, hallo, kann mal jemand den Hippie-Scheiß abstellen? ‚Hotel California‘! Ich fass es nicht!“ „California, phh, Cartagena, das ist der Wahnsinn!“ „Wo is’n das?“ „Chile! Mensch“ (fasst sich an die Stirn) „Meinst du, da gibt’s auch Alligatoren?“ „Jede Menge! Die sind da bloß alle blau, weil sie besoffen sind von dem ganzen Curaçao.“ „Hä, da gibt’s Bacardi!“ „Mann, das war’n Witz! Das ist so ‚ne Insel für Verbrecher!“ „Und da gibt’s Alligatoren?“ „Ja, Mann, gib mal die Bong rüber!“
So könnte es gewesen sein. Simone Buchholz saß mit ’nem Typen in der heruntergewanzten WG-Küche, hat sich eine Bong reingepfiffen und kam irgendwie auf den Trip mit dem Hotel „Cartagena“. Kann schon sein, dass die Story bereits seit den Achtzigern in ihr gärte und irgendwann einmal, nach einer Overdose Eagles bei Suhrkamp Nova als Kriminalroman endete. Jesus Christ und seiner Bande von Aposteln sei Dank, denn das „Hotel Cartagena“ ist ein ziemlich wirksames Gegengift zu all den gendergerechten, superrücksichtsvollen, glattgezuckelten Krimis. Buchholz schert sich ganz offensichtlich einen Scheiß um Klischees. Da klingt der Post-Punk nach, die Zeit, in der sich Mädels stolz als „Schlampen“ bezeichneten und einen bescheuerten Witz mit drei Tequilas hinunterspülten. Kotze blieb da nicht aus und selbst das gemächliche Waten in knietiefer Pisse in einer Hamburger Hafenkneipe hielt die Jungs und Mädels nicht davon ab, mit Papers und Pogo dem Kapitalismus das finale Knockout zu verpassen.
Das ist das Setting, das ist der Sound, der Buchholz‘ Roman bestimmt. Der Bogen spannt sich in den Achtzigern bis in unsere Dekade. Chastity Riley, Staatsanwältin in St. Pauli, hat in den letzten drei Bänden der Reihe bereits ihr Fett weggekriegt. Zerbrechliche Allianzen, wankelmütige Spezis und biegsame Chefs hindern sie aber nicht daran, Leben und Job mit einer sinnlichen Dreistigkeit und der notwenigen Portion Gedankenschärfe anzugehen. Mit Clans und nackten Käfiginsassen hat sie es dieses Mal zwar nicht zu tun. Sie sitzt nun selbst in der Patsche. Das kann schon mal passieren, wenn man den 65. Geburtstag eines Kollegen nicht wie üblich in einer tomatenverspritzten Pizzeria oder an einem klebrigen Kieztresen verbringt. Die Geburtstagsrunde trifft sich in der Sky-Bar eines luxuriösen Hamburger Hafenhotels. Das Unheil nimmt bereits mit einem Cocktail seinen Lauf. Am messerscharfen Ananasblatt der Piña Colada schlitzt sich Riley den Daumen auf und fängt sich prompt eine Blutvergiftung ein und dann wird sie auch noch mit ihren Kumpanen in Geiselhaft genommen von einem Dutzend Uzi-bewehrten Gangstern.
