Geschrieben am 1. September 2023 von für Crimemag, CrimeMag September 2023

Joachim Feldmann: Der britische Autor M. W. Craven

Keine Produktwarnung

Der britische Autor M. W. Craven kennt sich aus mit den Klischees der Kriminalliteratur. Und er weiß, wie man effektvoll mit ihnen spielt. Das ist sehr unterhaltsam, findet Joachim Feldmann. 

„Hammett brachte den Mord zu der Sorte Menschen zurück, die mit wirklichen Gründen morden, nicht nur, um dem Autor eine Leiche zu liefern, und mit realistischen Gegenständen, nicht mit handgearbeiteten Duellpistolen, Curare und tropischen Fischen.“ Nimmt man Raymond Chandlers Lob seines Kollegen Dashiell Hammett als ästhetischen Maßstab für die Bewertung von Kriminalliteratur, ist „Der Botaniker“, ein Roman des englischen Schriftstellers M. W. Craven, bereits durchgefallen. Denn hier kommt neben pflanzlich gewonnenen Toxinen sogar das Gift des berüchtigten japanischen Kugelfischs zum Einsatz.

Dass der Mörder seinen Opfern vorher gepresste Blumen und gruselige Verse zukommen lässt, passt ebenso ins Bild wie deren Auswahl. Ein misogyner Autor, ein korrupter Politiker und eine rechtsradikale Bloggerin müssen dran glauben. Wie es dem Täter allerdings gelingt, trotz umfassendem Polizeischutz seine politisch korrekt anmutenden Morde zu begehen, gibt selbst Detective Sergeant Washington Poe, der als Ermittler bei der National Crime Agency auf Serienkiller aller Couleur spezialisiert ist, ein Rätsel auf. Zum Glück steht ihm Tilly Bradshaw zur Seite, eine brillante junge Mathematikerin, der keine Datenmenge zu groß und keine Aufgabe zu komplex ist. Dass ihre außergewöhnliche Begabung mit entwicklungsfähigen sozialen Fähigkeiten einhergeht, versteht sich, schließlich gehören autistische Züge seit jeher zu den Charaktermerkmalen kriminalistischer Genies.

All das klingt wie eine Produktwarnung. Die ich wahrscheinlich beherzigt hätte, wäre ich nicht seit ein paar Wochen süchtig nach exakt diesem Stoff. Denn „Der Botaniker“ ist bereits der fünfte Roman der Reihe (allerdings der erste in deutscher Übersetzung), dazu kommen ein paar Kurzgeschichten. Und ich habe sie alle gelesen. Was als harmlose Urlaubslektüre begann, entwickelte sich nach kurzer Zeit zu einer ausgeprägten Abhängigkeit. Dabei fand ich den ersten Band „The Puppet Show“ (2019) nicht einmal sonderlich beeindruckend und kann nur ahnen, warum ich mir auch die Fortsetzung zugelegt habe. Die Aussicht, mehr über den eigenwilligen Ermittler Washington Poes Biografie zu erfahren, war es wohl nicht, obwohl das Ende des Romans auf diesen Effekt hin angelegt ist.

Wahrscheinlicher ist, dass ich begann, mich in der Gesellschaft der beiden Hauptfiguren wohlzufühlen. Craven versteht es, bekannte Figurenkonstellationen so zu variieren, so dass sich der Wiedererkennungseffekt in Spannung verwandelt. Das gilt auch für die Plots, die immer wieder für überraschende Wendungen gut sind und  bei aller Fantastik fest in einem realistisch geschilderten gegenwärtigen Britannien angesiedelt sind. Dass man beim Lesen ein Faible für die raue Landschaft Cumbrias im äußersten Nordwesten Englands entwickelt, ist wahrscheinlich Absicht des 1968 in Carlisle geborenen Autors, der zeigt, dass es möglich ist, scheinbar zu Klischees geronnene Genreelemente sehr effektvoll neu zu arrangieren, wenn man über die notwendigen handwerklichen Fähigkeiten und eine gewisse Portion schwarzen Humors verfügt. 

PS: In einer der letzten Szenen von „Der Botaniker“  zeigt sich Mike Craven  explizit als traditionsbewusster Autor und lässt seinen Protagonisten den letzten Dave Robicheaux-Roman des großen James Lee Burke lesen.  („A Private Cathedral“, dt. als „Verschwinden ist keine Lösung“ bei Pendragon). Eine Reverenz, die zeigt, dass hier jemand weiß, was er tut.

M. W. Craven: Der Botaniker (The Botanist, 2022). Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger. Droemer, München 2023. 556 Seiten, 17,50 Euro.

Weitere Titel der Reihe:
The Puppet Show (2018)
Black Summer (2019)
The Curator (2020)
Cut Short (Stories, 2020)
Dead Ground (2021)
The Cutting Season (2022)
The Mercy Chair (06_2024)

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