Riley – und das ist ziemlich tricky von Buchholz – verspürt in dieser brenzligen Lage einen Kitzel, der nicht nur auf die Blutvergiftung zurückzuführen ist, die ihren Körper zu durchseuchen beginnt. Es ist, als kickten die Bakterien Rileys Lust an der Gefahr, das Grenzgängerische und Anarchische. Ihre Kollegen trauen ihren Augen nicht, als sie den Anführer der Geiselnehmer offensiv anflirtet, aber was soll sie machen, sie die von sich selbst sagt, sie sei „nun mal der eher unübersichtliche Typ Frau“. Noch dazu eine Frau, die einen untrüglichen Riecher für Sehnsucht und Piraterie hat, für dieses ganze „Ministerium der Leidenschaft“, das Frauen mit einem Wimperklimpern in Chaos zu versetzen vermögen. Dem Ex-Lover und dem Lover unter den Geiseln ist das freilich ein Dorn im Auge, dass Riley, den Mann, der sie in ihrer Gewalt hat, „eigentlich ganz sympathisch“ findet. Klassisches Stockholm-Syndrom könnte man meinen, aber das wäre zu simpel für die ganz und gar unkeusche Chastity, die aber doch weniger gefühlsflimmrig ist, als es den Anschein hat. „Verplasmasierung in Momenten von Käfig“ ist das Stichwort. Wenn man meilenweit Scheiße durchwatet im Leben, dann ändert man gelegentlich seine Konsistenz und wirkt auf andere eben gepanzert, durchgeknallt oder volatil. Da kann man sich schon mal fragen, mit welchem der Geiselnehmer man schlafen würde, während der Liebhaber mit einem SEK-Kommando die Rettung vor den potenziellen Objekten der Begierde plant. Ob Übersprungshandlung oder Ausgeburt eines toxischen Fiebertraumes, Riley lässt sich schwer fassen und schon gar nicht von ihren Lovern in gewünschte Verhaltensmuster pressen.
Buchholz‘ Trick, Rileys Fiebertraum ins Delirium abgleiten zu lassen und gelegentlich mit Ibuprofen zu dämpfen, lässt den Roman auch in einer verwirrend angenehmen moralischen Schwebe. So abscheulich die Hauptgeisel, ein verwöhntes, sadistisches Blankeneser Kaufmannsbürschchen, auch sein mag, verfällt Riley doch nicht einer moralischen Hybris. Durch den Fieberfilter nimmt sie einen kotzenden, pissenden, scheißenden Konrad Hoogsmart wahr, urteilt selbst aber nicht, sondern lässt die Geschichten des Geiselnehmers für sich selbst sprechen. Dieser Geiselnehmer aber hat es in sich. Alles andere als privilegiert, aus diesen proletarischen Hamburger Hinterhöfen mit Alkoholikermüttern und schlagenden Säufern stammend, zieht er als Jugendlicher ab nach Kolumbien, lernt lieben, leben und dealen, und das in exzessivem Maße. Henning Garbarek war glücklich einmal dort in Carthagena und dann – Bämm! – fliegt ihm alles um die Ohren. Was das aus einem Menschen macht, zeigt sich, wenn das Arschloch, das einem das Leben versaut auf einem Stuhl gefesselt vor einem sitzt. Alligatoren jagen und Bongs rauchen ist nichts gegen diesen Kick!
Das aber versteht nur, wer dieses Gefühl kennt, das Buchholz in Hennings kaputtem Herzen wachsen lässt: „Henning fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben groß genug, um die Winzigkeit, die so ein Leben bedeutet, auszuhalten.“
That’s Amore, das kann nur Amore bewirken. Dagegen kommt kein Brustwarzendreher der Welt an, kein Schwanenquäler, kein mieser Vergewaltiger!

„Such a lovely place, such a lovely place“ heißt’s im Eagles-Song „Hotel California“. Buchholz‘ „Hotel Cartagena“ ist so lovely nun nicht, aber eines ist gewiss: „You can never leave“.
Ute Cohen – ihre Texte bei CrimeMag hier.
Im Frühjahr 2020 erscheint von ihr „Poor Dogs“, Septime, Wien. Es ist bereits vorbestellbar – für Lesungen hat sich Schauspieler Axel Holst bereiterklärt.
- Simone Buchholz: Hotel Cartagena. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. Klappenbroschur, 228 Seiten, 15,95 Euro. Verlagsinformationen.
Werner Fuld: John McClane – nicht aktiviert
„Hotel Cartagena“ ist der neunte Band der Serie um die amerikanisch-deutsche Staatsanwältin Chastity Riley und vermutlích der vorletzte: Ein zehnter Band wäre ein guter Abschluß, denn die Figur ist auserzählt. Simone Buchholz hatte 2008 den ersten Band veröffentlicht, und nach so vielen erfolgreichen, von zahlreichen Preisen begleiteten Jahren hat sie jedes Recht, sich von ihrer schnoddrigen Hamburgerin Riley zu verabschieden, zumal sie die Lust an ihr verloren zu haben scheint. Vielleicht dient zur Vorbereitung dieses Abschieds, daß Riley auf den letzten Seiten ohne Rückflugticket nach Glasgow reist, um ihrem Ururgroßvater nahe zu sein, der am Ende des vorletzten Jahrhunderts nach North Carolina ausgewandert war. Ich bezweifle, daß sie nach Hamburg zurückkehren wird, wo sie ja gerade eine gefährliche Geiselnahme überlebt hat.
Und da beginnt die Kritik an diesem lust- und ideenlos heruntergeschriebenen Buch. Eigentlich sollte der 65. Geburtstag Fallers gefeiert werden: der simpelste Einfall, um die ganze Mannschaft zu versammeln, und natürlich waren alle in die Bar im 20. Stock eines noblen Hamburger Hotels gekommen. Aber dann nahm Henning Garbarek Rache an dem Mann, der seine Familie getötet und sein Leben zerstört hat, dem Besitzer des Hotels. Die Story um Drogengeschäfte, Verrat und Rache ist so dünn wie das Buch, in dem die Autorin verzweifelt um jede Seite ringt.

„Gewidmet“ ist es dem großartigen Schauspieler Alan Rickman, der daran keine Freude mehr hat, weil er 2016 gestorben ist. „Zur Erinnerung an“ wäre passender gewesen, noch passender die Erinnerung an seine Rolle in „Stirb langsam“, denn dieser Film ist die Inspirationsquelle für Simone Buchholz gewesen. Chastity Riley hat ihren von Bruce Willis gespielten John McClane sozusagen verinnerlicht und reagiert wie er umso trotziger, je stärker sie attackiert wird. Doch der Werbetext auf der Rückseite des neuen Bandes ist falsch, denn diesmal kann sie ihren „inneren John McClane“ nicht aktivieren, weil sie an einer akuten Blutvergiftung leidet. Sie ist zwar anwesend, muß aber wie in einem Fiebertraum handlungsunfähig miterleben, daß die Sache mit dem Tod des Verräters und jenseits aller Wahrscheinlichkeit durch einen geklauten Film-Plot mit der geglückten Flucht der Geiselnehmer endet. Das ist das schwache Ende einer dünnen, auf 227 Seiten gestreckten Geschichte. Es gibt Kapitel, die nur wenige Zeilen kurz sind.

In der Mitte hofft man noch, die Sache könnte spannend werden, aber vergebens, der Autorin fiel nichts mehr ein. Sie hat sich ausgeschrieben. Rileys ruppiger Sound, der früher entfernt an Declan Burke erinnerte und mit dem Buchholz berühmt wurde, hat sich erschöpft. Einen einzigen halbguten Satz gibt es immerhin: „Als der Tag mit seiner hinterhältigen Hitze um die Ecke gestolpert kam, stand Henk auf, ging ins Meer, schwamm raus und wartete auf Haie“ – besser kann man die einsame Hoffnungslosigkeit eines Mannes, dessen Familie getötet wurde, kaum ins Bild setzen. Aber in der ersten Satzhälfte stimmt das Bild nicht, denn ein heißer Tag kommt nicht gestolpert, sondern schleicht um die Ecke.
Am Ende dankt die wohl geistig schon abwesende Autorin 29 (!) Personen für alles Mögliche, doch für das Mißlingen ist sie allein verantwortlich. Als Leser wünscht man Riley einen würdigeren Abgang, als Kritiker zweifle ich, ob Simone Buchholz das nach diesem Debakel noch schafft.
Werner Fuld – seine Texte bei CrimeMag hier. Seine Bücher beim Perlentaucher.